Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Nachwort

Bis über die Mitte des vorliegenden Bandes hinaus hatte ich die Absicht, ihm ein Vorwort beizugeben, so wenig ich Vorreden liebe, und so ungewöhnlich es gewesen wäre, den dritten Teil eines Werks mit einer solchen zu verunstalten. Aber ich hielt es für nötig, den geneigten Leser auf mancherlei sorgsam vorzubereiten, allerhand Mißverständnisse zum voraus aus dem Weg zu räumen, und mir im allgemeinen und pränumerando sein Wohlwollen zu sichern.

So wollte ich zum Beispiel erklären, daß es mit den »Meisterjahren« so ernst nicht gemeint sei. Der Untertitel entstand wie von selbst aus dem Dreiklang Lehr-, Wander- und Meisterjahre, und bedeutet nicht viel mehr als ein Wortspiel. Wer sich allerdings in seinem sechsundvierzigsten Jahr – so alt war ich ungefähr ums Jahr 82 des vorigen Jahrhunderts – des Meistertitels noch nicht würdig fühlt, sollte es bleiben lassen, Bücher zu schreiben. Und doch muß ich gestehen, daß ich es aufgegeben habe, das Gefühl, wenn nicht ewig jung, so doch ewig Lehrling zu bleiben, in diesem Leben jemals loszuwerden.

Sodann wollte ich jedermann um Verzeihung bitten, dessen Namen ich in diesem Buch erwähnt habe. Ich weiß, es ist dies vielen nicht angenehm, und ich hatte mit mir selbst einen heftigen Streit bezüglich dieses Punktes. Allein mit Herrn X, Herrn V und Herrn Z bändelang zu verkehren, war natürlich ausgeschlossen; auch hätte ich das ganze lateinische und griechische Alphabet verbrauchen müssen. Hervorragende und überdies erfolgreiche Schriftsteller neueren Datums werfen in einem solchen Fall mit erfundenen Namen um sich, die zu enträtseln zu den Genüssen der modernen Lesewelt gehört. Doch müssen es im allgemeinen schlechte Menschen sein, wenn dies dem Leser wirkliches Vergnügen machen soll, und ich hatte das Malheur, in den vierzehn Jahren, aus denen dieser Band stammt, und unter den Hunderten, die ich in dieser Zeit kennen lernte, nicht einem einzigen zu begegnen, bei dem es sich lohnte, ihn unter einem falschen Namen zu verstecken. Bei Gott, der sie erschaffen! die Welt ist nicht so schlecht, als sie gemalt wird; und der einzige, den ich unter diesen Umständen bedaure, ist mein Verleger. Denn – wunderlich genug – die vielen guten Menschen, die Bücher kaufen, wollen viel lieber von den schlechten lesen als von solchen ihrer Art.

Ferner wollte ich des breiteren erklären, wie ein Ingenieur, der mit Leib und Seele in seinem Beruf gelebt hat und ihm heute noch zugetan ist wie in den ersten Flitterwochen am Schraubstock, es übers Herz bringen konnte, vierzehn Jahre seines Lebens damit zu vergeuden, den Landwirten eine Gesellschaft zu gründen, die sie, anfänglich wenigstens, gar nicht haben wollten. Doch kann ich dies zum Schluß auch jetzt noch andeuten.

Und endlich wollte ich alles Ernstes bitten, diese Briefe nicht als etwas andres zu nehmen, als was sie sind; nämlich Briefe: Äußerungen augenblicklicher Stimmungen, die nach Tagen schon verflogen sein mögen, Bilder, die mir schon nach Wochen in einem andern Lichte erschienen, Tatsachen, die ich zurzeit nur von einer Seite, und vielleicht von der falschen, sehen konnte, Urteile, die im Lauf der Jahre ihre Berechtigung verloren haben. – Warum ich sie trotz all dem wieder ans Licht zog? – Ist nicht alles, was wir fühlen und wissen, ähnlicher Natur? Ein Bild des ewigen Wechsels in einem bewegten Spiegel.

Zum Glück ist aus dem Vorwort nichts geworden. Ein Buch muß für sich selbst sprechen. Dagegen drängt es mich, zum Schluß einiges Tatsächliche zu erwähnen, das auch dem Buch seine Berechtigung gibt, soweit es die Entstehung der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft schildert, und damit ein Kulturbild aus dem Strom unsrer Zeit zu geben versucht.

