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22

Im aufgelichteten Himmel trieben nun weiße Wolken langsam der Sonne entgegen, ihr Abglanz streifte die Flächen der Schneewasserpfützen; blau umrahmt hob er sich blind der besonnten Weite zu. Auf einem Baum lärmten Vögel. Wie sie, im Aufflattern, die Luft mit kleinen, knatternden Geräuschen erfüllten, war es Kai, als müsse er sich über Ilses Hand beugen: »Daß ich Sie noch getroffen habe!«

»Wie Sie gelaufen sind!«

Im Aufbrechen ihres Blickes floß Wärme über sein Gesicht, nun schien, nahe bei ihm, eine Schwester jener ferneren Sonne am Himmel sich entschleiert zu haben.

Er tastete in die Tasche, griff mit zwei Fingern das Buch; aber dann, zögernd: »Ich habe es vergessen ...! Wann soll ich es Ihnen nun geben?«

»Darum liefen Sie mir so nach, um am Ende zu finden, daß Sie das ›Jettchen‹ vergaßen? Nun, an einem andern Mittag, auf dem Heimweg.«

Er murmelte, während die Stimme von diesem übergroßen Mut bebte: »Mittags! Wie oft werde ich Sie verfehlen! Und so wenig Zeit! Wenn es ein andermal ... nachmittags ...?«

Sie zweifelte, dann rasch: »Wenn Sie wollen. Ich gehe heut um fünf zu einer Freundin. Wenn Sie mich dann hier treffen wollen?«

»Ja, o ja, vielen Dank!«

»Also um fünf. Und nun auf Wiedersehen.«

»Auf Wiedersehen – um fünf.«

Es schien ein Zwang, sich, sie noch einmal zu sehen, umzuwenden, ein Zwang, dem er trotzte und der verging, und dann, rascheren Schrittes, schob er das Gesicht in den Wind, schlenkerte die Schulmappe und fühlte nur noch ganz fern diesen grauen Morgen, dessen Nebel sich längst in der Sonne zerlöst hatten. Im Niederbücken griff er eine Hand voll Schnee, ballte ihn, und ein Ziel suchend, sah er drüben den gebückten Schatten von Klotzsch, merkte ein schreckhaftes Zusammenfahren, als der Ball traf, und schrie: »He! Werner! Werner, hier!«

Als jener nur abwehrend winkte, lief er schräg über den Damm, faßte die Schulter. »Was hast du, Mensch?«

»Keine Zeit. Essengehen.«

»Ach, was, Essengehen! ›Der Tag ist heut so schön! Wo ist Chasseur?‹« Er lachte. Dann, Schritt haltend, als Klotzsch schwieg: »Du bist mies?«

»Und du fidel!«

»Hab ich nicht Ursache? Karzer geschenkt, nur Nachsitzen!«

»Kaum Grund genug«, murrte Klotzsch und ging schneller.

»Heißt?«

»Nun, Ilse – Fräulein Lorenz getroffen!«

»Sahst du uns?«

»So was nicht sehen! Halbe Stunde habt ihr euch angehimmelt!«

»Und du hast so lang zugesehen?«

Klotzsch zuckte die Achsel. Kai griff nach seinem Arm, den Werner unwillig befreite. »Laß!«

»Im Ernst: was hast du, Werner?«

»Was soll ich haben? Nichts.«

»Sag mal, Mann, ich glaube, du bist verdreht!«

»Ihr habt nichts miteinander ...?«

»Werner! Klotzsch!«

»Dein großes Ehrenwort?«

Kai zögerte.

»Da siehst du's! Ausspannen willst du sie mir!«

»Mein großes Ehrenwort! Wir haben nichts!«

Klotzsch verlangsamte den Schritt, blickte auf. »Wirklich?«

»Wenn ich doch sage: großes Ehrenwort.«

»Sei nicht böse, Kai, ich glaube wirklich, ich war etwas verdreht.«

»Das warst du: verliebt.«

»Nun ja.« Klotzsch lächelte, stolz, doch nicht ohne Verlegenheit.

Sie schwiegen, gingen langsamer. Kai fragte: »Und der Wandervogel?«

»Sonntag. Also morgen. Wenn du magst.«

»Ich mag schon. Aber ob der alte Herr ... Ach was, natürlich! Wo mir der Karzer erlassen ist.«

»Also morgen früh um sechs. Am Bahnhof. Auf Wiederschauen.«

»Servus!«

Stehenbleibend sah Kai ihm nach. Wie Werner dort, rascher und aufrecht nun, sich entfernte, war auch er jenem toten Hans beigesellt, einmal geliebt, und schon ganz ausgelöscht und nichts als ein Belangloses.


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