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71

»Servus, Kai! Leben noch frisch?«

»Danke. Danke.«

»Und die Aktien?«

Der Blick Arnes zerrt, entblößt, schwelt; doch vor Reserve Kais welkt ein Lächeln um den Mund des andern.

»Oh! So lala! Es gab natürlich viel Spuk. Auch Verdacht auf mich. Das ist vorbei, Tage schon. Stehe jetzt fleckenlos. Schlauer als die, nun, weißt ja ...«

Er bezwang sich, trat näher, hängte Arm in Arm, war sanft und kätzisch. »Sie dürfen mich ja nicht kriegen. Das verstehst du, ohne Wort. Sonst ... das heißt Ende.«

»Natürlich. Aber du schreibst doch noch?«

»Nicht so Ende! Was bist du töricht, Arne! Natürlich schreibe ich nicht mehr, schon seit vier, fünf Tagen nicht.«

»Kai ...?«

»Was ist Arne?«

Sah auf. Erregter Blick jenes. Der Arm löste sich. Empört. Schütt stand, böse das Gesicht, um den Mund zuckten Worte und Worte, drängende, aber, da er den Schritt aufnahm, ferner war Kai, blieb Schweigen doch, zehrendes, das mit Angst Herz ätzte.

Aber Kai vergaß es. »Nein, ich schreibe nicht mehr. Zu nah waren sie mir schon. Ehrlich: Arne, ich bekam Angst. Plötzlich sah ich Folgen.«

Leise hob er die Hand, prüfend und versonnen sah er die gespreizten Finger. »Es war so leicht nicht aufzuhören. Nächte ... Das lockte. Trunkenmachend. Aber es war Zeit. Und nun, denke ich, wird alles gut.«

»Ja ...?«

»Ich suche immer. Jeden Nachmittag bin ich dort, so Angst ich auch habe. Ihre Gesichter. Aber wegbleiben – nein, noch schlimmer wäre das; hinter meinem Rücken würden sie reden. Muß sie sehen. Ich bleibe, bis der Letzte geht ...!«

Holte Atem, tief. Weichere Luft beruhigte die Starre seines Gesichts. »Nur noch eine Woche, eine Woche, sieben Tage ... und alles ist überwunden. Dann ist das Ganze halb vergessen, ich bin gerettet. Und ich tue es nie wieder. Du ...«

Aber er schwieg dann, sprach nur zu sich: ›Ich will nicht sagen, daß er den Rat gab. Nicht ihn reizen, er muß gut sein. Nur keine Sorgen mehr, nichts mehr davon.‹

»Schon jetzt reden sie nicht mehr drüber. Schweigen ... trotzdem, ihr Schweigen ist anders, düster, von mir abgekehrt. Schweigen nicht mit mir zusammen, ohne mich tun sie's, gegen mich. Aber auch das wird vorüber sein, einmal.«

»Und, Kai, du weißt nicht ...? Du meinst nicht, daß noch Briefe gekommen sind ...?«

»Aber nein! Was denkst du nur! Ich muß es doch wissen! Dem Kerl, der die Briefe schreibt, hab ich seit sechs Tagen keine mehr geschickt, also ...?«

»So? Und da ist wahr, Kai? Du belügst mich nicht?«

»Arne!«

»Ja? Warum solltest du das? Keinen Vorteil hättest du davon ... oder doch? Lügst du? Nichts weiß man. Keinen Brief? Das schien so einfach, früher. Nun aber ...«

»Was hast du, Arne? Du weißt irgend etwas!«

»Komm!«

Schneller schwang ihr Schritt. Auf der abschüssigen Straße zum Park jagten Kinder, mit fliegenden Händen und Kleidern; eine Zopfschleife löste sich, fiel. Über dem leuchtenden Seidenband drehte Kai knackend den Hacken, daß der Stoff berstend riß.

»Arne ...«

»Dort erst, auf der Bank ...«

Sie saßen. Weicher Schein schon schien Umriß der Äste zu mildern. Eine Amsel lockte, immerzu. Die Welt sehnte Frühling. Und da Kai, nun die Worte Arnes angstvoll erwartend, schnelleres Klopfen des Herzens spürte, stieg noch einmal quellend die Angst, ob er noch Gefährte von Fliedergehänge, schreiendem Lerchenstand über schnittreifem Roggen, ob er noch gehen würde im Abenddämmern, Schule hinter sich, am Flußrand zur Schenke, zwischen schattenden Büschen, den Schritt gewiegt nach melancholischen Liedern oder schneidendem Rudereinsatz?

»Arne ...«

Schwieg jener.

