Anastasius Grün
Gedichte
Anastasius Grün

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Die Muse vor Gericht.

                Komm, Muse meines Liedes, komm ins wilde
Steinklippental der Urwaldsnacht mit mir!
Vor jener Eichen alter Richtergilde
Dort spräch' ich gern ein ernstes Wort mit dir.

Nicht gnügt's, daß dir der Markt, der leichtentzückte,
Des Lobs Almosen zuwarf manchesmal,
Manch allzu milder Freund die Hand dir drückte,
Und Beifallswort sich seinem Mund entstahl!

Kein Mensch beschritt den Waldpfad, den wir wählen;
Horch, von den Zweigen träuft der Vögel Sang
Wie Frühtau auf die Blumen unsrer Seelen!
Ach, er verstummt bei unsrer Schritte Klang!

Sie sangen nicht, um unsrem Ohr zu dienen,
Und Lerchenweisen lallt der Finke nie:
Mein besser Seelenteil wohl sang aus ihnen!
Sprich, Muse meines Lieds, tatst du wie sie? –

Ein Blütenbaum verlor sich dort zu Eichen,
Die blütenlos, wenn sonst auch schön und grün;
Doch er kann anders nicht, als Blüten reichen,
Nur Axt und Blitz gefährden einst sein Blühn!

Froh wiegt er sein Gezweig im Sonnenlichte!
Dem Blitze schlägt sein blumiges Gesträuch,
Die blühnde Waffe, er ins Angesichte!
Sprich, Muse meines Lieds, tust du's ihm gleich? –

Am Grunde modert eine alte Eiche,
Manch hundert Lenze füllten einst ihr Mark;
Gleichgültig stehn die Brüder um die Leiche,
Sind alle ja noch laubig, grün und stark!

Der Vogel, der des Baumes Lenzgefühle
Von seinem Blatte las und statt ihm sang,
Der liederreiche, düngt in Garten kühle
Jetzt Blumen fern zu Duft und Blütendrang.

In dunkler Nacht, wenn Stern' und Mond nicht glänzen,
Umquillt phosphorisch Licht den morschen Baum:
Traun, ihn umwallt von seinen toten Lenzen
Ein leuchtender und schöner Grabestraum!

Und wird auch mir, wenn einst im Waldesdüstern
Fern und vergessen sich mein Hügel hebt,
Ein lichter Traum von dir es tröstend flüstern,
Daß kein verlornes Leben ich gelebt?

Sprich, wird einst meines Jugendliedes Rose
Dem greisen Haupt nur Flitter, des sich's schämt,
Nicht eine Zierde, gleich dem Kranz von Moose,
Der jenes kahle Felshaupt schön verbrämt? –

Der Wildbach schlägt sich tapfer hier durch Klippen,
Ein Röslein wiegt auf seinen Wellen sich!
Das wuchs nicht hier auf diesen Felsenrippen,
Und mahnt an schönres Land, das er durchstrich!

Das Bächlein bangt nicht, daß die Klippe zürne,
Wenn es der nackten zeigt, was ihr gebricht,
Und über ihrer finstern Felsenstirne
Die klaren Sterne spiegeln rein und licht!

Hast du auch frei und ohne Furcht und Lüge
Stets, Muse meines Lieds, geoffenbart
Die Ahnungsrosen deiner Seelenzüge,
Die Glaubenssterne deiner Geisterfahrt?

Blick in die strengen Felsenangesichter,
Sie sprechen dir dein Urteil unerweicht!
Lies es im grünen Blatt, das dir dein Richter,
Der Waldbaum, wie mit leisem Zittern reicht!

Spricht dich's nicht frei, dann wage nie zu schreiten
In dieses Waldes Dom, des Fluch dich bannt,
Der Sündrin gleich, die einst in alten Zeiten
Im Bußhemd vor der Kirchenpforte stand!

Der Armen reichen im Vorüberschweben
Ehrsame Bürger Mitleidsspenden mild:
Wer kann ihr Reinheit, Ehre wiedergeben,
Und Trost und Segen, der im Dome quillt?


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