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19

Das Zimmer wie stets. Nichts verändert. Wie sonst de Langstuhl am Fenster, das Bett mit der gehäkelten Decke wie immer.

»Du da, du Tisch, was stehst du so! Fühlst du nicht, daß ich Schmerzen habe! Warum leidest du nicht mit? Warum kommst du nicht und drängst dich an meine Hüfte? Ach, niemanden haben, in den man hineinweinen kann, niemand, der einem hilft, immer allein ...«

Er stürzte zum Fenster. Sperrte mit Gardinen die Welt ab. Im Stuhl liegend, während die Hände über ihn fortliefen und an Falten und Uhrkette rissen: »Ich hätte ihn schlagen sollen, ins Gesicht. Stets von neuem muß ich mich verleugnen. Warum tu ich nicht, was mein Herz befiehlt? Zuckte meine Hand nicht nach ihm? Warum kroch ich zur Tür?«

Es riß ihn hoch. »Dieser starre, dieser gerechte Blick! Habe ich Unrecht? Ja, ja, ja, ich hab's!«

Stehenbleibend, riß er den Spalt zwischen den Vorhängen zu. »Unrecht? Ich? Nein, nur das nicht! Man quält mich umsonst, ich bin im Recht!«

Seine Hände fielen herab: wieder stand er klopfenden Herzens auf dem Gang: »Warum bat ich nicht? Flehte nicht Bäcker an? Alles war zu ändern. Nun geht Papa unten, hin und her, immerzu. Und Arne! Was ließ er mich im Stich? Tat ich nicht immer alles, was er wollte? Und nun?«

Von unten her meinte er die Schwingungen unermüdender Schritte zu hören, schwang mit, bis im dunkelglänzenden Spiegel sein schattenhaftes Gesicht aufstieg. Er riß ihn von der Wand, entflammte das Licht, hielt ihn vor sich. »Ja, so sehe ich aus! Maske! Totenstarre! Die Wangen wie sonst und die Lippen und das Haar. Leidest nicht einmal du mit! Bin ich denn dann ganz allein! Von mir selber verlassen! Ich muß weinen, weinen, kommt, meine Tränen, kommt, kommt, kommt, ich muß es sehen, schmecken, spüren an eurer Nässe, daß ich leide.«

Er sah starr auf sich. Der Ausdruck seiner trocken brennenden Augen schien ihn zu verhöhnen. Aufs Bett hingeworfen, wühlte er das Gesicht immer tiefer in die Kissen. »So dunkel! Dunkel! Nur Nacht! Gelbe und grüne Räder gehen auf, drehen sich.«

Die Haut glühte, in die Backen preßte sich der Überzug, die Zähne verbissen sich darin. Die Luft fing an zu brausen wie eine Muschel; dann mußte er wieder hoch und Atem holen.

Er starrte irr das ruhig erhellte Zimmer an. Es machte seinen Taumel nicht mit. Die Gardinen hingen ruhig und steil, der auf dem Tisch gebliebene Spiegel warf einen weißen Reflex zur Decke, die Bücherrücken sahen von ihm fort.

»Ach, auch ihr seid angefüllt von Leben und Leiden! Auch in euch schreit Schmerz. Aber immer geht irgendwo auf euern weißen Seiten eine strahlende Sonne auf. Nein, ich will nicht, ich muß suchen, darf den Mut nicht verlieren.«

Über das erhitzte Gesicht rann Wasser. Durch die geöffnete Tür lauschte er der Stille des Hauses zu. Er schlich die Treppe hinab. Stufen knarrten. Die Täfelung knackte. Vor der Zimmertür des Vaters meinte er zu fallen vor anstürmenden Herzwellen. Drinnen sprach's halblaut, ruhig.

»Eingesperrt! Nein, ich will nicht! Ich will nicht! Befehlt! Kommandiert! Ich tu, was ich mag.«

Laut auftretend ging er an der Tür vorüber. Das Reden stockte. Von einer neuen Furcht gepackt, riß er Mantel und Mütze an sich, rannte ins Dunkel.

Nach ihm schien ein Ruf des Vaters zu greifen.


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