Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Aus Gastein.

Erste Nacht.
          Es wäre Schlafenszeit; – doch das ist schlimm,
Nicht schlafen läßt mich hier der Ache Grimm,
Grad' unterm Fenster schlägt ihr Katarakt
Auf Felsenpulte dröhnend seinen Takt!
Musik zur Unzeit! Was zu tun da sei?
Zu horchen wach der Rätselmelodei: –
Einförmig tost's und doch so wechselvoll,
Wie Harfen jetzt, und jetzt wie Donnergroll!
Ist's Wagenrasseln, das die Stadt durchrollt?
Ist's Mühlgestampf, das täglich Brot dir zollt?
Sind's Eisenhämmer, schmiedend Waffenerz?
Ist's Orgelton jetzt, der dir schmilzt das Herz?
Nun Posthornklang, der dich zur Ferne reißt!
Nun Waldesrauschen, das dich bleiben heißt!
Nun Glockenschall, der fromm die Gläub'gen ruft!
Nun Trauermarsch, geleitend in die Gruft: –
Dem Leben gleich! Und alles Staub und Schaum!
Doch sang's dich unbewußt in Schlaf und Traum.
 
Der Heilquell im Wasserfall.
Du Geist der Ungeduld, mein Foltergeist,
Der mich zur schleun'gen Flucht kopfüber reißt,
Wenn auf die Walstatt des Salons zur Schlacht
Die Großmacht Langeweil' ihr Heer gebracht,
Und mich des Wörterschwalles Katarakt
Wie Wassersturz und Strudel wirbelnd packt,
Mit mir zur Felsschlucht komm, unholder Gast,
Sieh hin, dann hebe dich von mir in Hast!
Auch hier ein wasserreicher Katarakt,
Der, niedertosend, mich mit Schwindel packt
Und sinnbetäubend braust und dröhnt und zischt!
Doch unterm Flutgebraus schleicht unvermischt
Im ehrnen Rohr ein Heilquell warm und mild,
Uns sichtbar kaum, der Schmerz und Leiden stillt,
Der sieche Leiber fromm zu kräft'gen eilt
Und jetzt, ein Seelenarzt, mein Herz geheilt.
Ich ahn' es, traun, im Wortgesprudelstrom
Fließt dort auch manch ein Heilborn einsam fromm,
Manch Wort, das welke Herzen wieder jüngt,
Manch Wort, das müde Seelen frei beschwingt,
Manch Wort heilkräft'gen Geists, liebvoller Huld:
O lehre finden mich's, Geist der Geduld!
 
Fernsicht.
Tritt ruhmbekrönten Größen nicht zu nah!
Sie sind den Alpen gleich, die vor uns stehn,
Am schönsten, größten, wenn von fern gesehn,
Im blauen Duft, in ihrem fernen Ruhme!
Der Formen Schönheit, die dich fern entzückt,
Löst sich in rauhe Massen, wirr zerstückt,
Wenn forschend du genaht dem Heiligtume;
Der Duftschmelz wird Gestein, das wund dich ritzt,
Und wird Gedörn, das Rock und Ferse schlitzt.
Das Auge des Geweihten nur erspäht
In dunkler Kluft die schöne Alpenblume;
Nur wer der Geister Liebling, den umweht,
Entschleiernd sich, des Berggeists Majestät.
 
Ungleicher Kampf.
Gigante du, willst mit dem Zwerg du ringen?
Dir ist es Schmach, den Schwächling zu bezwingen,
Ihm ist es Ruhm, von deiner Hand zu fallen!
Auf grünem Alpensitz jüngst dacht' ich deiner:
Zur Sonne flog der Königsadler einer,
Ein blökend Hammeltier in seinen Krallen.
O Aar, dir läßt's nicht gut, am Schmutzvlies zerren,
Und Schmachtrophän sind dir des Hammels Flocken!
Doch er, gewohnt auf niedrer Trift zu plärren,
Scheint selbst in deinen Krallen zu frohlocken,
Daß er durch dich nun lernt den Flug nach oben,
Daß er mit dir zur Wolkenhöh' erhoben!
 
Einem Gesunden.
Du schiedest, sanft verklang des Posthorns Schall,
Lang wiederholt von Fels und Wasserfall;
Mir aber schien's des alten Berggeists Sang,
Der liebevoll dir nach zur Ferne klang:

»So lebe wohl denn, du mein liebster Gast,
Der, was ich bieten kann, du selbst schon hast!
Nicht lieb' ich sieche Bettler, die nur flehn,
Doch Männer, die als Gleiche vor mir stehn.
Erhaben sind, wie meiner Felsen Firn,
Die Lichtgedanken einer Mannesstirn;
Wie Blumenpracht im Alpental mir blüht,
So wogt und glüht Gefühl dir im Gemüt;
Und wie mein Busen birgt manch gülden Erz,
So hegt manch Goldkorn tief und still dein Herz;
Wie sich mein Katarakt durch Felsen schlägt,
Wallt frei dein Manneswort, trifft und bewegt;
Und wie mein Heilquell welke Blumen hebt,
Hat deine Huld manch trauernd Herz belebt. –
Der so gesund an Seel' und Körper ist,
Nichts kann ich bieten dir; bleib, wie du bist!
Aufrecht und grad' wie meiner Tannen Schaft,
Behend wie meiner Gemsen Federkraft!
Das Schneehaupt selbst, wie meiner Gletscher Eis,
Ist dir nicht Last, nein, Schmuck und Ehrenpreis!
Ein ganzer Mann, dem meine Alpenwelt
Den Spiegel eigner Größ' entgegenhält!«


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