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10

Dann, ehe noch die Weckuhr schepperte, war in seinem Halbschlaf der Wind vor den Fenstern und das schräge Stricheln des Regens auf die großen Scheiben. Und ein wenig Schule trat in seinen Traum und das Graue, das mit Nassem abgewischte Kalte – Sallust, »Bellum Catilinae« (»so sterben! so sterben!«), und nun der Wind (»mutterwindallein«), aber schon war dies blässer geworden, die lockeren Gedanken vergingen, eine Wärme stieg auf, sein Bett war erfüllt von Hitze, seine Arme und Beine lösten sich und hoben sich irgendwie auf, einen Augenblick war ein Druck von innen gegen die Stirn da, die Augäpfel drehten sich unter den Lidern ganz um, als wollten sie nach innen schauen. Und während ein Kreisen begann aus vielen Farben, ein Summen wie von der fern durch den Sommer sausenden Trommel einer Dreschmaschine, gingen Blüten in seinen Lenden auf, fleischige, rot verknorpelte Blüten, die zu atmen schienen. Nun lockte es, sie mit den Fingern zu betasten, doch verkrampfte eine Angst die Hände zu einem unlöslichen Knoten, denn diese runden, fleischigen Blumen –

Der Wecker klingelte, schrie, bellte. Ein plötzlicher Schwung warf Kai im Bett herum, so daß er, auf dem Rand sitzend, um sich tastete. »Still du! Der Tag ist wieder da. Wieder ein Tag!«

Vor den Fenstern kaum ein Dämmern. Die Bäume auf dem Schmuckplatz am Hause verwaschen, trostlos. Ein halb abgerissener Ast hing mit gespreizten Fingern zur farblosen Erde, eine weiße, lange Wunde, von geschlitzter Rinde umhängt, war stumpf wie der Geschmack an seinem Gaumen.

»Wieder in die Penne. Das da draußen, vorhin die Träume, und wieder in die Penne. Gestern abend, die Nacht, Ilse, die Erschrockene, meine Flucht, der Spiegel – nun, da eine Nacht darüber hinging, sind sie schon so weit fort. Nichts blieb. Keine Änderung? Keine Änderung!«

Die Grauheit dieses Morgens, diese Trostlosigkeit, die Kälte, die mit einer wie gerupften Haut die ihm noch vorhin zu eigen geschenkte Wärme verhöhnte, ließen sein Gesicht schwer werden. In seinen Augen lastete ein Druck. Während er sich anzog, dachte er: »Nur Ziele könnten über solche Morgen helfen. Ziele. Etwas tun. Leben beweisen. Sich selbst. Wo sind die Ziele der Penne? Weg, weg, draußen, irgendwo, ich sehe sie nicht.«

Trostlosigkeit, Trauer um nichts, die Wunde am Baum, graue, stichlige, irgendwie verfettete Kleider, die bei Berührung in den Fingerspitzen schmerzten – eine Lust überkam ihn, ein Bein auszurecken, strecken, dehnen, wie er es auf dem Bild einer Tänzerin gesehen, daß er aufrisse, aufspalte zwischen den Beinen, ein neuer Mund, atmend, blutig, Leben. Er trat ans Fenster. Ein zerstreutes Licht fiel durch die Wolken auf den Platz, es wurde heller, ein herausfahrender Windstoß jagte in der Ecke am Tor einen Haufen verwelkter Blätter auf, trieb sie auseinander und wirbelte sie die Straße hinab. Ein weißer Spitz lief rasch auf drei Beinen über die Rasenfläche, zwängte sich unter dem Gitter durch und verschwand in einer offenen Haustür. Die Schritte der Vorübergehenden schienen fester, ihre Bewegungen entschlossener und stärker.

»Was nutzt es, heute das Pennal zu schwänzen! Besser, ich gehe. Es kommen noch so viele Tage. Und es wird auch heller.«


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