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Was glaubtest du, Kai Goedeschal?

Meintest du, nun endlich werde Leben bunt genug sein, so, wie es dein Herz ersehnt? Der Wüste tödlichen Graus, ohne Aussicht auf wehende Blätterfahnen bewegter Gefühle, sollte jener Brief pflanzentreibenden Regen spenden? Diese Kleinen und Stillen sollten, ins Herz gefaßt, plötzlich aufflammen in entdeckter Menschlichkeit und deine Liebe noch übertönen?

Wie je – was erlebt wird, erlebst du allein. Da du die Treppe ersteigst, klopft dein Herz rascheren Wirbel. Werden sie heute sprechen? Wird ein schnelles Wort, ein Gedrücktes im Wesen jener Geliebten aufzeigen, daß du tief genug trafst?

Doch schon, wenn du in das Zimmer trittst, hörst du den alten trockenen Ton der Stimmen. Keine Erregung verbirgt sich. Die Luft ist mit Staub gefüllt, und nicht nur deine Nase riecht, auch dein Mund schmeckt den üblen Kampfer, den man zwischen Polster der Sessel und Sofas schob.

Sie sind nicht getroffen. Sie gehen ihre alten Wege. Ihre Gespräche berichten die geplusterte Kleinheit von Menschen, die nie ergriffen hinstürzten und weinten. Irgendwelcher Schemen zapplige Handregungen erzählen sie, Bewegungen, die alle jener einen gleich sind, die am Abend die Hose glättet, daß auch später noch die teure Falte scharf geknifft sei. Nichts von dem Verbrecher, der befleckenden Schmutz warf.

Fahre auf! Prüfe den Blick, der eine Verbindung zwischen Ilse und dir schlug, suchend, ob auch Möglichkeit nur der Anschuldigung da – du findest ihn nicht. Er war nie da. Laß deine Augen gehen über die Laden des Schreibtischs, der Kommode, an der die oft geputzten Messingbeschläge gleißen, du errätst nicht, ob in einer von ihnen, hastig aufgerissen und in unwilligem Schmerz zerknittert, jener Brief ruht. Nein, er ist nicht da; nicht wahr, du, du wartest umsonst? Nicht genug, daß sie dich abwiesen, da du selbst, Kai Goedeschal, um ihre Liebe warbst und belebten Blick – mehr noch fremd sind sie dir, die jenen Unbekannten dem ziehenden Vogelschwarm, kaum erkenntlich zwischen erstem Wolkengrau-Geschiebe im Herbst, gleich erachten wollen, jenen Unbekannten, der umsonst versucht, wenigstens durch Verrat Anteil ihres Lebens in die Hand zu krampfen

   

Diese Nächte sind still. Was Schande war, nun ist es nicht größer gewesen als das andere auch und die unzüchtigen beschworenen Schatten verblassen von Mal zu Mal. Unwirklich alles; jedes Gefühl, nur außerhalb deines Seins ist es erlebt, und das Leben entzieht sich deinen Fingern jener Qualle gleich, von der du einst träumtest oder sprachst – selbst das weißt du nicht mehr.

Am Ende stehst du da, und dich dir zu beweisen, fragst du: »Was nun?«

Eine Empörung glimmt in dir empor, daß selbst jener Brief nicht Preis genug gewesen, Anteil ihres Lebens zu erlangen und trostlosestes Alleinsein aufzubrechen; was Scherz war, nun muß es erbitterter Kampf sein, und am Ende sagst du: »Ich zwinge sie doch!«

Da rührt sich die Hand. In der Nacht stehen die Gedanken auf, aus des Masturbanten Träumen tritt jene andere Ilse, deren Schulter von Fäulnis übergrünt ist und auf deren noch keuschem Gesicht ein Lächeln von grotesker Verruchtheit grunzt. Ihre Fußspitze tastet tändelnd den Boden. Und der sonst so züchtige Rock – nun flattert er auf, vom Windsturm deiner Begierden gepackt, und am Bein ahnst du das blaugeäderte Fleisch, dort, wo die Strümpfe enden, jenes Fleisch, das ein wenig zu weich und zu süß ist und schwankt – denkst du ...

Fange diese ein. Hefte sie mit den Dolchstößen stechender Schriftzeichen auf. Nun, da über Hans Schirmer weg der Brief und noch einer und ein neuer und wieder ein anderer zur Mutter hinwandern, darfst du hoffen, daß auch sie noch sich so sehen wird.

Doch genug Hoffen? Nein, in jener Nacht, da du sie ganz auftatest und deine ungelahrten Hände schmerzvoll in ihr Tiefstes tauchtest, erwuchs unabweisliches Bedürfnis, sie sich selbst zu breiten.

»So bist du. Nicht diese Kälte. Gleichgult glaube ich nicht. So bist du, so süß blühend, so wahnsinnig mannlüstern, beinsehnend. Birg dich nicht länger. Tu dich auf. Jener, der kommt, Schüler Kai Goedeschal, Sohn eines Staatsrats, ist dein Gefährte. Laß den Mantel gleiten, schmieg deinen Busen in seine Hand.«

Schweigt sie noch immer, Kai? Mehr Gift. Schärfe zutiefst. Scheue nicht den Blick dieses Schreibers, der alles weiß. Nimm selbst aus ihm noch Kraft zu tieferer Schuld und dreh sie um sich, indem dein kalter Finger sachlich ihr Innerstes weist.

Nun sitzest du, gebogenen Rückens, anderer Gefühle voll, bei jener, und in mancher Minute schon scheint es wie ein Strom zu sausen zwischen euch, oder das langsame Schwingen der Lampe am Haken ist es nicht, das diesen gleitenden Schein in euern Gesichtern zucken macht, wenn der Blick der Mutter sich erinnert und prüft.

Und prüft.


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