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79

Nun ist es Morgen. Über das Pflaster treiben die Füße vieler Geschäftigen, und der allein ruhend rastet im Treiben, ist Kai. Ruhefuß wohl – zuckt auch Eifer unruhvoll Sehnenstrang in der Wade – Ruhefuß wohl, aber kein Ruheherz, kein Ruheblick – nein! –, der stürzt, fängt, prüft, irrt, brennt ...

Bis endlich zögernd die Tür sich auftut und dunkler Torgang sie entläßt: Ilse. Da steht sie, in das Bogenschwingen gesetzt als ein stiller Engel, unter dem Arm die kleine Mappe, und die Rechte führt sie hinten zum Haar, drückt den Hut in das Bauschige und zögert, ins Rieselnaß zu treten, ins Schlackerwetter, zögert ...

Zögerst auch du, Kai? Hebe den Fuß! An ihre Seite! Das Gesicht unter den breitrandigen Hut zu ihr gehoben, sage dann rettend Erdachtes: deine ganze Liebe, die alles ausgleichen muß. Alles wird verzeihlich. Nicht nur Scham wird die Röte ihrer Wangen sein, denkt sie an Sätze wie diesen: »Man sah die Hand des Schülers Goedeschal, die im Rock Ihrer Tochter schaffte ...« –, denkt sie solchen Satzes, ist sie errötet auch vor dem Sehnsuchtsglanz, der selbst hier leuchtet. Sehnsuchtsglanz deiner Liebe – und sie verzeiht!

Hofftest du nicht so ums Morgengrauen?

Aber sie geht schon, treibt schon zwischen den andern, und sieht man sie so von hinten, in Schatten der Menschen und Häuser, in Türwinkel geborgen und schnell dann wieder dem schwankenden Hute nachgehetzt, – sieht man sie so, ist kaum zu begreifen, daß sie all den andern nicht ähnelt und daß sie allein dir voll Schicksal birst. Doch du wirst es wenden, wirst es beschwören, nun an ihre Seite huschend, Kai!

Aber er zögert. Gedankengetriebe – schlammgelber Mühlstrom, wehrüberwärts brausend – hemmt Tat. Gleitet nur nach, hofft sich stark und tut nichts ... nichts ..., bis sie neu in einer Haustür verschwindet, ganz fortgenommen und ausgelöscht ist und Straßenlärm, Übersturz siebenter Sturmwelle gleich, mit dem Entschwinden ihres Flatterrocks aufbrandet und schreit, da noch eben äußerste Stille den fernen Verfolger hören ließ, wie ihr Schuh am Pflaster strich.

Wieder heißt es: warten. Hinter die Anschlagsäule geschmiegt, sieht er Kommen vieler Mädchen in dies Haus, erinnert sich: »Schneiderstunde!« –, wartet, und nun endlich steht die Tür still, und da er meint: »Bald kommt sie!«, sind kaum Minuten vergangen, kaum zählbare Zeit, so wenig.

Aber die Welt hielt an, sie ruht rastend, und auch Kai ist nicht mehr als ein Wartestück noch, dem Pfahl vergleichbar der Laterne oder dem Stein im Pflaster, so zeitlos und gänzlich von Schicksal gesättigt. Steht, läßt Menschen verstreichen, steht, fühlt kaum schlummerhaftes Regen im Hirn und ist schwer voll Blei bis in jede Zelle hinein, die äußerste noch ...

Ging Zeit? Kam Mensch? Wandelte sich etwas?

Sieht dort den andern, Arne, offen am Haustor, schlendern dann, fuchteln mit dem Stock, die Uhr befragen und wieder schlendern, wie gähnend, und wieder schlendern und nun in ein Schaufenster blicken und schlendern. Denn so vieler Gedanken voll ist jener, so treibend, buntfleckig, aus tausend Fetzen Lust und Wonne gefügt; da in Kai allein doch – nun weiß er's wieder, aber als ein Stilles, Unabänderliches, in Nichts klagbar –, da in Kai allein doch jenes hinten aufgebaut ist: rötlicher Stamm, ragender, Astansatz, Himmel, Weg dorthin, Strick – weniges, eines alles dies, restlos gelöst mit Divisor Ruhe: oder Beschluß ...

Und tiefer tritt Kai zurück, späht kaum noch, wartend, da nichts mehr ihm entrinnt – und sieht plötzlich Überströmen der Straße von Mädchengestalten, Bunt von Hüten, in Schirmhöhlen gehegt, und nun auch die drei, Arne inmitten, wandelnd, hierhin, dorthin, gestenlos. Köpfe gesenkt, und ahnt Worte, Worte ...

... endgültige, endlich, denen er den Kopf neigt; und ist da Gefühl, ist's Leichte, wie ein Flügelzuck, wie ein Augenblinzeln.

Bis er schreckhaft zurückfährt, da sie an ihm vorbeistreicht, eine Blickblinde, tränentropfende Weißgesichtige, so geschäftiger Finger Besitzerin, und zitternd noch im Schuh, meint er, zitternd noch im Schuh ...

Eine Fremde jedenfalls, ausgelöst aus seinem Leben, ohne jeden Belang.

Schleicht wieder jenen nach, den beiden nun, Arne, Irene, überquert Plätze, versinkt in Gassengemenge, landet ins Freie, steht am Bahnhof und wartet, ohne Gewicht, wartet ...

Bis Arne kommt. Allein. So lustvoll männlicher Schritt, in den Hüften gewiegt, den Nacken steif und das Kinn hoch, so funkeläugig von Springleben, Blutfrische – und nun doch so sehnenzerschnitten, so gelöst, so gesackt, so nichts, da die Frage ihn anspringt, über die Schulter von hinten, nein, nicht springt, gegangen kommt, wie ein Wanderer endlich Hoffstätte betritt: »Nicht, Arne, du hast ihnen alles gesagt?«

»Kai ...! Kai ... ich ...« Und der Blick schon gesteht. Hindernis gibt es nun nicht mehr und kein Mißverständnis vor diesem dort hinten, so genau jetzt gekannt: Ast ... Strick ... Hals ...

Und haßt sich der Kai, da er doch noch sagt zu jenem Verwirrten, Zerbrochenen, Nachduft der Ruhmbeutelei von einst, irgendwie sagt: »Siehst du, nun kann ich mich er – – – schießen ... endlich Ruhe ... Dank ...«

Haßt sich, weil das Lüge ist, jedes Wort ein Zuviel, jeder Laut ein Fleck auf diesem Tod, der sonst rein wäre, ganz rein ...

Steht auf der Plattform schon der Tram, treibt fort, sieht die Geste jenes noch, die beschwörende, die flehende, und ist allein wieder mit dem, was kommt, und liebt nichts mehr und wurde leicht ...

Da er nun heimfährt, letztes Mal, das Rad zu holen, und dann weg zu sein für immer, einfach nicht mehr da zu sein ...


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