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45

Außer den Fenstern stand noch ein wenig verdämmernder Winterhimmel. Die Vorhänge fielen zu, schon summte das Gas.

»Und deine Mama?«

Eine kleine runde Regung wies ihm seinen Platz.

»Ist fort, im Kränzchen. Auch Lotte ist nicht da, irgendwo mit Schaffner ...«

Ein wenig neigte sie sich vor. »Du mußt dich gut mit ihm stellen, er wird sich mit Lotte verloben. Mama mag ihn.«

Kai wies dies ab. »Ich nicht.« Und zuckte auf ihren klagenden Aufblick die Achsel: »Was will man da tun? Er liebt sich zu sehr.«

Sie schob die Nadel über die genäßte Garnspitze.

»Und du?«

»Und ich?«

»Liebst du dich nicht?«

Er beharrte. »Zu sehr?«

Da hob sie den Blick. »Ja. Zu sehr.«

Er griff in sich, ehrlich. »Sehr? Vielleicht ja. Zu sehr? Auch, obschon ... Aber anders.«

»Das sagt jeder.«

Der Alltag war da, quietschte, quarrte, räkelte gähnend.

Doch Kai leugnete ihn. »Ja, aber nicht jeder mit Recht. Ich liebe mich sehr, verachte die andern. Aber mehr als mich liebe ich Schönheit. Und in der Wahl hätte sie zu leben, nicht ich. – Aber er?«

Sie hob die Augen – und nun schien sie ihm klein –: »Sagen kann man das. Doch Beweiskraft ...?«

Er vorgebeugt, die Hände breitend, ihr zu: »Hier! Das ist dein. Sag: fort!«

Dringlicher, heißer, näher: »Sag: fort!«

Sie sachlich: »Wozu?«

Und er, indes seine Hände fortfielen: »Freilich ist es wertlos.«

Kai suchte sich: halblaut redend, kaum für sie, doch für sie, ging er sich nach. »Auch Kleineres nähme mich fort aus diesem Leben. Eine schlechte Note, Demütigung, Angst vor Strafe oder so. Warum nicht? Darum, weil ich Befehl anderen Willens brauche.«

Aber nun stärker erglühend: »Doch, wäre das nicht schön. Schön, für dich, für fremden Zweck, nicht um meiner Not willen zu sterben.«

Sie stickte. Irgendwo schlug eine Uhr.

Kai drehte Hand um Hand. »Du bist fort. Du willst mich nicht. Was ist?«

Näher zu ihr, die Luft saugend, atmete er neu Not. »Du! Mußt da sein. Bei mir. Letzte Insel. Verliere ich dich, so ...«

Er griff ihre Hände, sie sah auf. »Verlieren ...?«

»Ja. Wo bist du? Wo ist deine Nähe? Spüre ich dich? Schmecke ich dich? Treibst du im Blut? Was ziehst du geduldige Fäden?«

Er umgriff die Gelenke. »Du! Nah her! Wärme mich! Sei da! Wachsein! Nicht schlafen! Der Tag kommt!«

Ihr Auge feuchtete sich, ins Weiße verschwimmend entglitt näherer Blickstrom der Pupille. »Du. Du.«

Er trat fort. »Weg! Du weg!«

Wies in die Ecke, ihrer Schulter überwärts; jagte den Schatten mit Worten: »Komm nicht! Beflecke mich nicht hier! Bleib bei Arne, der bei dir war?«

Und leiser: »Küssen? Sie küssen?«

Aber dann, wieder ihr nah: »Nein. Das Ungemeine. Das, was aufwächst, von selbst. Was dem Boden entquillt. Nicht gesehenen Gebärden. Nicht das Erlesene, Erzählte, Geschenkte. Nur das Selbstgewachsene.«

Und von unten ihre Züge durchsuchend: »Nicht du? Auch das wird kommen? Noch bin ich nicht reif dafür. Nicht stark genug. In das Zurücklehnen, das Ineinandergleiten von Weichem würden sich Schatten neigen der Büchergestalten, und was wir täten, wäre nicht unser, sondern Jettchens oder irgendeines von jenen.«

Sie murmelte: »Verstehe ich dich? Nein.«

Aber er: »Erst verstehen. Alles andre später.«

Doch schien noch immer beißender Qualm im Innern zu treiben. Aber seine Schwäche fühlend, widerstand er hitzender Verlockung. »Unmöglich, dies zu tun. Warten. Vielleicht kommt es.«

Und er lächelte selig.

Da schien Wärme auch sie zu fangen. »Liebe ich dich nicht?«

Aber der: »Das ist wenig.«

»Wie? Mehr?«

»Wachsein! Dasein! Leben! Wirf die Saugwurzeln in mich, trinke mich aus, in dein Blut hinein, wie du völlig in mich fällst, bis zum Zucken der Brauen.«

Und er fühlte entkräftet, daß er rede.

