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44

Das Schlaflose lag graulich wie Meer. Unendlich sich dehnend, bespülte es allseit Kai, lautfremd, und schon im Ertrinken, sah er über sich aufblitzen: weiße Hände, im Beten gebärdet, möwenflügelgleich. Sie flatterten auf über das Graue, und Angst war es, die Emporwurf befahl über Drohendes fort in Weitheit einer Wölbung, doch ohne Rettung.

Frühnebel bespülten die Wiesen. Ihre flockigen Schleier umzogen, wie betautes Gespinst von Spinnen, nässend die Stämme der Bäume, sie nisteten sich ein in den Ästen, und ihr taubes Silber entfärbte den Boden, bis er drohte.

Man versank darin. Keine Rettung kam, und wußte man schon oben drüber Blau, Sonne und gar Lerchengetön – hier unten lag man, und das Wissen half nichts in der Angst, im Grauen zu sein, einer lautfernen Welt geliefert, die gebärdenlos bedrängte, umspann, probend die Haut besog.

Und, wenn Kai den Blick auftat, – nun blähte das andre: einst sein Zimmer; unförmige Holzkloben entdrohten schwärzer dem Schwarz; ihre Konturen lösten sich, und mit einem Zucken, das ihre zu Schubladen geschweiften Bäuche überlief, waren sie näher, sie umdrängten die dämmrige Verfärbtheit der Laken, sie überhängten sein Haupt, und indem sie nur geahnte Lider klappten, schien ein Grinsen ihre Zerformung zu entblößen; ihren Atem, einen getrockneten Kiefernatem, ließen sie raspelnd über die erschauernde Weiche seines Gesichtes streichen, und ihre Hände, ihre noch verborgenen, aber schon gewußten Hände, deren Knöchel aus Astholz gedrechselt, stritten nur noch darum, welche zuerst die Sehnenbebung seines Halses umwerfen dürfte.

Kai schrie. Er wußte: er schrie.

In ihm sog es an, aus dem Bauch quoll es auf zur Lunge, überdehnte das Gefüge der Brust, durchpfiff stürmend die Tunnel des Halses und entbrach trompetig lippenblähend dem Munde – aber die Schränke, die Stühle, die Tische, der Sekretär zogen ihn ein, und der Schrei ging; aufgeschluckt und leergefressen ließen sie ihn, mit eingefallenem Bauch, dessen Nabel bebendes Gefältel umzog, während ein Schweiß aufging und die letzte Bindung der Glieder lockerte, löste.

Und nun, indem sie sich alle beugten, schlugen sie seine Augen zu, sie stürzten ein, kantig erfüllten sie Brust, drängten die Lunge, verletzten das Körnige des Hirns und blähten gedunsen den Schlingschlang der Därme. Sich öffnend, entließen sie ihren Fächern und Höhlungen Käfer, kleines, vielfüßiges Gekrabbel, Denkgetier, fremdes, und überstürzend ballten sie sich klumpig, ihre hornigen Flügeldecken erhoben Gesumse, seinen gänzlichen Verlust zu erhärten.

Kai regte die Hände. »Ich bin noch da! Neben ihnen allen flehe ich: Rettung! Über ihre Stimmen meinen Schrei setzend, flehe ich alle an: rettet mich!«

Da wies Arne den Brief. –

»Nein! Ich habe Reinheit gewollt! Liebe von Margot lag mir nicht an. Als sie sang, war sie schön, und dies war es: ihre Schönheit hinausreißen aus dem Gelächter-Beschmutzten des Nachtcafés in Sonne und Blau, das war mein Wille!«

Das Briefblatt schwankte. Eine Hand schien darauf zu schlagen, die Buchstaben überstürzten, unbegreifliche Zeichen bildeten sie tanzend.

»Ich war es nicht! Nächtens, nicht faßlich verlockt, schrieb ich Ungewolltes! Nie Gewolltes! Verachtetes!«

Dann flehte er fiebernd: »Ich bereue! Ich bereue!«

Aber seinem Flehen hielt das Briefblatt stand, Wind überwehte die Seiten, daß sie sich öffneten und auseinandertaten, in einer seltsam erhitzenden Weise; sie zergingen, und näher dem Flügelgereibe das Ohr geneigt, entklang ihm nun der Befehl zu neuem Brief.

Kai führte die Finger an die Augen. »Noch sehe ich nichts. Der Morgen ist fern.«

»Soviel Zeit zu erliegen! Aber ich tue es nicht. Denn dies hieße ihn rufen, ihn anerkennen, der, jetzt noch ohne Recht, mich beherrscht.«

Er warf sich fort. Er übersprang dies. Einem Neuen zutaumelnd, erkannte er wiederum Arne, das Haupt geneigt und Worte flüsternd, Worte ...

Dunkler überdrohte es schon Erlittenes, im Tanz der Rätsel trieb der Freund, Margot im Arm, und Unbegreifliches geschah.

Mochte Kai prüfen, mochte er Erlesenes, Erfangenes, Erahntes berufen, das letzte Rätsel blieb zu.

Was taten sie? Welche entsetzenswilden Geheimnisse entlockten sie ihren Leibern, ihrem Sein? Wie verschränkten sie die Finger? Wie fügten sie Mund zu Mund? Welchem unbegreiflichen Dienst widmeten sie ihre Hände, doch zum Fassen geformt, ihre Beine, nur zum Gehen gestaltet?

Jener wußte es, Arne wußte es! Aber hier, überschäumend im Einsamen, lag allein: Kai. Und ob er sich dem Erahnten zuwarf, ob er prüfte und die Reihen der Gedanken durchflog, fieberhafteren Fußes jedes andere Mal – er fand nichts.

In das Wattige fiel er, Nirwana gähnte und die Rätsel blieben, heute wie gestern und immerdar.

Die Rätsel blieben.

Und nun lag er, ein wenig hell im Gesicht und die Hände ausgeleert, und sah Helleres kommen, an den Wänden und der Decke, und das erste Morgengetön brauste auf, der Bäcker Weckengeschrei und das Blechgeroll der Kannen – er hatte den Brief nicht geschrieben, aber war es darum, daß er das Rätsel nicht riet?


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