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41

Kleine, süße, dünne, dumme Rederei!

Ein roter Sessel knarrt auf, jäh belastet. Langsam verseufzt er. Schaffner stürmt zerrissenen Gesichtes. »Meldung: Dekan neigt das Ohr. Relegiert! Studiosus Martens ist relegiert!«

Schweigen. Frau Regierungssekretär Lorenz strahlt äugelnd. Knospen stickt Ilse, blickgestreift von Kai. Stimmklangbetäubt neigt Fräulein Lotte die Stirn. Schaffners Faust knöchelt. »Wie?!«

Niemand hatte gemuckst, Beruhigung schien gestattet. Flach und steil wie nur je hingen die gelben Gardinen.

Schwarzbewestet straffte sich Schaffners Brust. Ausatmend: »Man belegt Vorlesungen. Man schwänzt. Trotzdem fängt man Attestat. Dagewesen! Alles! Aber Fälschung! Unterschriftsfälschung!«

Sein Blick prüft Gesicht um Gesicht. »Herr Goedeschal! Unterschriftsfälschung!«

Kai starrt auf. »Unterschriftsfälschung. Jawohl. Herr Schaffner.«

Beruhigend meint Frau Lorenz: »Sie taten die Pflicht.«

Schaffners Lider sinken, stichelnd linst der gesperrte Blick. »Anzeige war Pflicht.«

Endlos dunkelrot zieht Ilses Arm einen Faden.

»Liebe Ilse. Lange Fädchen, faule Mädchen.«

Neu scheint dies nicht. Schaffner überschielend wägt Kai Einschlaf. Vielleicht sang man's ihm zum Wiegentakt. Es macht so müde. »Fädchen. Mädchen. – Wohl von ›fade‹.«

Schaffner murrt fernstes Achsgeklapper. »Pflicht! Gewissenspflicht!«

Frau Lorenz schmalt die Lippen. »Mein Gatte, von der Regierung brachte er heim so eine melodiöse Melodie! Geh, Lotte, sieh, ob du's auf dem Klaviere bringst.«

Fräulein Lottes Rücken ist beschwebt von einer breiten Schottenschleife. Das Piano stürmt. Ein Lichthalter klirrt. Verseufzend schweigt es.

»Es klingt so süß!« zuckert Schaffner, wirft das Auge zum Deckengips.

»Nicht wahr? Wie er's erst singt!«

»Mehr, ich bitt Sie, Fräulein Lotte.«

›Man weiß nicht, was Ilse etwa so denkt. Vielleicht ist sie zufrieden. Warum nicht? Papa spielt wohl besser.‹

Noch einmal knarrt das Pedal. Gerötet, gesenkten Blicks erreicht Lotte den Rohrstuhl.

»Herrlich, Fräulein Lotte.«

»Sehr melodiös«, bemerkt Kai und wird gemißbilligt.

»Dies letzte wohl nicht so sehr.«

»Ich meinte das vorge.«

Wollig wickelt das Gespräch weiter. Jörg hat eine Fünf in Latein, der Gatte wird unzufrieden sein. »So unzufrieden!« Lotte bekam Frost in die Hand. Schaffner empfiehlt Mandelkleie.

Kai neigt zu Ilse: »Ilse, du liebe Ilse.«

»Wie, Herr Goedeschal?« Frau Lorenz streckt das Gesicht. »Nichts? So. Ich dachte. Und die Herren Eltern? Das Befinden?«

»Vorzüglich. Völlig vorzüglich.«

Dies scheint Belohnens wert. »Lotte, biete Herrn Kai die Zigaretten ...«

Er greift spitzfingrig zu.

»... obwohl man nicht weiß, ob der Herr Papa ...?«

Rauchen sei ihm bewilligt.

(›Zwar nicht wahr. Aber nun was denn?‹)

»Nehmen Sie immer.«

Geklärt scheint's der Dame im Sofa noch nicht.

Wieder versinkt Kai, während nun das Gespräch ins Theater schaukelt. Er stemmt seine Schulter. »Was ist dies? Erlösung? Hinsturz? Dankgebet? Gelöbnis?«

Fern sieht er sich, den Hoffnungserregten. »Geschwafel! Geschwafel!«

Er muß sich versichern, zur Fenstergardine gewendet. »Das Leben bleibt. Draußen. Nun denn! Hier auch heute geleugnet, kann es ein andermal in Ilse gezwängt sein.«

Greisenhaft brabbelt das Gas. Wieder versinkt er. Noch schultergedreht den Kopf, kneift er das Auge, bemerkt: »Entschieden zu gelb! Zu gelb!«

»Wie denn, Herr Goedeschal? Man versteht kaum bei abgewendetem Sprechen ...«

»Verzeihung! Wie – ach nein, nichts, gar nichts.« Der Kopf dreht zurück, errötend. Gallig gefärbte Gardinen versinken. Hinten.

Die Hände gerungen, gerundet flötet Kastor Schaffner: »Verzeihung! Zu lang schon ...«

»Aber gar nicht.«

»Das Kirchenrecht wartet. Ohne dies wird mein Schlaf mir nicht leicht.«

Neckisch erhebt sich der frauliche Finger. »Sieh da! Ertappt! Trocken, das Jus?«

»O nein, nur dieses ...«

Hoch schiebt es Kai. Er verneigt sich, Empfehlung den Eltern empfangend. Vor Ilse, plötzlich belebt: »Und wie bekam dir der Ausflug?«

Endlich klingt ihre Stimme: »Vorzüglich. Bin's ja gewöhnt.«

Leiser: »Komm morgen. Besser ist's dann.«

»Ilse! Wo sind Herrn Schaffners Galoschen?«

»Hier, Mutti!«

Von Schneeschmutz genäßt ist die Treppe.

»Genußvoller Abend. Nicht wahr, Herr Goedeschal? Rechts oder links? So? Rechts? Dann auf bald.«

Schnee stäubte. Der unleidliche Rücken verging. Ein Hund bellte. Kai wandte sich heimwärts.


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