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66

Draußen durchschwingt Klarheit die Luft. Erste Ahnung des Frühlings legt Sanftes wie Samt an die Wange. Hinter den Scheiben des Fensters steht Himmel blaßblau. Die Spatzen sind lauter schon. Aber hier drinnen dumpft es wie je. In den Ecken des Sofas hocken staubige Schatten, eine Motte torkelt, und das Grau dieser Luft spinnt wie ein nie endender Traum.

Gehen Worte? Auf den Tisch sind die Augen gesenkt, die Hände im Schoß fassen einander, rechte die linke, zu beweisen: dies wenigstens ist da, warm, drinnen klopft's. Sicherlich gibt es Briefträger. Vielleicht gelangen sie bis an die Tür dieser Wohnung, ihre von Haar überlaufenen Hände reichen Briefe, aber jene, welche – wo bleiben sie? Bis hierhin dringen sie nicht.

Die Stricknadeln klappern, der lange Faden wird kurz. Auch das Knäuel rollt nicht zu Boden – im Aufheben wäre Errötung verborgen, die nun steigt, klimmt, wärmt, hitzt, Schläfen sengt, da sie spricht, die Mutter: »Nein, Ilse, wir müssen mit Herrn Goedeschal reden.«

»O Mama! Nein! Nein!«

»Vielleicht weiß er ...«

»Bitte, bitte nicht, Mama!«

(›Wohin soll man denn sehen? Wie tut man denn das, wenn man dies nicht versteht? Denn man weiß doch nicht, worum sich's dreht! Fragender Blick, versteht sich. Ein Wort auch. – Oh! Prickelblut, verfluchtes!‹)

»Laß nur, Ilse, unangenehm genug, sein muß es doch.«

In der Schreibtischlade knirscht bohrender Schlüssel, Ilse neigt sich. »Oh, Kai ...?«

»Ilse ...?«

»Ich schäme mich so ...!«

»Nichts da, Ilse, nichts zu schämen. Lesen Sie, Herr Goedeschal!«

Der Brief sticht ihm zu, spitzfingrig gestreckt. Greife ihn, Kai. Gesenkt sei dein Blick. Dieses schwarze, dünn Gezerrte bindet sich meinend; fasse Wortsinn, langsam gehe dein Auge, krampfe die Hand, nun knittere ... weiter ... Mama schaut dich an, hie und da ... spitze Augen, Glitzaugen ..., aber Ilse senkt den Blick, sie näht nicht, atmet hebend ... siehst du? ... hebend; dies ist doch da: Brust ... fasse den Sinn ... versuch's, Goedeschal ... blick auf!

»... Wie? Den Umschlag, ja? Und noch einmal, verzeihen Sie ...«

Lies ... die Stimme klang so schlecht nicht ... Erregung berechtigt ... wenn man wüßte, ob sie wissen ... ahnen, ahnen ...? Ilse? Nein, aber Feindschaft dort, nur die alte oder neue dieses wegen?

Frühlingsvorklang am Fenster, Himmel blaut.

»Gnädige Frau, ich verstehe nicht ...«

»Auch wir, Herr Goedeschal, verstehen nicht. Woher diese Gemeinheit?«

»Ja, woher! Wer?«

»Nichts gesagt hätten wir, wenn's der einzige wäre, aber elf schon ... an mich, Ilse, sogar Lotte ...«

»Und wie lange ...?«

»Acht Tage bereits.«

»Und Sie wissen nicht ...?«

»Nicht ...«

»Aber wie ...?«

Da sah Kai auf: ihr Gesicht war sehr bleich geworden, der schmale Mund zuckte, die bebenden Lider lösten Tränen von der Glänze des Auges; ungeachtet flossen sie, tropften, die Hand griff Halt; aber der gesenkte Scheitel litt! Leiden, das war's, und so, plötzlich vergessend des alten Gespitzes im Sofa, faßte er jene trauernde Junge:

»Ilse, nicht weinen ... nie kann es an dich ... Solch Schmutz! Was tut der mit dir! Fort, fort die Tränen! Hebe den Blick, es ist vorbei ...«

»Jetzt, wo du da ... morgen wieder ... der Briefträger schrillt, und wieder neu ...«

»Nein, nein, nicht neu, finden werden wir ihn, strafen! Wer tat es, welcher Feind? Was für Schmutz! So gemein! Zum Verletzen allein gebaut ... Aber ich finde ihn. Ich suche. Büßen soll er es ... diese Tränen ... Sieh mich an! Glaube: ich finde ihn!

