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70

Starraugen ins Dunkel – brennen, und er schließt sie, da doch im Deckelklappen der Lider Huschebewegung schattenrissiges Gemöbel antanzen macht. Wieder auf! –: alles wie sonst, nichts verändert. Doch die Füße wie Eis – an die Heizung, deren Röhren längst nicht mehr warm sind. Kältegekrümmte Sohle schleppt kaum ihn ins Bett, das zu riechen scheint, kalt-laulich; die Knochen gebrochen, Hirn drückt an die Stirn, die Finger sind blutlos, unkrümmbar. Selbst das Zentrum durchkältet, frostgepickelt.

Und Speichel zieht fädig im Mundwinkel. »Keine Briefe mehr ...«

Doch da sagt es, irgendwoher: »Du schießt dich doch nicht tot!«

»Ruhen ...!« Sein Murmeln: »Darum ist es, ich werde es tun!«

»Nein«, beharrt man.

»Ah! Du willst mich reizen dazu ...?«

»Ich denke, du magst sterben ...?«

Liegt so, Uhr tickt. »Was wird morgen?«

»Kommen sie näher? Schaffner ... Sie glauben nicht mehr. Nein, dann bleibt nichts wie Tod. Rechne doch: diese Summe von Gesten: Eltern, Lorenzens, Konpennäler, Ilse, Schütts, die Dienstmädchen ... Keine Straße mehr blickleer ... Denunziant!«

Krümmt sich, Rücken den Blicken zu bergen, hustet, Laut ist verschluckt, war nie da.

Stille marschiert. Hirn haspelt Bilder. Lippen wälzen Tonloses. Der Gaumen schmeckt abgestanden. »Morgen! Nur Morgen!«

Zittert. Bebt. Zittert. Zittert!

»Hilfe! Es kommt. Unwirklich ist das: Tod nur Gerede – alles kommt anders!«

Brüllt das Zimmer – Licht zuckt wie Blitz im Schrei –: »Der Revolver!«

Er schweigt, überlistet. »Revolver, ja? Wozu bestellt? Zum Töten? Ich tue es nicht? – Warum also? – Doch! Ich tu's! – Ich glaube. – Ich glaube nicht. – Ich weiß nichts. Treibe ... weiß nicht wohin ... Zur Vorsorge ist das ... Falls es doch nötig ...?«

Schwärze, Überschwärze wälzt vor die Augen sich. Herz trommelt im Hals. Schläfen bersten.

»Krämpfe immer den Leib, nutzloser Ring. Rettung das nicht! ... Beichte!«

Warten wölbt sich zum Trichter, der ihn ansaugt, aus der Haut Beulchen zerrt, gesogene ... »Flucht ...«

Steht: ärmlicher Leib, Hemd zu kurz, beinzittrig, schlappende Pantoffeln ...

Tastet draußen ... Zimmertür versperrt – drinnen tost es, Aufruhr spottet seiner, – er fühlt es bis hier ...

»Wohin ...?«

Tür an Tür ... Bekanntes – Unbekanntes ...

»Erna ...?«

Schleicht, schleicht, Beschuhung bleibt im Winkel, die Lenden schwellen, die nackte Sohle schleift trocken am Boden ...

Neigt das Ohr: »Atmen? Atmen?«

Es zieht langsam, seufzend, schnüffelnd, stoßend, ächzend ...

Sie wirft sich im Bett um!

Dann wieder zieht's ...

Hitzeschauer peitscht nun leibauf, leibab. Die Haut rutscht wie bei fliegenscheuchenden Pferden ...

Knarrt die Tür? Die Tür knarrt nicht, aber – die Klinke knackt!

Herz stürmt! Das hört man! Krümmung, um zu dämpfen, Hände auf die Brust, zu dämpfen den Schall, Atemhalt, daß sie nichts hört ...

Nun lehnt hinter ihm die Tür zu. Die Luft schmeckt noch offenen Poren, auch die seinen triefen schon. Jenes Fleisch steigt, da er sie atmen hört, laulich nun und sanft; ja, wie besänftigt durch seine Nähe geht zage Melodie von ihr ...

Näher!

Nein!

Näher steht er. Hand streift fingergespreizt. Schrickt! Flieht ... Nichts! Ein Federgestopftes ...

Neu!

Nein!

Wieder geht Hand, zwischen den Fingern verschweißt, sucht ... sucht ... sucht ... – tut einen Triller zur Decke! Flieht! Flieht! Flieht! Flieht – da Schwellweiches anstieß.

Nun steht Atem und Herz zugleich.

Hand bleibt oben und läßt aus zuckenden Nerven diese Treffgefühle eben tropfen, sinkt dann, sinkt – kein Wille zu halten sie da –, sinkt, wieder da!

Ruht – Beine, nicht? Wade, nicht wahr?

Fingerspitzen wölben sich blutgeprallt.

Lider sinken. Mund halb offen. Speichel tropft.

Er weiß alles von sich, von jenem, der dort steht, während er – immer wieder und stets! – rein ist!

Hand geht. Schreck eben noch – nicht mehr genug. Finger schleicht streichelnd über Fleisch, so warm, weich, prallig, verachtet das Knie, kreist drüber und findet wie Nervenantwort Entgegen-Geschwelle innenseitig am Schenkel, geht, geht – schrickt noch einmal, da das Bein sich regt, klotzig sich spreizt, mehr sich ihm bietet ...

Haupt neigt sich: Duft, Geruch, ächzender ... Was nun? Haar ...

Schlafgurgeln, Torkelgespräch, Zungengelall: »Wer ist da?«

Da die Tür des Zimmers schon wieder sich schloß, aus dem Winkel die Pantoffeln, Heimstatt schon die eben verhaßte Stube, Schlüssel im Schloß, ins Bett, das noch Wärme birgt – Heimat!

Müdigkeit. Gedankengegängel. Ermattetes Lächeln. Morgen aber? – Denk nicht dran! Jedoch dies: »Nicht wahr, du schläfst gut, Kai?«

»– Eltern wissen nichts. Wohnen im Gelobten Land, ich wandere Wüste.«

Schläft. Lächelt im Traum. Krampft einmal die Hand. Aber die Schwärze tilgt den Aufschrei seines Schlaf-Gesichts, der »Gnade« heißt, »Nichts-wie-Gnade«. Tilgt ihn, niemand kennt ihn, wohl er selbst nicht?


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