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72

»Höflich, Arne, verrate dich nicht! Höflich. Höflich. Höflich! Nicht stolz wie sonst!«

»Verraten ... mich ...?«

So das Flüstern auf der Treppe, in das Klingelgequäks hinein. War aber höflich nicht: schon, da er mißmutig sich niederließ, ekelnden Blick zu Schaffner schoß, vor Empörung Flammen der Augen, – und nur leicht erhellt war sein Gesicht, als Irene mit Ilse eintrat, Freundinnen, Arm in Arm, suchäugige, zagäugige dann. Zweifende, beide an beiden ...

(›Was wird kommen ...?‹)

Und da die ersten Worte hinrollten – eifernd üble Ahnungslosigkeit –, fühlte Kai angstvoll das Zittern in diesem, hörte kaum gebändigten Stimmklang in herb geworfenem Zwischenruf: »Weiß ich!«

»Nun ja!«

»Und? He? Und?«

Wuchs da auf in Kai –: duckerig kam Lust, Kopf an Kopf es zu flüstern in horchendes Ohr: ›Mein Leben reden sie. Kein Wort, das nicht mein Leben meint ...‹

Und gelang doch nicht einmal, den Blick Arnes zu fangen, zu mahnen, so daß Kai die Hände vorschlug, das Haupt neigte und über sich hinströmen fühlte, immer neu eisig, Fortgang der Worte. Zweifelhaft blieb das Ende doch ... ›Doch muß Rettung sein, nicht? Es ist unmöglich: jetzt ist noch Hoffnung und eigentlich Gewißheit des Lebens, sicher dem Atemzug ... Zeitliches noch nicht begrenzt. Und nun, plötzlich!, rascher Satz, flackerndes Gefühl, Augenblitz, und abgeschnitten ist alles, dann heißt Leben nur noch Sterbengehen, und die sitzen, stehen, hocken, sind Beichtempfänger geworden? Mir?! Ich auf den Knien? Hier? Schande? Gespei? Nur noch das? Ich kann es nicht glauben, mein Leib glaubt's nicht, auch nicht mein Herz. Atmet schon Abgesang? Hoffnung! Freude! Hoffnung! ...

Läßt nicht zuschanden werden, also!‹

   

»Sehr verbunden!« Schütt grinste zurück. »Unwissend jedoch, warum mir die Ehre dieses Berichts.«

»Hoffnung – mein lieber Schaffner, jetzt ich! –, daß Sie wüßten, etwa den Schreiber ...?«

Und so harmlos hühnergegackrig, lämmermild, so taubenfromm umhängte der fragende Mutterblick die Stirn Arne Schütts.

»Das ehrt ungemein! Zutrauen, gewiß. Doch habe ich, gewohnheitsmäßig wenigstens nicht, Beziehungen zu solcher Anonymität.«

»Aber ... vielleicht ...?« Sie fuchtelte Schaffner zur Ruhe. »Ausnahmsweise? Ein Zufall vielleicht?«

»›Süße Flöte hinterm Berge‹, singt so nicht Li Taipe?«

»Ich sage: nein, gnädige Frau, und ...«

»Vielleicht erlauscht ...?«

»... und lausche auch nicht an Wänden, worin ich mich, wie einst Goedeschal mir erzählte, einig mit gnädiger Frau weiß ...«

»Wie ...? Ach so! Gewiß ...«

Und das Gespräch stand, da nun Arne mit kriegerischer Maske steilstumm dasaß, auf Frau Lorenz' Gesicht eben noch blühendes Lächeln von saurer Lauge übergossen hinschwand, Schaffner voll Empörung über schlechte Diplomatie rastlos Verantwortung von den Schultern zum Winkel hinabwarf und die jungen Mädchen betreten, doch unbeteiligt blickten.

Stand das Gespräch, ging nur noch Pendelschlag der Uhr, rastloser Wanderer, unwahrscheinlichem Tode zu. Knackte leise ein Stuhl oder knirschend rieb ein Schuh. Bis Kai entdeckte, daß das Muttergesicht sich umschuf, sonnengleich durchbrach bekannte Härte eine nie gewußte Weichheit; sie, die Gefestigte, ward hilflos, und gefahrvoller nun ist der schwimmende Blick, der Arne trifft, da Stimme, auch unbekannt, spricht: »Verzeihen Sie, Herr Schütt, einer Mutter, die jeden Ausweg sucht ...«

»O ja, gewiß ...«

»Sie wissen nicht, was das ist, diese Briefe ... an sein Kind, die eigene Tochter ...«

»Aber ich verstehe ...«

»Nein, nein, das können Sie nicht. Diese Qual. Nacht um Nacht. Der Briefträger dann. Und Sie kennen die Briefe nicht, haben nur davon gehört ...«

»Freilich ...«

(›Laß dich nicht fangen, Arne! Paß auf! Sei wach!‹)

»Wäre ein Ende zu sehen, ich würde schweigen, trüge das Letzte, weil es das Letzte eben ist. Doch so, jeden Tag mehr, schlimmere ...«

(›Aber nein ...!‹ Und Kai sah, daß auch jener dessen dachte, daß sie nun log. Briefe beschwor, die nie geschrieben, Spiel bemäntelte ...)

