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55

Noch im Nacken das Eis der windzerpeitschten Wüsten. Die schneegebeizten Augen vom Licht gequält. Der Finger am Klingelknopf will kaum sich strecken; über dem Knöchel bricht die Haut blutrissig. Klingeln. Stimmen. Empfang, oh, Empfang!

Die Eltern im Vorplatz. Gas bullert.

»Woher kommst du? So spät?«

Die Mutter sieht Kai im Spiegel über den Umwurf der Boa hinweg.

»Spazieren.«

»Aber wo! Wie naß du bist! Wie deine Schuhe zu trocknen? Man tollt nicht!«

Zur Erde wies des Vaters Finger, wo Klumpiges zerrinnend naß kleckste. »Wer soll das säubern?! Man tritt sich ab!«

Der Nasse, Erstarrte haßt den gebügelten Frack, die Weiße des Hemdes, die Puderquaste in der Mutter Hand. Dennoch: »Verzeihung!«

»Und dein Kaffee? Wie lange soll er warmstehen?!«

»Pünktlichkeit! Zeiteinteilung!«

»Deine Geschwister tun das nicht ...«

Endlich im Zimmer. Wärme. Dunkel. Der Bruder pfeift nebenan. Die Schwestern rascheln anderseit. In das Kissen höhlt der Ermattete Glied um Glied, ruht im Langstuhl, fühlt Gedankenrinnen wie leisen Bach, in dem sich noch spiegelt hie und da wolkiger Abglanz jener Erfühltheiten, die die Wüste gebar.

Alleinsein. Schmerz. Sehnen nach Ilse. Unwertigkeit. Sünde der Nacht, Frevel. Doch nun Kampf. Einmal die Schmach, nun nie wieder. Verlockung ins Unbekannte war sühnbar, nicht so Rückfall.

Dehnte sich im Kissen, Hirn glomm, Tränen sickerten sacht.

Alleinsein. Kampf ohne Freund. Die Eltern im Theater. Arne, einzig vielleicht in Betracht, unmöglich doch Geschehenes zu beichten. Sonst ...

»Wer gibt mir die Hand? Hält den Strauchelnden? Wirklich so ganz allein? Kein Genosse?«

Suche du, suche du nur!

Aus ermatteter Stunde siegessüchtigen Kämpfers entwächst unübersehbarer Entschluß.

»Die Pauker. Taube Lösung schon, doch Lösung. Aus der Masse der andern trete ich –: auch Sünde zeichnet aus.«

Ließ es gleiten, senkte die Lider, sann kaum noch, – bis ein klappernder Hufschlag erschreckte. Der Auffahrende tapste zum Schreibtisch, Tat endgültigem Entschluß vorausnehmend, schrieb er Entwurf:

»Geehrter Direktor – Pflicht des Freundes der Anstalt zur Warnung – Schüler Goedeschal, Obersekunda, gefährdet – namenloser Frevel – einmal bisher – Kampf gegen Rückfall, doch zu schwach – Gefahr! Gefahr! – Ich beschwöre Hilfe – Rettung dem Sünder – Eile! – Jede Stunde mag Unwiederbringliches rauben – rasch! Rasch! Hilfe! – Ewig namenloser Freund Ihrer Anstalt.«

In der Hand fühlte Kai die Falten der Stirn. Das Zinkblech vorm Fenster betrommelten Tropfen. Hirn wie gelähmt: Gedanken rührten sich nur wie Kinderhände im Schlaf. Sacht. Sacht.

Über das Knochengerüst des Entwurfes legte er Phrasen-Fleisch, seimig entfloß es Feder und Hirn.

Ruhte dann tief – hinten lag in Nacht der Brief –, und nur der Wortklang »Rettung« war's, nicht sein Sinn, der im Traum manchmal sich rührte.

Sehnen. Sonnenabhänge. Sorglosigkeit. Kein Dunkel mehr. Kein Kampf mehr. Rettung durch Pauker? »Geh, lauf, fliege, Vogel, Brief, weiß ich, ob du nistest?«

Traum.


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