Am Tag, an dem ich die Zügel niederlegte, zählte die Gesellschaft 12 000 Mitglieder, hatte ein jährliches Einkommen von gegen 300 000 Mark, ein Barvermögen von über 1 200 000 Mark und stand in voller, unabhängiger und unbedrohter Tätigkeit für einen Beruf, dem zweiundzwanzig Millionen Deutsche ihre Lebensbedingungen verdanken. Über die Früchte ihrer Arbeit mögen sich andre verbreiten.

Trotz des befriedigenden Standes der Dinge war ich ein wenig und viele meiner Freunde lebhaft besorgt, ob und wie nach dem Rücktritt des Gründers das Werk in der alten Weise seinen Fortgang nehmen werde. Wir hatten keinen Grund, besorgt zu sein. Heute zählt die Gesellschaft gegen 15 000 Mitglieder, hat ein Jahreseinkommen von 400 000 Mark, ein Vermögen von rund zwei Millionen und alle Hände voll zu tun, die mannigfachen Aufgaben zu lösen, die ihr alljährlich aus dem fast unübersehbaren Gebiet der landwirtschaftlichen Technik zufließen. So viel erreicht man in diesen Notstandszeiten, wenn man zwanzig Jahre lang, ein Ziel im Auge, nicht betteln geht, sondern auf die eigne Kraft vertraut. Das aber tut die Gesellschaft heute noch, und deshalb habe ich recht behalten, und nicht die, welche fürchteten, »sie stehe auf zwei Augen«.

Daß aber ein Ingenieur auf dem Gebiete der Landwirtschaft dieses Rechenexempel anstellen mußte, mag damit zusammenhängen, daß ich als Kind und Junge in Feld und Wald aufgewachsen bin. Man kann ein Mann ohne Halm und Ar sein, wie ich es heute noch bin, und doch am heimischen Boden hängen wie ein echter Bauer. Solche Leute gibt es, Gott sei Dank, viele Tausende im deutschen Vaterland, und selbst draußen unter allen Himmelsstrichen, wo sich deutsches Wesen betätigt. – Und dann – was ich selbst vielleicht zu wenig betont habe –, war es ja doch die Dampfkultur, die hinter all dem steckte. Ohne den Dampfpflug wäre ich nie in die Lage gekommen, eine Deutsche Landwirtschaftsgesellschaft gründen zu können. Es fiel mir dies besonders aufs Gewissen, als ich vor einiger Zeit die Kulturarbeiten meines Freundes Richard Toepffer zu Logau in der Lüneburger Heide besuchte, wo auch der Dampf Tausende von Hektaren deutschen Bodens erschließt und ödes Heideland in wogende Kornfelder verwandelt. Der Strom unsrer Zeit ist eine Kraftquelle, die wir kaum begonnen haben zu erschließen. So kommt es wohl, daß der Techniker, der Ingenieur auf allen Gebieten des Lebens sein Recht auf Arbeit geltend macht. Es steht nicht schlimm um unsre Zukunft, solange dies geschieht. – –

Als wir uns drei Jahre nach meinem Abschied von Berlin und der Deutschen Landwirtschaftsgesellschaft dem Ende des Jahrhunderts näherten, durch dessen zweite Hälfte der »Strom unsrer Zeit« dahinglitt, baten mich meine alten Freunde, zur Feier der Jahrhundertwende ein paar Worte für die »Mitteilungen der D. L. G.« zu schreiben, die nun doch trotz alles früheren Widerstrebens eine Art Zeitung geworden sind. So entstand das Stimmungsbild, aus dem heraus dieser dritte Band erwachsen ist und durchlebt wurde, und mit dem er nun auch schließen möge.

An des Jahrhunderts Wende

Es knirscht der Schnee; die Fichten schauern
  Am Wege dort, entlang der Flur.
Und wie ein unaussprechlich Trauern
  Weht's durch die sterbende Natur.
Vom Himmel hängen schwarz und schwer,
Wie Totenschleier, ringsumher
  Nachtgraue Wolken nieder.

Ein stiller Wandrer kämpft entschlossen
  Und raschen Schritts mit Frost und Wind;
Er kommt von fröhlichen Genossen,
  Die scherzend noch beisammen sind.
Sie warten auf der Turmuhr Schlag
Und auf den ersten jungen Tag
  Des kommenden Jahrhunderts.

