Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Das Kreuz des Erschlagenen.

1.
        Wieder seh' ein Kreuz ich ragen,
– Ach, ich sah schon ihrer viel! –
Wo ein Wandersmann, erschlagen,
Unterm Dolch des Meuchlers fiel!

Nacktes Kreuz, er sah dich sprossen
Noch als grünen schlanken Baum,
Und von deinem Duft umflossen
Schritt er hin im Frühlingstraum.

Du allein sahst ihn verbluten,
Einsam, fremd und unbekannt
Und auf deinen Blüten ruhten
Seine Blick' im Tod gebannt.

Und du selbst, gefällt, erschlagen,
Hütest jetzt den Schreckensort;
Als ein Denkmal mußt du ragen
Für so grausen Doppelmord.

Nur der Vogel, der im Wipfel
Deines Laubs dich preisend sang,
Auf des Kreuzes nacktem Gipfel
Klagt dein Totenlied er bang.

Und ein Rosenstrauch, als solle
Schmücken er dies kahle Holz,
Klimmt hinan und pflanzt die volle
Ros' am Kreuzesgiebel stolz.

Ein Orangenbaum, als wolle
Bergen er dies Kreuz der Schmach,
Hüllt es in das goldfruchtvolle,
Silberblütenreiche Dach.

Doch es denken fern die Lieben
Noch des Manns, der sie verließ,
Als es ihn nach Süd getrieben
In dies Blütenparadies.

Und den Längstverschollnen sehen
Sie in blühender Gestalt
Fern noch durch die Rosen gehen,
Schlummernd ruhn im Lorbeerwald.

 
2.
Liegst, Italia, du schöne,
Nicht auch todt schon manch ein Jahr,
Von dem Dolch der eignen Söhne,
Von dem Schwert der Fremdenschaar?

Drum, Erschlagne, möcht' ich pflanzen
Dir ein riesig Kreuz von Stein;
Schlicht gehaun müßt's aus dem ganzen
Block karrarschen Marmors sein.

Und es dien' zum Sarkophage
Apennins Gesteinkoloß,
Drauf das Kreuz der Trauer rage
Weithin, einsam, weiß und groß!

Auf dem höchsten Grat der Hügel,
Wo ein Blick zugleich erschaut
Mit des Mittelmeeres Spiegel
Adria, die Dogenbraut!

Heult dein Leichenlied das eine
Der zwei Meere sturmeswild,
Mag das zweit' im Widerscheine
Wiegen sanft des Kreuzes Bild!

Nur der Adler, der in Spalten
Einst des Marmorbruchs gehaust,
Fliegt empor dann, Rast zu halten
Hoch am Kreuze, sturmumbraust.

Und die Sonne, die im Osten
Blüht als Rosenstrauch hinauf,
Klimmt hinan des Kreuzes Pfosten,
Schwebt als volle Ros' am Knauf.

Und verhüllt die Schmach zu hüten,
Neigt sich drauf der Baum der Nacht;
Aus der Sterne Silberblüten
Mond, die Goldorange, lacht.

Doch wir, die dich lieben, sehen
Deine blühende Gestalt
Noch in deinen Rosen stehen,
Schlummernd ruhn im Lorbeerwald.


 << zurück weiter >>