Sei still! Er versteckt sich umsonst. Seine Schrift, das Postamt, die Stunde des Einwurfs ... ich prüfe, nicht schlafe ich mehr. – ... dann finde ich ihn ... oh, wie gemein! Wie gemein! Was will jener! Haßt er dich? Mich? Wo schleicht er? Bekannt nur oder ein Freund? Ein Ferner vielleicht? –: Wir finden ihn!«

»Herr Goedeschal ...«

»Ja, wie? Verzeihen Sie ... ja, wie ...?«

»Kein Verdacht?«

»Nichts. Aber wir werden suchen. Wer hat den Nutzen? Welchen Nutzen? Wen trifft es? Mich, Ilse, Sie, Ihren Herrn Gemahl ...?«

»... er weiß nichts! Nie darf er wissen! Er schlüge ... Ilse ...«

»Ilse!!! Aber wie? Sie doch unschuldig ...!«

»Kleiner Grund doch ...«

»Gnädige Frau ...!«

»Ich weiß! Ich weiß! Aber doch für ... ihn. Wäre Schaffner hier!«

»Schaffner?«

»Er suchte schon. Umsonst. Sagte am Ende: Goedeschal wird wissen, muß wissen ...?«

»Nichts ...«

»Kein Verdacht?«

»Keiner. Nichts zu sagen. Keine Vermutung. Erst Gewißheit. Dann sprechen ...«

»Sie ahnen?«

»Nichts!«

»Sie ahnen!«

»Gewißheit! Was ist Ahnung! Ich finde ihn. Ilse ... ich finde ihn.«

Ihr Blick stieg, Verklärtheit überstrahlte Kai: seine Kraft wuchs: »Zeigen Sie mehr!«

»O nein! Bitte, Mama ...«

»Ich muß. Wie fände ich sonst ...?« Sie prüften. Jene Briefblätter, fremde nun, geknifft, von Stempeln überkreist, ein Fettfleck – – Worte wanderten, schwer den Sinn zu erfischen.

Die Stirn überglühte: Scham war es, aber immer: Haß, Wut, Ekel!

»Ich werde ihn finden, Ilse, ich werde ihn finden ... Ungestraft entkommt er nicht, er soll sich hüten. Ich schleiche ihm, Spürhund, nach, schnüffle die Fährte. Oh! Er!«

»Warum Er? Durchaus Er?!«

»Wie ...?«

»Er ... Er ... ER ...?!!«

»Sie meinen: sie!«

»Nichts. Aber warum er? Warum sagen Sie er? Ahnen Sie? Machen Sie Ende, Herr Goedeschal, sagen Sie schnell!«

(›Was klingt? Sprich doch laut! Was ahnst du?! Sprich!›)

»Ich suche ...«

»... und nie ein Brief an Sie ...?«

»Nie!«

»Oder Ihr Freund Schütt?«

»Er sprach nicht davon ...«

»Details sind erwähnt, unsern Freunden allein bekannt ...«

»Ja, lassen Sie nun. Ich muß denken. Adieu.«

»Finden Sie bald, Herr Goedeschal. Adieu.«

»Ilse, sei mutig. Trage es. Rein bleibt unsre Liebe. Dieser Anwurf ist nichts, Ilse ...«

»Weißt du ...?«

»Nein, nein!«

»Mutter ist sonderbar.«

»Erregt nur. Fürchterlich dies alles. Begreiflich Erregung.«

»Mach mich frei, Kai! Wie kann ich schlafen. Meine Träume ...«

»Ich werde suchen. Liebe, du, sei froh ...«

»Wie soll ich?«

»Liebst du mich doch ...?«

»Doch!«

»Also froh!«


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