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49

Am Ende aller Dinge stand das Bett, weiß gebreitet, höhliger Einschlupf. Nun umfing es ihn wieder, im Dunkel schmiegten Laken und Federn den Leib: kühlende Tröstung.

»Noch bist du da, Kai. Dies Atemgewölbte, das Geschaftete, die kleinen Spiele der Hände – sind mein. Und der Kopf, der seine Form in die Kissen wiegt, glimmt von neuem. Ich glaube schon. Noch ziehen grünschwadig irgendwo in ihm Dämpfe, aber bedenken ... Ja, es geschah. Sie ist ausgetan und fortgewiesen, diese Kleine, deren selten entblößter Blick zu leisem Erschauern die Brust und Tieferes lockte. Ich schrieb ihr, das weiß ich, anläßlich ...«

Kai wühlte die Schulter zur Seite. Die Knie emporgerissen, spürte er tief zu den Zehen ein gläsern klingelndes Rieseln, anzuhören wie zager Splitterschlag zweier Eiszapfen in fuchtelnden Jungensfäusten.

»Ich schrieb ihr, matte Zeichen. Nie mehr werde ich dort in der Stube sitzen, auf das Gas lauschen und das Hingleiten beruhigter Reden. Dies Auge hebt sich anderen zu. Ihrer Freundschaftstreue dankten zum Beschluß Worte, die da und dort beißend ihrer süßen Umhüllung entschlüpften und sich gegen sie kehrten. Ich nun, der ich ihre Herzhaut ritzte, fühle in mir schwächendes Versickern eigenen Blutes, Aufgang lippiger Risse und Dunkel, so sehr Dunkel ...«

Er sah starr zur Decke, auf der ein ungewisser Schein bebte, seine Hände suchten. »Wieder bin ich allein. Jener Abend weit entrückt, da Arne mich fortzog, auf der Straße die Blasse, dann die Geneigte, und – oh! – der Sonntag am Feuer, grau flattert der Zettel; und nun an den Schluß gesetzt dieser Nachmittag heute im Park; – welch rascher Anstieg, wie nah das Ziel! Nur ein wenig Mut noch! Ein wenig Zugriff! Vertrauen! – Nichts! Sie entglitt. Unstarkem entglitt der Moment zur Umkehr. Was denkt nun sie?«

Er horchte, beschwor ihr Gesicht: nichts. Blasses, Verblaßtes wollte sich ballen, trieb um: nichts. Er formte die Hände. »So ... die Pulse an ihre Schläfen gedrückt, daß das Klopfen der Adern ihres sein konnte wie meins, ihr Gesicht nah, schräg erhoben, der Mund aufbrechend über den feucht glänzenden Zähnen – ah ...!«

Es war fort.

»Ich werde es nie können ... Aber du, du, Ilse, warum tatest du es nicht? Ahntest du wirklich nicht das Ziel meiner Bitten? Sag!«

Alles schien so leichter, wenn sie wußte, – selbst Rückkehr in dieses Haus, das die nachtmahrgleiche Verkrampfung seines Ich gesehen.

Er verschob das Hemd, betastete die Brust, seine Hand hörte Herzschlag auf Herzschlag, unbeteiligt gehämmert. »Liebe du ... weißt du denn nicht ...?«

Nein, sie wußte nicht. Auch nicht von fern hatte ihr Antlitz der grün verzerrende Glanz jener Fackel überhuscht, die der Feind in listig verkrampfter Faust trug. »Ich allein bin sein Knecht, sein Spielding; ein Zuckebold, der an Strippchen tanzt, heute zu Rausch und Taumel verlockt, aber die morgen nach der Erfüllung langende Hand unbegreiflich zurückgezerrt. Finde ich nie die Waffe, die ihn bekämpft, und, mit ihr, der Eigenheit Lösung?«

Fort war auch dies. Ein rascher Schauer, plötzlichem Hagelschlag gleich, überprallte den Leib. Faltiges Zucken schepperte ihn, hier und da, an der Außenkante. Kleine, blödsinnig glucksende Kehllaute pufften aus seinen Lippen, und während er die Lider preßte und Finger abwehrend verkrampfte, sah er sich doch zum andern Mal jener Wand gesellt, deren abgestandener Duft neu plötzlich und breit seine Nase füllte; die Knie verbogen und einsinkend; doch gegenüber wußte er nun ihn, der durch die Mantelfalten sein Gesicht gesehen, den Glänzenden, Spiegel und Feind, Spiegelfeind.

