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»Kai? – Ja, was machst du dort am Fenster? Komm ins Bett. Du wirst dich erkälten.«

Und der Vater streifte die Decke über den bebenden Sohn. Seine ein wenig schlaffe, doch magere Hand berührte den kalten Fuß.

»Wie eisig du bist! Du mußt achtsamer mit deiner Gesundheit sein, besonders jetzt vor der Osterversetzung.«

»... ja ...«

Es war still. Der Vater hockte sich auf die Bettkante, ein schmaler Lichtstreif der Straßenlaterne vorm Fenster erhellte bleich sein Gesicht, doch funkelten Reflexe auf den Brillengläsern, die den Ausdruck des Blickes der Erkenntnis entzogen.

»Mama war bei dir, Kai?«

»Ja.«

»Wir sind sehr traurig, Kai. Womit haben wir es verdient, daß du dein Vertrauen uns entzogst?«

Stille. Dann raschelte es an der Tür, beide im Dunkel spannten dorthin, beide wußten's, und einer vom andern, daß dort jene stand, die Mutter, und, von Tränen erschüttert, lauschte.

(›Wie sanft scheint Papa. Ist gar nicht so schlimm also, was ich tat, diese Briefe ...‹)

»Haben wir dir nicht jede Freiheit gelassen? Nicht einmal deinen Wegen nachgefragt? Das dein Dank? Fremde müssen uns erzählen, was unser Sohn ...«

(›Sehr traurig ist er. Aber spricht er nicht immer nur von sich? Und wo will er hin?‹)

»Und wenn um unsrer Liebe nicht, schon um meiner Stellung willen hättest du das nicht tun dürfen. Habe ich nicht oft und oft gesagt, Richter sein bedinge bis in das Privateste Fleckenlosigkeit? Du hast Pflichten, Kai, nicht nur gegen mich, mehr noch gegen den Staat, der mich berief ...«

(›Rede, du triffst es nicht. Strafe mich schnell, deine Strafe erreicht mich nicht. Morgen schon in der Heide bin ich frei von allem. Mach ein Ende nur, nur ein Ende, ich bitte dich, meine Gedanken warten nicht mehr.‹)

»Vertrauen, Kai, Vertrauen. Fremden gibst du es. Weißt du, wie sehr du uns gekränkt hast? Warum redest du nicht? Hast du uns nichts zu erzählen? – Also nicht, Kai, du willst nicht. Bleibt mir nur noch wenig zu sagen. Dein Direktor lehnt es ab, sich weiter damit zu beschäftigen.«

(›Wie!!!‹)

»Er wie ich halten es für Sache der Eltern. Und da sage ich dir, Kai, man tut das nicht! Du bist viel zu jung dafür. Nichts darfst du davon wissen. Es schadet dir, an Leib und Seele ...«

(›Wovon spricht er ...?!‹)

»Kai, hierüber redet ein Vater nur einmal mit seinem Sohn. Nie wieder. Und ›wieder‹ darf nicht nötig sein. Du versprichst es mir, jetzt in meine Hand hier, daß du das nie wieder tust ...«

(›Was ...?!‹)

»So, gib deine Hand. – So, du hast es versprochen. Und wenn du schwach werden willst, denke an diese Stunde, denke an die Tränen deiner Mutter, denke daran, daß sie sich schämen müßte vor dir, denke nicht zum wenigsten an meine Stellung ... nie wieder!«

(›Mein Kopf schmerzt so! Ich verstehe ihn nicht. Was will er denn?!‹)

»Und noch eins, Kai, daß du ruhig bist. Deinen Brief an den Direktor lege ich hier auf den Nachttisch. Ich holte ihn mir. Vernichte ihn, dann ist die Sache vorbei, niemand weiß mehr davon. Und wenn du morgen erwachst, war alles böser Traum. Nichts Wahres. Nur verstärktes Gefühl für Pflicht verblieb draus. Und nun schlaf gut. Mache dir keine Gedanken, daß du morgen zum Unterricht frisch bist ... Gute Nacht, Kai.«

»... gute Nacht ...«

   

Schon flammte das Licht. Kai warf das Briefblatt auf: seine Anzeige an den Direktor!

»Nur dies! Sie wußten nichts. Nur hierum ging es! Und jetzt wäre ich tot! Aus einem Mißverständnis tot! – Wieder aus das Licht! Nun das Dunkel. Aber so weit von mir weg. Die Tränen, die ich mit Mama weinte, ihrem Leid galten sie nicht. Und Papa ... dieses Versprechen ... wieder kann ich zu Ilse ... es geschah nichts!«

»Aber sie hätte um mich geweint. Ich wäre dagelegen, so, die Mundwinkel hochgezogen und hinter den geschlossenen Augenlidern einen Blick, Blick bis in ihre Träume hinein. Du. Ja, um deinetwillen sterbe ich. Warum ist deine Liebe so schwach? Kein Arm um meinen Hals. Kein Ausruhen. So wird es dort sein: in der Heide die Föhren und jener sanfte Sand ... blauer Himmel ... einmal noch die Lerchen ... das Wolkenwandern weiß, selig, reißt mich von dieser Erde auf ...

Doch habe ich keinen Revolver ... Wie tue ich es? – Nur zwei Radelstunden bis dort ... ein Stück Wäscheleine werde ich mitnehmen im Rucksack ... dann, Ruhe ...

Aber ich brauche es ja nicht! Sie wissen nichts! Ich kann leben, weiter! Nur keine Briefe mehr, so finden sie nichts ... Ist es wirklich nicht notwendig?«


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