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Salon. Dunkel. Ein kleiner ungelüfteter Ruch, staubprickelnd.

»Ich sag nur Mama Bescheid. Einen Augenblick.«

Die Tür schlippte matt seufzend ins Schloß. Im kaum durchgrauten Schwarz beharrten die Möbel dumpf auf sich. Ein verhehlender Schritt ließ auf der Metallplatte eines Standbeins Täßchen klappern, der nächste schlug Kais Hüfte daran: helles Scheppern.

Er verwirrte beruhigend seine Hände.

Der Seitentür entstand gelb Erhelltes. Kai schlich, Gemurmel zu horchen; unnötig, denn schon schrillte es, wohl zu vernehmen: »... Herr Goedeschal nicht wohl? Nach Haus mit ihm! Man geht nicht zu fremden Leuten, um halb neun!«

»Muttilieb, bitte ...«

›Oh, die Tür. Die Tür. Fort. Weg. Wie es brennt. Kräx. Klemm den Bauch, du Hund. Wie? Mantel dort, Mütze. Das Entree. Ah ...!‹

Er warf sich in den dunklen Winkel. Ein Flauschmantel überschleimte deckend sein Gesicht.

Frau Lorenz: »Nein, Ilse ...«

»Oh, Mutti! Er ist nicht mehr da! Fort ... Hat gehört ...«

Es gilferte spitzen Triumph: »Der Lauscher an der Wand ...«

»Oh, Mutti ...«

»Standesbewußtsein, liebe Ilse ... Staatsratsohn paßt eben nicht! Glaubst du, seine Eltern wissen, daß er kommt!«

Und: »Schön verbieten würden sie's ihm. Aber schön!«

›In die Wand den Kopf. Glieder glatt. Alle Pfeile in den Bauch. Eklig süß durchlaugt schmeckt am Maul satinierte Wolle. – Oh, du Dreck, Kai!‹

Ein kleines erweichendes Rinnen spellte den Bauch. Sickern setzte ein Tremolo in die Knie. Man spürte es schon. ›He! Willst du ausreißen, Kadaver! Mich allein lassen, hier! In die Falle gelockt! – Verdammtes Es!‹

In der Küche, am Ausgang gelegen, blökte bubbelnd das Gas, schrie, knatterte dann friedlich: Töpfe klirrten, Löffel steckten silberne Triller als Fahnen auf. Die Stimmen, sieghaft spitz und leibhörig verhalten, drähnten den Schnack.

Das zerknitterte Leib, knetete, schmiß umeinand. Ins Hinterhaupt wuchs die befleckt tapetige Wand. Das Hirn roch Angst. Noch verwuchsen die Füße nicht wurzelgleich dem Boden, Rücken der Wand.

»Täten sie's doch!«

»Aber nicht hören! ... Nanuneinnie! Nich hören!«

Zwischen den Zähnen knirschte Kai überfades Geknisper.

»Noch dies, gefunden werden, hier; man zieht dich heraus, Kai, im Licht stehst du, das Gesicht befleckt, alles fällt ab ... wie sie lachen werden!«

Weiter im Wuchs!

»Der kleine Bruder erzählt's in der Penne: Held hinter Mänteln! Man hatte die Schuhe gesehen! Die Schuhe ... He, Goedeschaaaal! Nanu, Goedeschaaaal! Kuck einer an, Goedeschaaaal!«

Dem Erschöpften troff Speichel fort, verschleimte den Tuchfetzen am Maul.

»Was riecht es? Fettig, lau Dieselöl dickig dünstet's den Magen auf, schlucksend verkloßt es den Schlund, die Zunge verdreht, äh ...! Kotziges Menschengeschwein, zum Kotzen Vieh Kai, zum Kotzen!«

Ein Schritt überzirpte den Flur.

»Wie sie hohnverzuckt im Knöchel die Knochen tänzeln!«

Auf den Tisch sank klappernd der Eßgeschirrsegen.

»Warte nur balde ...«

»Daß man so was überleben kann ...«, denkt er, »natürlich, bau immer Phrasen! Bau! Bau! Bau! Fühl's schon lieber, friß es ein, du Schwein. – Du bist naß? Verklebt an den Beinen? Du hast ...!«

»Es wundert dich gar! Selbstverständlich! Sehlbstverstähndlich! Wie dein Hemd klebt! Aber fein artig, mein Sohn! Nahtührlisch!«

»Tleine Tinder ... i' de' Ecksche schtehe.«

»Häh! Mauschele noch! Kannst du Kot fressen? Kannst du? Du kannst's! Äh nuhn ahlso!«

»Preß die Wand. Sie kommen wieder geschlenkert. Ahem! Bist du still!!«

»Mach das Licht noch aus, in der Küche, Ilse.«

»Schlapperabumm: die Tür. Der Befreite. Noch warten. Sie kommt noch mal. Wegen des Lichts. Natürlich. Der Bruder sabbelt Gebet. Und sie heben die Hände zum lecker bereiteten Mahle. Kommst du? Kommst du!!! Nichts. Vergessen. Ich schleiche los.«

Eine Diele knarrt. Leise. Noch zwei Schritt ... die Tür geht – – –.

Sein Leib schlippt um, das Auge glostet ihr zu ... Noch sieht sie ihn nicht, sie trändelt hüftenbreit ... Da!

Sie steht starr, entkräftet hängen ihre Hände.

Er ahnt den Mund, der schreien will: da wirft er eine namenlose Gebärde des Flehens, in den Bauch sinkt der Oberleib zurück, die Knie brechen entzwei, über die Schenkel wächst Diele, jedes Gesicht ist verlöscht. Und aus dem Verkrümmten stammeln die Hände hervor, nun menschtumerlöst, dünenwindverraufte Föhrenäste:

»Ahbahmen! Ahbahmen!«

Ewigkeit fällt in Ewigkeit.

Kleine Töne sickern aus seinem Leib, fallen verbraucht um ihn. Wind kühlt seine Rinde. Ein düster wolkenverhetzter Himmel zetert an seinen Ästen.

Er fällt.

Als er aufsieht, ist er allein. Langsam findet er sich, da und dort. Und indem er dies abbaut, Glied um Glied, entsteht ein wenig der alte Kai, setzt sich auf, durchbricht das Verschreckte.

Und dann gibt es wie immer: Treppen, Schnee, Flickeflockeschnee, eine Bank zum Ruhen und Menschen, Menschen ...!


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