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37

Nun, im Erwachen, noch brandete weiß Gellgeschrei des Weckers, war es da, wuchs auf, breitete sich, staubige Windwellen durchtrieben das Zimmer, ein zäher, schläfenzwingender Druck quoll: Montag. Sechs Tage Schule.

Und ein wenig vorgebeugt, ein wenig schon den dürftigen Rücken der ungelüfteten Kissenwärme enthoben, zählte sie Kai, diese Tage von Montag mit Thème über des Mittwochs Geschichtsprüfung jenem endlos fernen Sonnabend zu, der ihn freigeben würde ...

Sicher nicht frei! Sondern Träger frischer Demütigungen, einer bisher nicht gefühlten Kränkung, ging er neuen Wochen, neuen Leiden zu.

»Wenn ich zögern dürfte! Prüfen, durchleben! Doch nein, schon drängt neues: Werners Hand winkt Vergeltung, noch umtanzt er mit Lehmann, die mir gehört, Ilse, und dort, im Winkel, hockt mit gesenktem Lid, feindlich, ›Es‹, einer anderen List nachgejagt, die mich verführen soll.«

Schwammig sah er's, von der Hefe seines Denkens getrieben, das unförmige Sorgengematsch; da nichts besser war und ruhiger als das Wachsenlassen aus Geschehen, quoll zwischen seinen Fingern Tat, quoll auf, beschattete ruhenden Genuß.

»Penne mit Thème und Geschichte, Klotzsch, Lehmann, Ilse« – dehne die Pause, atme wieder und wieder; Ilse ist kein Ende, Atemholen vielleicht, und was kommt, heißt doch: »Margot!«

Vom weißen Nachttischmarmor der Zettel. Eine dünne Neugierde, süß ein bißchen auf dem Gaumen. Und nun, hie und da nachdenksam – ein Schaukeln im Leibe, ungelenken Rhythmus, schulterentsprungen, auf den Hüften wellenhaft strandlaufend –, sah er im Aufbrand des Erstaunens beide: Zettel und Brief; fragte: »Aber Ilse? Süßestes Erleben, da ihr Wort mich fischte. Doch – kaum im Netz ihrer Liebe geborgen, atme ich einer neuen Göttin zu? Margot?«

Er lauschte. Irgendwo weit fort rief's Antwort, wie die Speisemädchen der Wirtschaften Gerichte zur Küche rufen, ins Gebrodel der Töpfe und Tellergeklirr, zu weit fort für Verständnis.

Stärker schwangen die Schultern. »Aber ich liebe sie doch! Nicht wahr? Ilse?«

Dem Schweigen enthob sich Gewißheit. Sie war bei ihm, immer war ihr weißes Gesicht da und dort und hier, über seiner Schulter, im Ofendunkel, beim Bettpfosten, hier und dort und da.

Wartend hob er die Hände zum Dach seines Scheitels, fühlte das Rieseln kommender Antwort mit spitzem Gekitzel zur Haut, hob die Ferse: »Es!!!«

In den Langstuhl geworfen, übereinander die mageren Beine gelehnt – vergeblich suchte die Wade den blauen Knöchel zu wärmen –, spähte er weiter, prüfte, fand Bestätigung. »Von neuem überrascht. Da Es Ruhe in Ilse erkannte, bekämpft Es nun sie. Sie allein meine Rettung.«

Er tanzte. Geckenhaft und verludert schwangen die Beine. Triumph enttriefte dem Hirn über Brust zu den Weichen, die prickelnd erwärmten.

Sieg sang er: »Ich habe dich! Ertappt, gegriffen, entblößt. Sieghafter Kai! Zerschmettertes Es. Wolltest Ilse rauben? Armes!«

Die Kleider haschend, das Gesicht mit Wasser benäßt, sprang er geziert in Hemd und Hose. »Er wird nicht abgeschickt, der Brief. Frei bin ich.«

Und er stopfte ihn in die Tasche.


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