»Arne ... bist mein Freund ... du vor allem mußt helfen. Dieses Leben ... ich kann nicht weg!«

Aber Schweigen stand, und spürend ahnte Kai wehrende Härte, auf sich beharrend. Enger Zirkel. ›Wo, Bruder, deine Hand? Helfers Hand? Freundtreue Hand?‹

»Arne ...«

Langsam, erst ein Schlucken, dann sprachen bebende Lippen krampfhaft klar, trotzig, entrüstet: »Heute kamen drei Briefe an Lorenz, einer dem Vater, einer der Mutter, einer Ilse ...«

Schlag lähmte, streckte die Glieder, verzerrte sie. Welt barst. Und das Herz spülte, hohnvoll spülte Angst um Angst im Hirn. Und Fingergehaspel. Die Sohle krümmte sich im Schuh. Krampf schütterte die Wade.

Schneller sprach jener, verwaschen: »Und gestern Briefe und vorgestern Briefe, jeden Tag, beinahe mit jeder Post, mehr denn je, schmutziger denn je. Irene sagte es ... sie weiß es ... wahnsinnig sind jene vor Wut ... Reinheit des Hauses geborsten ... Wie Flamme leckt Blick jeden Winkel, schlägt die Bettdecke zurück, entblößt Leiber, selbst der Mutter nicht, nicht der Schwester gezeigt ...«

Schwieg, da Kais Tränen stürzten: ratlose Tränen, wütende Tränen. Faust ballte zum Himmel: »Jener dort tut's. Ich nicht. Wie hat er mich gejagt! Er haßt mich. O Arne, mein Arne, ich habe es nicht getan, keine Briefe mehr habe ich geschrieben seitdem, nichts ...«

»Kai ...!«

»Glaube es doch! Einmal glaube doch! Warum sollte ich denn? Ich müßte ja sterben dann, weg sein; begreif es doch: nicht mehr da sein. Und kein Mädchen habe ich geküßt, nie. Ich kann doch nicht fort. Ich habe doch noch zu tun. So vieles. Die Wege – und dann der Sommer, immer dort wollte ich dann den Weg zwischen den Birken schon gehen, niemals Zeit; soll ich ihn nie gehen? Laß mich doch hier! Sag: es ist nicht wahr. Ich darf leben, nicht wahr, mein guter Arne, ich darf leben? Sieh, deine Knie fasse ich um ...«

»Steh doch auf, Kai ... ich glaube dir ja ... die Leute sehen schon her ... nein, sei still, so, setze dich her ... Wie? Was meinst du? – Ja, den Birkenweg sollst du gehen, und so viele Mädchen ... sei nur jetzt ruhig ...« Stiller ging Weinen, schlief ein, aber der belebte Blick erstarrte, Suchen kam neu, Zweifel, Wissen von Ohnmacht, fruchtlosem Kampf Unbekanntem gegenüber.

›Ist es wahr, was Arne erzählt? Schrieb ich sie nicht? Im Schlaf? Vielleicht doch? Und soll zahlen dafür? Da-für! Oder Hans ...? Wie sollte er ...?‹

»Wer sagte das mit den Briefen, Arne?«

»Irene.«

»Und so viele ...?«

»Ja ... Sie haben mich gebeten ... ich soll heut hinkommen. Ich muß dann auch gehen ...!«

»Du sollst hinkommen?«

Sank grübelnd zusammen; – dann ging Licht auf! Wandte das Gesicht, sprach: »Sieh, Arne, Wahnsinn wäre das gewesen, unbegreiflicher, mit den Briefen ... Die ich nicht schrieb! Aber ich will dir es sagen, leise, rück näher: Sie haben gar keine Briefe mehr bekommen, sie wollen dich täuschen ...«

»Aber warum?«

»Sie haben dich in Verdacht! Sie wollen sehen, ob du dich nicht verrätst! Deshalb bestellen sie dich auch ...«

»Das kann sein. Ist nicht unmöglich. Aber warum mich im Verdacht?«

»Weil du der einzige bist, der noch bleibt. Das heißt natürlich: scheinbar!«

»Aber das geht nicht! Ich im Verdacht! Was soll Irene denken! Ich muß aufklären ...!«

»Arne!«

»Ja doch! Natürlich, das ist schlecht. Aber du verstehst, daß auch ich nicht ...« Senkte den Blick vor brennender Angstfrage des andern; zuckte die Achseln dann. »Natürlich wird sich ein Weg finden. Ich werde dich schonen, bestimmt. Trotzdem es nicht leicht sein wird.«

»Du wirst nichts verraten, nicht wahr. Arne? Auch mich nicht?«

»Nein, nein! Du bist mein Freund, aufrichtig, also ... nein: ich sage nichts. Ich drehe mich so durch, aber seltsam bleibt es doch, denn ...«

»Wieso seltsam? Eine Kriegslist ...! Wir gehen zusammen hin?«

»Ja, jetzt gehen wir beide zusammen ...«

»Und wir werden ja sehen, wie es wird ...«

Sprechen ... sprechen ... sprechen ...

Reden polierte Hoffnung noch einmal neu.


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