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47

Sie schritten auf Kai zu, kleine Schneewirbel stäubten vor ihren Schuhspitzen, die Arme hangelten lautlos. Mit den Filzrändern ihrer Hüte setzten sie groteske Kurven und Kreise in die trübe Luft; an ihren Bärten, im Gespinst der Schleier hingen Spinnen gleich Tröpfchen, halb erfroren.

Da diese vorüber waren, entschritt sie ins Freie der Tür, noch den Kopf gewandt und ein zu gerundetes Wort ins schwarz Klaffende werfend. Lang schlugen die Knie leichte Zucke in den blaugrauen Rock, den der Schnee torkelnd beflockte. Bauschig überquellend zerdrückte ein Barett die schweren Haarflechten.

Ilses Hand glitt auf den Grund der seinen wie ein gedunsener und süßlich erwärmter Leichnam. Sie lachte. »Wie du gefroren hast! Deine Nase ist blau. So blau!«

Doch verweigerte er dies, wenn schon ihre Achseln neben ihm zuckten, lustig, seinen Trübsinn in den Schnee hinter sich gleiten zu lassen –: er drückte ihn fest und beharrte darauf, verbissen aufwühlend, dieses: Frieren, Leidensmöglichkeit genug, Winter, feindlich im Glotzen. Die Eisbahn spiegelte: sein knöchelgeknicktes Humpeln, Spott und in allem knirschte die Kälte, die das Herz sprüngig gefrieren ließ, daß es glasachtsam schlug und zu leise: wie Zehentasten an die Geldlade des Vaters.

Dann schwiegen sie. Die Laternenreihen der Straße funkelten ihren Schritten vorauf –: aber am Ende ruhte das Auge im schließlichen Zusammenfließen der Schimmer, und indem man das erfahrene Schneiden der Parallelen im Unendlichen erwog, war es so ins letzte Hoffen ermutigungslos, daß nun die von einer Ilse Lorenz und jenem Kai Goedeschal dicht zu nah gesetzten Fußspuren sich nie treffen, schneiden, berühren, decken würden, sondern geheißen waren zur Weiterwanderung, getrennt, in alle Unendlichkeit und Ewigkeit hinein.

Und er sagte dies.

Sie schlug den Kopf ein wenig auf die Seite, die lang bewimperten Lider wie meist gesenkt, ihr Kehlkopf entsprang rasch einmal dem Mantelschluß, aber schon in seine zögernden und mühsam gehobenen Endworte rollte sie ihre Hände und sagte ein »Nein« und »Immer Unrast?«.

Kai schmeckte es bitter: ja, sie wanderte diese Wege nicht im hoffnungslosen Verheißungszeichen wehender Hüte und Blicke, unter der gesenkten Heimkehrstandarte durchfrosteter Nacht und Seligkeit.

So liederte er denn nur dies und das Herabsetzende einer Heimatlandfremden, die, in Timbuktu geboren, nach Muskat duftender Wärme und pflanzenfleischstrotzenden Bananenblättern roch.

Gesteigert schließlich, so ein bißchen proletig, aber schon von verhaltenem Weinen gedörrt: »Na ja, was willst du denn eigentlich? He?! Nun sag mal! Was soll denn, nun, das alles? Endabsicht ... He? Sag!«

Und er drehte die Arme im Wälzen gebauschter Gedanken vor seiner Brust.

Doch sie, von all dem Gerippten, Geriffelten, Gerieften zerformt, schlug einen Ausfall. »Und du? Nun, und du? Was denn du?«

Da sang er es, in Vorsicht bedachtsam betont, doch Drohung glostete hinten: »Ich weiß schon, was ich will ...«

Weil sie schwieg, beschwänzte er's milder: »... was ich möchte ...«

Nun trieb sie es doch, ein kleines bißchen zu haken, ob es schon in dem und dem – aber was, wußte man nicht – verrucht erschien: »Und? – – Sag doch, ja? – – Nun?«

»... aber du mußt mir versprechen, zu tun, was ich bitte?«

»Das kann ich doch nicht, wenn ich nicht weiß.«

»Siehst du ... kein Vertrauen ...«

»Vertrauen ...! Aber so was verlangt man nicht.«

»Man! Natürlich man! Lehmann und Klotzsch thronen dem Maßgebenden vor.«

»Sag, was du willst ... dann kann es wohl sein ...«

»Nein.«

Manchmal streiften die Buschzweige Schnee auf die Achseln. Oder man schlug den Absatz gegen einen Stein und ließ das Geballte, Verkrümpelte hinten.

Aber nicht dieses! Wohl schien es irgendwo besser, tiefer zu häkeln und angeln, am Widerhaken zu ziehen; aber nein, nun sang die Stimme weich und ein wenig billig erstickt; es ging so unschwer: »Versprich, daß du's tust, du kannst es so leicht.«

Schon flehte auch sie: »Kai ... Kai ...«

»Bitte, bitte, bitte, liebe Ilse ...«

»Aber du! Ich kann doch nicht ...!«

Sicher, noch hatte man's nicht gesagt. Wie? Nein, gewiß nicht. Aber es klang, als wüßte sie. Und wußte sie, durfte man's wagen, tun, so sich vorbeugen und die Meinung des Eigengesichts auslöschen, auf ihren Lippen.

Aber sie wußte nicht! Sie wußte nicht!! Nie und nie!!!

Da waren die Straßen, der so getriebene Schritt sank nun in ein Entbreiten zusammen, und ihre Frage war verstockt und her und hin spöttisch: » Nun, Kai?«

Nun, Kai! Natürlich wußte sie! O, ich, ich, ich ...!!‹ Aber laut: »Ja, Ilse?«

»Kommst du nicht noch rauf, Kai?«

Wie sie kratzte!

»Jetzt noch? So spät?«

Kleiner schon: »Freilich, spät ist es ...«

»Ach was! Ich komme. Deine alte Dame ...«

»Besser wir lassen's. Sehn uns doch morgen?«

»Nein, nun ...«

Und plötzlich, dies, ermächtigt durch die Vorrederei, als Wiedergutmachung fordernd: »Nicht wahr? Ich darf?«

Hinten im Hirn ließ Hoffnung die verhüllenden Hände sinken, ein Lichtschein brach aus: noch konnte es kommen, konnte es kommen!

Es wuchs langsam aus ihr. »Nun ja, komm schon rauf. Warum auch nicht?«

Und nachdenksam: »Warum auch nicht? Was soll es denn schaden?«


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