Ein Landmann ist's. Ihm ward's zu lange;
  Ihm schien zu laut der Freunde Schar
Noch nie war ihm so schwer, so bange
  Beim letzten frohen Glas im Jahr.
Nachdenklich schreitet er dahin;
Gar vieles geht ihm durch den Sinn,
  Was hundert Jahre brachten.

Kalt weht der Nachtwind ihm Gedanken
  Aus längst vergang'nen Zeiten zu;
Wenn hundertjähr'ge Eichen schwanken,
  Hat auch der Wand'rer keine Ruh.
Welch' eine Nacht! Im Sturmeswehn
Sieht Schatten er vorübergehn:
  Der Jahre lange Reihe.


»Zu Anfang – das war noch Großvaters Zeit –
Hat's wohl wie jetzt gestürmt und geschneit.
Kriegszeiten ringsum, mit Rauben und Brennen,
Wie wir sie heute kaum ahnen können.
Und Ernte um Ernte, jahraus, jahrein
So schlecht, sie konnten nicht schlechter sein

Drei Brüder waren's, die samt den Sorgen
Das Gut überkamen, neunhundert Morgen.
Der erste, ein Junge frisch und froh,
Liegt bei Leipzig begraben, man weiß nicht, wo.
Der zweite kam heim, nach bangen Wochen,
Zum Sterben krank, mit zerschossenen Knochen.
Und das Gut, da sah man den Jammer erst recht:
Kein Gespann mehr im Hof, kein gesunder Knecht;
Franzosen und Russen in wechselnder Hast,
Das Saatgut von fremden Pferden gefressen,
Und fast erdrückend der Steuern Last,
Ein ewiges Fordern, Drängen und Pressen!
Die Felder verwildert, im Hause der Tod,
In Märkten und Städten die Hungersnot;
Und keine Hoffnung, so weit man sah;
Sie dachten, das Ende der Welt sei nah.
Und wie sie lebten, so hungrig, so arm!
Das war ein Anfang, daß Gott erbarm!«


Der Wandrer greift nach seiner Mütze:
  Fast wurde sie des Windes Raub.
Der fegte auf des Hügels Spitze
  Zusammen das verdorrte Laub
Mit lautem Brausen, wild und wilder.
Der fegt die trüben alten Bilder
  Dem Wandrer aus dem Sinne.

Bergab geht's jetzt. Er schreitet wacker
  Dahin, auf seinen Stock gestützt.
Dort liegt ja schon des Nachbars Acker.
  Hier schlummert alles, windgeschützt.
Und wie ein Traum, aus Flur und Wegen,
Kommt die Erinn'rung ihm entgegen
  An frohe Kinderjahre.


»Denn heller wurde es, wurde licht,
Der Himmel verläßt seine Deutschen nicht.
Der Friede kam endlich und Segen kam
Mit ihm, als der Vater das Gut übernahm.
Die Wunden vernarbten und neues Blut
Gab neue Kräfte und frischen Mut.
Und die alte Erde, in deutscher Treue,
Erwachte und trieb und sproßte aufs neue.

Bald wechselten gute mit besseren Jahren,
Man säte und mähte, und nahm's, wie sie waren.
Nicht immer in Not, nicht immer im Glück,
Das ist nun einmal des Landmanns Geschick.
Man pflügte und drillte, man hackte und schnitt,
Maschinen zeigten im Felde sich schon.
Man sprach von Salpeter und Kainit,
Und der Arbeit winkte ein fröhlicher Lohn,
Ja, die Preise von damals für Korn und Getreide,
Die Preise für Wolle, es war eine Freude,
Gedeihlich wuchsen Menschen und Vieh,
Und der Wert des Landes, man wußte nicht wie,
Auch kamen Gelehrte aus allen Landen,
Studierten, dozierten, entdeckten, erfanden.
Man gründete Schulen, man gründet Vereine,
Und schlimm war auch das nicht: man fand sich beim Weine.
Man lernte dabei von allen Seiten
Und war des reichen Erfolges gewiß:
Beim Himmel, es waren glückliche Zeiten,
Als mir der Vater das Gut überließ.«

Ein dichter Wald von schwarzen Fichten
  Ist's, den der Wandrer jetzt betritt.
Will sich das Dunkel nicht mehr lichten?
  Unsicherer wird jeder Schritt.
Wie still und kühl es ist, wie düster!
Der Nadeln heimliches Geflüster
  Warnt vor Gefahr und nahem Leid.

