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31

Er warf den Rucksack zurecht, übersprang Böschung und Graben. Der aufgedunsene Acker klebte unförmige Tonklumpen um seinen Schuh. Dem am Rand des Schlags über den Graben Springenden entglitt plötzlich der Boden: unterm Fingernagel Gras, das Gesicht glühend, trat er im Aufstehen sich die Füße: »Paßt auf, ihr Lumpen! Paßt doch auf!«

Über den Wiesen glänzte Wasser. Eisige Pfützen klirrten im Betreten, näßten seine Beine zum Knie. Auf dem feuchten Gras ausgleitend, stürzte er drei-, viermal, während der Rucksack ins Genick schlug.

Und nun waren Hindernisse da, nun, als schon näher die Röcke der Mädchen wehten, als die Melodie eines Marschliedes, noch kaum geahnt, ihn eilen ließ, zweifelte er: »Wie laufe ich ihnen nach! Klotzsch wird spotten! Und Ilse – in diesem Aufzug vor ihr!«

Unmöglich schien es: unter sie laufend, alle Gesichter ihm zugedreht, musternde Blicke, durchnäßte Kleider, dieses erfrorene Gefühl in den Fingern, – und jetzt reden, den Mund auftun, erklären, sich unter sie mengen, der er eben noch ganz allein gewesen war mit den Bäumen, einem nur für ihn aufgezogenen Himmel und den endlos sausenden Windmelodien. »Nein!«

Zögernder, an die Büsche gepreßt, langsam im Schritt, folgte er ihnen ferne. Dunkel aufquellende Trauer über so gänzliches Machtlossein lehnte ihn an den Stamm eines Baums; und jetzt, in das saugende Steigen all dieser Unklarheiten, war er erlösungsreich, jener halb unwillige Ruf: »He, du! Kai! Wo kommst du denn her?«

Den Büschen entkroch Klotzsch, das stopplige Kinn unterweht von den Spitzen eines roten Taschentuchs, mit den Fingern am Hosenträger knöpfend. »Nanu?«

»Gott sei Dank, Werner! Ich dachte schon, ich fände euch nie. Zug versäumt.«

Klotzsch zögerte; dann, nähertretend auf dem Bohlenbelag einer kleinen Brücke: »So eine Eselei, uns nachzufahren! – Besser, du kehrst um.«

»Umkehren ...?!«

Ferner schon wehten die Kleider.

»Ja, du, Kai.« Sehr vorsichtig: »Wir sind nämlich schon zwanzig. Mehr dürfen nicht mit.«

»Jetzt noch umkehren!«

Der Herweg war da und dann das Zuhaus – drüben die Mädchen. »Es kann dein Ernst nicht sein?«

Schon schien Klotzsch stärker. »Du wirst doch nicht mitgenommen. Also mach gleich kehrt.«

»Aber nein!«

»Ich bitte dich darum.«

»Was kann dir daran liegen?«

»Wenn ich dich schon bitte, Kai.«

»Völlig außer Frage! Lächerlich, noch darüber zu reden! Ich verstehe dich nicht.« Dann, rascher: »Hast mich doch selbst eingeladen!«

»Du weißt recht gut ...!« Rot überkam es Werners Gesicht. Die Hand hinter sich, ihm ganz den Weg vertretend, stand er Kai gegenüber, während ein verlegenes Lächeln Trotz wurde.

Sie schwiegen lange. Jeder wartete. Erstes Wort schien schwerstes.

Schärfer, als er wollte: »Also kehrt, Goedeschal!«

Kais Fuß tastete nach den Brettern des Steges. Vorsichtig, probierend: »Du kannst mir nichts verbieten. Ich gehe, wo's mir paßt.«

Werner spürte am wegwärts gedrängten Arm stärkeren Gegendruck.

Kais Handgelenk war gepackt.

»Laß los, Klotzsch!«

»Kehrt! Dummer Kerl! Ich will dich nicht! Meinst du, ich spür's nicht, wie du Ilse nachläufst?«

Weich, – schon schien Zurückgehen nicht mehr ganz unmöglich: »Mach keine Dummheiten, Klotzsch! Was geht mich deine Ilse an!«

Ganz weit vorn sah er sie. Wandte sich zu Klotzsch: »Nun?«

»Ich glaube dir nicht! Du willst nur zu Ilse!«, und er zerrte stärker.

Den Körper zurückgelehnt, versuchte Kai mit der freien Hand den Griff zu lösen. »Werner, ich bitt dich!«

»Ach was!«

Der heftige Riß am Gelenk schmerzte, in der Tasche wühlend, nun das Messer über Werners Hand: »Laß los, sage ich dir!«

Nachgeben wär nun Feigheit. »Mach keine Dummheiten, Kai!«

Schmerzende Quetschung löste Schrei und Schlag: »Laß los, du Vieh!«

Doch schon da, noch das Zucken in der Hand, wußte er: ›Nur der Messerrücken ist's. Nur der Rücken. Nichts kann geschehen.‹

Und vorgebeugt, schneller atmend, sah er den rötlichen, flachgewölbten Handrücken, der sich langsam auftat: schmaler, entfärbter Mund, kleine Blutstropfen traten auf den Grund des Einschnitts und – – – dann überquoll es die Lippen, die Hand beströmend war Rot da, immer mehr Rot, schon lief es über, nun berührte es seine Hand, sie entglitt Werners Griff.

Wie plötzlich ganz blind geworden, hob Kai die Finger zum Gesicht, betrachtete sie, ohne Verständnis.

Dann, sie unmutig auf dem Rücken bergend, wies er mit der unbefleckten Hand auf Klotzschens Blut, stammelte: »Da ... da ... was da nun geschehen ist!«

Klotzsch, sehr bleich, weinerlich: »Da siehst du, was du getan hast! Hilf wenigstens. Dein Taschentuch in die Pfütze dort. Leg's über die Hand.«

Kai bückte sich; doch, als er die blutende von neuem sah, ganz überströmt, das Hemd unterm Ärmelrand schon braunrot befleckt, wich er zurück, schrie: »Nein! Nein!« Sah noch einen Augenblick starr auf Klotzsch, drehte sich, das Geländer streifend, und stürzte davon.


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