Sie sann. »Du hattest Unrecht. Du schlugst ihn, belogst ihn. Doch liebte ich dich, schrieb ich die Zeilen. Weil du littest? Tiefer? – Littest du?«

Er zweifelte. »Weiß ich es?«

Schneller dann: »Heute? Noch heute? Weiß ich von mir? Ob ich litt? Andere kenn ich vielleicht, in diesem und dem, mich – nie. In nichts.«

Müde: »Ich weiß nicht, ob ich je litt.«

Doch sie blieb dabei: »Deine Augen ...«

Und er: »Meine Augen? Fremde Augen! Wo bin ich?«

Und näher, lauernd: »In dir? Etwa?«

»Geh«, murmelte sie, »geh.«

Aber er warf die Worte rascher, übertönte sich selbst: »Was liebst du? Hier die Hand? Den Kopf? Kai, der log? Kai, der schnitt?«

Drängend: »Sag!«

Sie flehte: »Geh doch. Du zerstörst?«

Aber er, lachend: »Sie sind fort, alle, alle Kais, die du kennst. Liebe den, hier!«

Er verzerrte das Gesicht, das sich ihr bot.

Und zweifelnd, indem er die Fläche der Hand mit dem Blick überprüfte: »Welchen? Den: hier?«

Sie sah auf, beinahe war es Trotz. »Doch liebe ich dich!«

Aber er, nun gänzlich gefallen: »Liebe? Was ist das? Warum sitze ich hier? Ich könnte sitzen ... etwa da oder dort, überall ebensogut.«

Und ergänzte leise: »Besser: bei Margot.«

Aber dann erschrak er: dies schien Verrat. Und er bekannte: »Nein! Nein! Nur hier!«

Und, da er zierlich zu sein wünschte: »Nur hier bei dir.«

Sie schwieg, und indem sie das Gesprochene forttreiben ließ, in den kleinen, heißen Luftwirbel etwa der Gaslampe oder in den eben bedrohten Schattenwinkel am Schrank, griff sie zum Kissenbezug und erreichte im Sticken stilleres Beruhigtsein.

Kai überschaute sie. »Sie ist nah gewesen, als ich fern war, und fern, als ich nah. Wir wissen nichts.«

Schon leugnete sie das Besprochene. »Wo Klotzsch bleibt.«

Als er schwieg, sachlich erläuternd: »Es ist sein Tag.«

»Du wartest umsonst, spare die Sehnsucht.«

Gekränkt fragte ihr Blick.

»Ich wies ihm, daß mit mir seiner Rolle hier ein Endes sei.«

Nun stand sie, schon konnte man sich fürchten, da man sie nun, die Empörte, sah: bleich, die Backenknochen überschattet, die Stirn verzackt und um das Kinn etwas gleich Mühlsteingemahle. Und daß die Empörung unverständlich, machte es besser noch, fortzutreten.

»O, pfui du! Er war so gut!«

Schon saß sie, ihr Rücken zuckte und feucht schien es den Händen überm Gesicht zu entquellen.

Sollte man streicheln? Das Haar? Die Hände fortziehen?

Man stand abseits und stammelte dieses und jenes: »O, Ilse! Nicht doch ...! Was ist ...? Ich verstehe nicht ... Ich wollte dir nicht wehtun.«

Aber sie, Haß in der Stimme: »Was du tust! Was soll er denken!«

»Er? Denken?« Und wollte sagen: »Ist das nicht gleich?«

Aber dies schien nicht ratsam, und da für andres der rechte Ton nicht zu finden, schwieg man.

»Du gehst zu ihm! Gleich!«

»Ich gehe zu ihm. Sofort.«

Folgsam sagte er's, doch wußte er es anders.

»Es sei ein Irrtum.«

»Irrtum. Jawohl.«

»Prahlerei von dir.«

›Wenn schon ...‹, dachte er. ›Gar nicht!‹

Sie bestand darauf: »Prahlerei von dir!«

Er, leichthin: »Prahlerei von mir. Aber gewiß.«

Aber sie, nun das Gesicht erhoben, genäßt und eigentlich beschmutzt von trostlosem Gereibe der Hände: »Nimm es nicht so leicht. Du mußt es tun. Sonst ...«

»Ich tue es.«

»Du gehst? Gleich?«

»Ich gehe gleich.«

Aber er blieb stehen.

Sie überflog ihn. »Warum tatest du es, Kai? Mußt du Schlechtes tun?«

Und er: »Ich wußte nicht, daß es schlecht sei.«

Sie trat näher. »Es war schlecht. Siehst du es ein?«

»Ich sehe es ein.«

Aber drinnen schien es richtiger zu singen: mach End, o Herr, mach Ende.

»Du tust es nicht wieder?« Und ihr Blick schmolz.

»Nein. Nie.«

»Nie wieder?«

Und er hob bekräftigend die Hände.

»Du bist gut«, sagte sie und suchte ihrer Weichheit irgendeine Hingabe, fand sie nicht, setzte sich dann.

»Ich will gehen«, sagte er.

»Schon?«

Und er, sehr erstaunt schien es: »Zu ihm!«

»Du sollst nicht gehen, Lieber. Es wäre zu viel. Ich schreibe ihm.«

Und dann summte wieder das schon vergessene Gas, kleine Dinge ihres Lebens marschierten, ihm erklärt zu sein, und am Ende war alles Erlebte unwahr und das Taube im Hirn, das Hornige aus der Nacht hatte auch dies überdauert.


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