Dort hängen Nebel an der Halde
  Auf fremdem Feldstück, schlecht bestellt;
Und unaufhaltsam aus dem Walde
  Wälzt sich der Dunst ins Nachbarfeld.
Man sagt: Gift brüte in den Schwaden
Für Mensch und Vieh zu schwerem Schaden.
Doch immer zu, durch Raum und Zeit!

»Nun wirtschafte ich seit dreißig Jahren.
Mein Gott, was hab' ich erlebt und erfahren!
Erst das Glück, als wieder das Reich erstand,
Ein großes, ein einiges Vaterland;
Als wieder der teure, deutsche Boden
Der Lebenden Stolz, die Ehre der Toten.
Man jubelte laut und freute sich;
Dann aber kam's anders und wunderlich.

Es war ein Bauen im neuen Reich,
Ein Rühren und Regen, sondergleich!
Es blühte der Handel, die Industrie,
Doch niemand dachte ans liebe Vieh;
Und wenige nur im weiten Land
An den Grund von allem, den Bauernstand.
Der dachte ja selbst nicht viel an sich,
Gab Brot und Fleisch für mich und dich,
Gab Steuern willig und gab Soldaten.
Er hatte alles so hübsch getragen
Und trug's noch immer, das mußte man sagen.
Wenn alles blühte, was konnt' es ihm schaden?

Doch schwerer drückte – erst merkte man's nicht –
Der neuen Zeiten Riesengewicht.
Die Menschheit rührte wuchtig und schwer
Die gewaltigen Glieder im Weltverkehr.
Und so prächtig das Rühren mochte sein,
Hart traf es das kleinste Bäuerlein.
Getreide schickte uns alle Welt,
Und Fleisch und Eier, die niemand bestellt.
Sie nannten es Segen in ihrem Wahn,
Die sinkenden Preise, die man bot.
Und mitten im Glück erhob die Not
Ihr bleiches Haupt und starrte uns an.

Sie sanken und sanken, kaum war es zu fassen;
Wir wehrten uns redlich, das muß man uns lassen.
Es rangen vereint und unverdrossen
Für sich und die andern die besten Genossen,
Und haben es nicht übel getroffen.
Mit Bitten war's nichts, mit untätigem Hoffen,
Die eigene Kraft und das alte Recht
Hat manchen verschütteten Weg gebahnt.
Im heimischen Boden, dem treusten Knecht,
Erwachten Kräfte, die niemand geahnt.
Die Felder stehen, von Gut zu Gut,
Gleich Gartenbeeten, wie nie zuvor
Wir pflügen alljährlich mit neuem Mut,
Doch die Schulden auch wachsen uns übers Ohr.
Es war, es ist, es bleibt ein Kampf;
Nicht blutig, doch zieht er das Blut aus der Seele.
Kein Totschlag, doch mancher fühlt an der Kehle
Das kalte Messer im Todeskampf.«

Da öffnet der Wald sich. Frei liegen die Fluren,
  Dort drüben schimmert das traute Heim.
Er fühlt des eigenen Bodens Spuren,
  Und unter dem Schnee den sprossenden Keim.
»So geh, du altes Jahrhundert, geh!
Mit deinen Nöten, mit Lust und Weh
  Und deiner Pracht.

Wie in Schweiß und Blut die Väter gerungen
  Mit dem Schwert und dem Pfluge in Dunkel und Licht,
Wie sie tapfer die bittersten Jahre bezwungen,
  Hoffend und glaubend in Treue und Pflicht.
So will ich kämpfen, für Weib und Kind,
Schulter an Schulter, mit Freund und Gesind,
  Die alte Schlacht.

Nimmermehr soll mir die Hoffnung entweichen,
  Wenn auch der Pflug und das Schwert zerbricht.
Herr Gott im Himmel, gib mir ein Zeichen!
  Vaterlandserde, ich lasse dich nicht!
Kampf bis zum Ende, für und für!
Herr Gott im Himmel, ich danke dir;
  Wir sind erwacht.«

Und wie er die rauhe Hand erhoben
  Und zum Schwur sich öffnet der bebende Mund,
Da kam's wie freudiger Sturm von oben,
  Da kam es wie Segen aus tiefem Grund.
Ein Zittern ging durch Wald und Flur;
Im Dorfe drüben, die Kirchturmuhr
  Schlug Mitternacht.


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