So trocken klang es: »So ... ja ...«

»Aber Sie sollen sie sehen ...«

»Nein, wirklich ...«

»Doch, nur die letzten ...«

»Die letzten ...?«

»Die von heute!«

»Von heute!«

Und da es Kai überfiel: Nun kommt es, fühlte er den Blick des Freundes auf dem Gesicht, rufend, fragend, weckend: ›Tam. Tam. Tam. Kai, was ist das? Tam! Tam! Logst du?‹

Zwang, zwang, drückte die Schultern, preßte Wärme zum Gesäß, die doch stieg, wellengleich, überpurpurnd die Wange, Schläfen röstend. Sah vor sich, fühlte doch Freundesblick bohren. Zwischen den Zähnen klopfte Stahlfinger: Gefahr! Ende!

Sah: Ilses Hand flatterte vom Tischrand auf, winkte taubengleich mit Flügeln, sank nieder dann, schwer, dem getroffenen Fasan, der klatschend ins Rübenkraut schlägt, gleich. Und sie barg das Gesicht an der Freundin, die Beruhigung streichelte.

»Hier ...«

Arne griff zu, faltete auseinander, rasch, fest (›so anders wie ich damals!‹), laut klang das Datum –: »Von gestern also ... Kai, von gestern ...«

Schwieg jener. (›Verrückt ist das, fälschen sie Briefe?‹)

(›Unschuldig! Unschuldig! Doch verloren ...!‹)

»Aber schrecklich ist das! Hundsgemein! Gnädige Frau, darf ich Sie um einen andern Brief bitten, von vielleicht vor einer Woche ...?«

Frageblick, aufgewacht. Harte Mutter ist wieder da, doch immerhin: »Bitte.«

»Es ist dieselbe Schrift, Kai, willst du bitte vergleichen ...«

(›Sie schwanken in seiner Hand! Wie aufgeregt er ist. Er glaubt mir nicht! Und auch ich kann nicht verstehen ...‹)

»Gnädige Frau, ich verstehe alles. Ihr Verdacht war berechtigt – ich meine, heißt das, Sie dürfen überall Verdacht haben, so groß ist diese Gemeinheit. Ich habe hier nichts mehr zu suchen. Guten Abend, gnädige Frau, guten Abend ...«

Tür auf. Tür zu. Sie schwiegen, hörten den Schritt auf dem Gang, Tür zu. Fort ist er. Und in Kais Hand schwankt noch das Briefblatt, gleich gehen die Augen ihm zu, gleich wird er entlarvt, gleich – da beginnt Schaffner zu lachen, er krümmt sich, patschig bedröhnen die klumpigen Hände die Schenkel. Speichel tropft er, da die Backen schwellen, Fett das Auge umquillt, stöhnt: »So ein Schauspieler! Gottverdimmich! So ein Schauspieler!«

»Ich bitte Sie sehr, Herr Schaffner! – Verzeih, liebe Irene, er ist dein Freund, aber dies ...«

Sah um sich, triumphierend: »Natürlich ist er es ...«

Schaffner, noch lachschluchzend: »Natürlich ...«

Lotte schrillte: »Er!«

Auch Ilse schob's nicht weg, ihr Blick sagt's ja, beruhigter Freundesblick schon, da er Kai streifte: »Stets glaubte ich dir ...«

Und Irene zweifelnd: »Sie meinen ...?«

»Versteht sich!«

»Aber das ist doch klar!«

»Aber nein! Irene!«

»Doch wie ist das, Herr Goedeschal? Sie sprach er an ... mit der Schrift ... was war das ...? ›Gleiche Schrift‹?«

Und nun waren sie da, die Augen, strengste Frage.

»Ich ... verstand ... nicht. Was wollte er?«

»Das fragen wir Sie! Sollten Sie gewußt haben?«

Und da Kais Gesicht tiefer sank, nur die Hand wehte noch müden, hoffnungslosen Protest: »Sie ahnten? Es ehrt Sie: dem Freunde gegenüber. Trotzdem hier ... zweifelhaft ... immerhin ...«

»Doch was geschieht nun?«

»Ich muß gehen, nein, keine Zeit mehr ...«

»Ehrt Sie, Herr Goedeschal, ehrt Sie!«

»Auch ich gehe, gnädige Frau, mein Zug fährt um sieben ...«

»Ich begleite dich, Irene ...«

»Schön, Kinder, schön. Also auf Wiedersehen. Dies erledige ich allein mit Schaffner.«


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