Und ein Unverzeihlichstes schien es jetzt dem harngedüngten Boden dieser Erniedrigung zu entschießen, daß einer, jener sein Gesicht gesehen, das unverzeihliche Gesicht der Schmach.

Nie waren die in jenem Glase gefangenen Erinnerungen zu verlöschen, nie zu leugnen oder vergeßbar, was geschehen. Die dann und wann im Toddunkel blitzschnell erschaute Gestalt des Feindes, verkrampfter Klumpen, wandelte sich nun klar in das graustaubige Glas eines Spiegels, im Rahmen einer rot gekehlten Leiste, aufbewahrt von jenen Schleifröcken, die ihn verjagt hatten – bis in diesen Ekel hinein.

Da erhitzte er Drohungen in sich. Die Zähne gepreßt, stieß er Empörung, Fluch ihnen allen, den Zerstörern.

»Die Mutter ... aber auch jene Breite redete kaum: ›o Mutti!‹ – das alles?«

Aufschnellend saß er, über die Tür raspelte eine Hand, im Drückerschloß knackte es. »Sie kommt! Um Verzeihung! Alles gut ... alles gut ...«

Das Dunkel blieb, so sehr die brennenden Augen sich mühten. Aber ein Knittern schien an der Tür zu sein, und nun wehte es her: Laues von Atem.

Er fiel zurück. »Sie ...? Wer wird es sein ... Mama ...? Mama ...?!«

Still. Das Blut sang im Ohrloch. Schwoll flutgleich. Nichts. Aber noch wehte es, stärker nun, dort drüben.

»Mama ... bist du es ...?«

Ein kleiner Klicklaut fiel an der Tür.

Stille. – Plötzlich bestürzte die Schwärze als Stahlblock seine Brust. Ein bewegliches Zittern riß im Kehlkopf, seine Hände feuchteten sich ...

»Wer kann es sein ...?«

»O, bitte, bitte!«

»Vielleicht ist es doch Ilse. Eingeschlichen! Das Mädchen bestochen. Nun hier. Scheu ...«

Die Augen brachen auf. Im Blut trieb weißlicher Schaum. Er rieb Lippe an Lippe. Aber die Worte zerfaserten, die Zunge stieß torklig am Gaumen, quoll, schwoll ...

Indem er die Lider klappte, wieder und wieder, beschwor er die Kraft zu fragen, in die Wangen fraß es Löcher ... ach!

Er fühlte sein Leben in dem: Aufgebreitetsein in der Nacht und den Atem der Bedrohung zu den Nüstern stoßend – Hilfloser!

»Muttilieb ...«

Da wogte es klotzig, ein Luftwirbel zertobte das Dunkel, schwer, massig Gedunsenes stürzte an seine Seite, Hitze überspülte Gesicht und ein Volles, Klaffendes verwirrte die kühle Geschlossenheit seines Mundes. An der Stirne kitzelte Haar.

»Erna!«

Aber ihr Mund saugte den Schrei auf, stieß Atem in ihn, ihre Arme belegten die Brust, verwühlten den Deckenrand, entblößten ...

Kühle überspülte Weißes, Luft, Windzug vom Fenster her.

Und ward zugedeckt von dem zehnfingrigen Getappse der Hitze, das die Rippen brannte, über das Weiche des Bauchs sprang und im Nabel kreisend, höhlend verhielt –

Kaum! Denn schon ging es weiter, glitt, glitt, gezogen, schwellte, griff um ...

Und da riß es Kai zusammen, klappte ihn auf, schloß ihn, seine Faust ballte Feindschaft, fettsträhnig zügelte sie Haar, riß, riß, riß ...

Sie schrie, leicht und hell, irgendwo weit weg ...

Noch stieß sein Fuß, über das Gesäß rann die Kühle von Entblößtsein.

Aber schon war das Zimmer entleert, und die Tür war längst zu, lange und längst, längst ... längst! Längst!!


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