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68

Gleich Kirchenkerzen starrten sie, ungelehnt im Rücken, auf ihren Sesseln: die Lorenzfrau, Lotte und Ilse und dann jener sonore, qualmig etwa: Castor Schaffner. Ihren Augen schien Blinzeln entfremdet; drehten sich in den Schultern die Köpfe, war's schnappig, als klatschten Federscharniere Blechdeckel zu. Die Hände ruhten, von Protest feucht überschleimt, im Schoß. Auch stand ihr Schweiß wie ein Prickeln in der Luft. Die Schläfen höhlte konzentriertes Denken tiefer.

»Verdacht ist das«, klang es in Kai, schabte kratzend die Knochen zu durchsichtigem, leicht splitterndem Porzellan; schlenkerte er jetzt die Hände, flögen sie fort. »Gestehen! Wie? Nein! Diesen ...!

Doch ist Ilse gut. Qual gibt ihren Gliedern Regsamkeit, unter den Kleidern zuckt es; von Wind aufgekraust fröstelt Teichwasser so an Nebelmorgen, wie Liebesschmerz ihre Haut huschen macht ... Sie glaubt ... denke ich ...«

   

»Schöner Tag heute?«

»Schöner Tag, Herr Schaffner. Die Luft streicht weich. Zum Ausgang lockend. Vielleicht kann Ilse, gnädige Frau ...?«

»Ilse kann nicht! Kann nie mehr! Konnte zu viel ... das Ergebnis ...!«

»Strengste Befolgung der Moral sichert allein unangreifbare Position!«

Schaffners Mund ging zu; den bläulichen Himmel prüfte Frau Lorenz, herb zwar, mißbilligend beinahe für den Moment, jedenfalls fremd, doch in der Leistung anerkennenswert.

›Das ist‹, klang's in Kai, ›als setzen sie Wände um mich zum Erdrücken, Absperren; näher solche tragbare Wand mit jedem Satz.‹ Und da er Frau Lorenz armgespreizt Paravents tragen sah, glomm Lächeln. ›Das ist gar nicht schlimm, nur vorher ist Angst, drin kühlt's wie Bad. So selbstverständlich. Man ersauft nicht.‹

»Sie sind gesprächig, Herr Goedeschal ...« Frau Lorenz lächelt, aber wie Gift ist das, als schnitte es schmerzend.

»Silberlustig, auch gelüstig.« Schaffner wartet, lächelt als Ersatz für die Runde, dann: »Reden – Silber.«

»Und dann: warum nicht? Das ehrt ja! Sicherer jedenfalls.«

Wie Kugeln schießt es Frau Lorenz, klappt den Mund, als sperre sie entschieden Drängendes ab.

»Natürlich, so ein junger Mann ...«

Kai läßt den Blick wandern, aber die Augen der andern behaupten alle: Kai Goedeschal ist nicht. Er lüftet die Schulter. ›Nun ja, Direx war schlauer. Totreden ist mehr als dies. Hier die – Holzgekasper ist das!‹

Süßes Geflöte: »Nun, Herr Goedeschal ...?«

Und da er links spürt, wendet er den Kopf: ihr Blick ist aufgegangen, ein Mond, der Liebe heißt, fremd jenen dunklen Wipfeln, deren Äste ihn werden halten müssen, senkrecht hängenden, daß sein Scheitel nächtens die Sterne schabt. Blicke singen:

»Ich liebe!«

»Dank, du!«

»Ich glaube!«

»Dank, du!«

»Kämpfe!«

»Ich siege!«

»Dank, du!«

Da er den Stuhl vor sich stößt, auf die Lehne gestützt, ist das Zimmer fort. Aus den Wäldern weht ein Wind, der seine Frische Quellen entnahm, die ungesehen sprudeln. Der Roggen gilbt schon, und hügelan auf dem Rain ziehen Schnitter, die in den Hüften schaukeln. Unbedingtheit der Natur, selten getrunken, taub gefühlt, entsproßt dieser Stadtzimmerstunde fängerischer Lüsternheit. Hier gelten nicht mehr menschliche Formeln, in Tuch gewickelte, doch sagt der in die Nüstern der äsenden Ricke stoßende Wind: Freund oder Feind –, und Konsequenzen zu ziehen, sind wir stark genug.

»... Dank, du ...«

»Nun, Herr Goedeschal ...?«

Blick gedunkelt, Hand gekrampft, leises Wort sorgsam geprüft: »Ich verstehe nicht, gnädige Frau. Ich mag nicht verstehen.«

Die Lider sind da, senken sich, Stille kommt.

