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34

Irgendwoher wandernd, Dunkelheit hinter sich, in der es nicht nottat, das Auge zu öffnen, überkommt es ihn nun zu blinzeln, mit den Nerven zu tasten, mehr zu sein. Die Glieder verbogen und starr. Wind in den Baumkronen, ein zusammengefallenes, unter Asche verlöschendes Feuer, ungläubiger Aufwurf des Gesichts, Hochfahren: niemand da!

Am Waldrand, über sich kaum merkbaren, fahlen Schein des Himmels, sucht er: Nebel, späte, öde Dämmerung. Der Tag ist vorbei.

Knackte nicht ein Ast? Wer hockte dort im Dunkeln?

Jetzt, die Zunge vor Angst bebend, wirft er sein Rufen in die Weite, der Wölbung des Waldes zu: »Werner! Werner!«

Verfangen. Verloren. Nur der Wind ist da.

»Ilse! Ilse!«

Indem er ihren Namen in die Dämmerung wirft, biegt er sich vor, zaudert, hofft endlichen Widerhall, Endigung des Scherzes.

Die Baumkronen scheinen zu verhalten, warten mit ihm, auf den klaren Schrei, irgendwoher aus der Nähe.

Dann wehen sie wieder.

»Sie sind fortgegangen. Alle sind sie weg. Hier um das Feuer saßen sie. Ist es nicht grad so, als wären sie, wie in meinem Traum, tot, erschlagen, verblutet? Hier in der Asche noch der Abdruck eines Fußes. Wie ein Leichnam, ein leergewordenes Ding. – Still!«

   

»Ilse! Ilse! Ilse!«

   

»Wie ein Kuckuck rufe ich ihren Namen, nicht meinen Namen, ihren Namen, der mein Name sein könnte. Noch einmal suchen. Sie haben sich versteckt.«

Und nun, seinen letzten Stolz preisgebend, hob er die Hände zum schlafenden Unterholz, wies um sich, bat: »Kommt doch! Ich fürchte mich so!«

Und wieder: »Kommt doch! Ich fürchte mich so sehr!«

Die Hände glitten herab. Noch einmal, ganz leise: »Ich weiß ja, ihr habt euch versteckt. Kommt doch!«

Von neuem am Feuer, kam die Versuchung, hinzusinken, zu weinen.

»Nein. Ich muß fort.«

Als er den Rucksack hochhob, glitt, flatterte ein kleines, weißgraues Ding herab, er erhaschte es noch. Im Licht der Kohlenglut versuchte er's zu lesen. Zu dunkel. Er riß den Rucksack auf, suchte die Streichhölzer, sie waren durchnäßt.

Die Sachen auf dem Rücken, den Zettel fest in der Hand, gewann er die Wiesen, den weißlichen letzten Himmelsschein. Aber die matten Zeichen, die er nun sah, verrannen, lösten sich in Grau auf.

Der Gegend unkundig, lief er den Weg zurück, den er gekommen. Am Graben, eine kleine Plankenbrücke: Werners Gestalt schien aufzuwachsen. Er erschrak. Vorüber. Nun die Straße, belebt von den Erwartungen, den Träumen des Morgens. Welche Hoffnung, welch grenzenlose Enttäuschung.

Aber auf der Dorfstraße nicht, nicht im Lichte der Laternen, im Wartesaal nicht wagte er den Zettel zu entfalten. Nur dies: nach Haus.

»Dort, in der Enge meines Zimmers werde ich hören, daß sie zu mir spricht, wieder zu mir spricht.«

Später dann, die Kleider abziehend, mit jedem Stück einen Teil des Tages fortlegend, schien am Ende nach dem durchnäßten Hemd alles ausgelöscht, nur ein Geschenk blieb, unverdient.

Er las: »Es ist besser, wir sehen uns heute nicht mehr. Alles kam, wie es kommen mußte: ich habe dich lieb

Ilse.«

Im Dunkel weinte er hellauf.


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