»Herr Schaffner!«

»... Herr Goedeschal, berichtet ward: auf Ihrem Gymnasium herrscht Kenntnis fraglicher Briefe. Wer brachte sie?«

»Schwieg man so? Da auch Sie ... Und Klotzsch? Und Lehmann? Wissen sie nichts? Und Schütt fragte mich, eine Woche ist's her, was denn mit diesen Briefen für Bewandtnis?«

»Ihr Freund Schütt??!!«

»Schütt ist Freund Fräulein Reisers ...?«

Stille.

(›Sieg! Kein Jubel jetzt, noch Geste des Feldherrn ... Weiter! Doch werde ich herrschen.‹)

»Aber bitte setzen Sie sich doch, Herr Goedeschal!«

»Danke verbindlichst.«

»Wenn Sie nicht wollen ...«

»Aber wenn Sie es wünschen, gerne.«

Und saß nun, mehr noch Sieger.

Plötzlich lag schräg zum Tischrand ein Briefpäckchen. Schaffner überstrich mit leiser Hand Deutung seines Gesichtes. »Siebzehn Stück. Ihr Inhalt verrät, so vorsichtig auch gewählt, daß Intimer des Hauses allein Schreiber.« Die Köpfe bestätigten scharf.

»Und Sie, Herr Goedeschal?«

»Ich kenne nicht alle.«

»Ausweg! Bekanntes genügt. Ge-nügt. Intime des Hauses: Lehmann, Klotzsch, Goedeschal, Schütt, Mehrenbach, Breithaupt, Seeger.«

»Und die Damen?«

»Damen, intim diesem Hause, schreiben solches nicht!«

»Ich danke im Namen der intimen Herren dieses Hauses, zu denen auch Sie gehören, Herr Schaffner.«

»Diese Schärfe ...«

»... ist berechtigt, da Sie ...«

»Meine Herren!«

»Gut!« Übergang schien Schaffner schwer. Dann langsam: »Man hat Fälle der Selbstbezichtigung ...«

Das schoß als Blitz: Empörung, Spott, Gleichgult?

»Also Fräulein Ilse ...?«

Da schrie es!

»Herr Goedeschal!«

»Ich verbitte mir ...!«

»Aber, Kai ...!«

»Ah so, Sie meinten mich ...?«

»... unerhört ...!«

Standen, drängten, Formen zerbrachen; jemand, nicht auszumachen, wer, schrie: »Sie! Sie! Sie!«

Totenstille stand.

Die Glieder fielen, lähmend gehackt.

Kai zuckte die Achseln.

»Lächerlich ist das!« Zu Schaffner gewandt: »Auch der Theologe sollte fragen können: cui bono? Wo mein Nutzen? Wo? Da begreiflich wäre, daß nach diesen Briefen mir wortlos das Haus verboten! Wo denn, Geehrter? Kriechen Sie heraus!«

Rückzukehren zum Sitz schien zu schwer. Sie stand, achtsam geneigt, ihre Ohren lüstern nach Fang von Überton; doch spürte Kai Müdigkeit schon jener, da der Fremde entglitt. Und so hob er den Blick, sonnenaufganggleich sagte der's: »Du! Sieh! So liebe ich dich!«

Da doch schon in ihrer Antwort auch seine Kraft erstarb und den funkelnden Triumph schleierwerfende Trauer hetzte. Sie litt am Zweifel. Sicherheit, nicht Liebe war Begehr.

Müde auch nun er. Vergeblichkeit erfühlt. Endliches ungeregelt wie je. Zurückgekläfft diese, entblößte Zähne, doch bald schon schnüffeln sie neu ... und dann? Ist Kraft immer ruffolgend? Lahmst du nie, Kampfgaul?

Nicht höre ich Ruf.

Meine Fessel schmerzt. Das Hufeisen drückt.

Schaffner drehte sich. »Bleibt Schütt.«

»Nun ja, Schütt. Warum nicht? Cui bono, Herr Schaffner! Theologie – nicht? – gestattet Verdächtigung ohne Beweis? Guten Abend.«

Auf dem Gang allein. Dieses Aufatmen! Die Hand streicht vom Gesicht Maske und Glut. Der Körper sackt. Und das Herz trommelt immer noch ein Echo seiner Sturmwirbel, fern, fern.

Dann sie! – Ihre Arme – zielfeig – wieder einmal versunken.

»Ich liebe dich, Kai. Du bist so stark!«

(›Nütze es! Wer an sich glaubte! Aber selbst Arne täte dies nicht: Arme um den Hals, Kuß auf den Mund!‹)

»Stark? Nein. Ich mag sie nur nicht. Möchte ich sie ...«


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