Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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61.

Frankfurt a. M., den 21. Mai 1887.

Es bleibt wahr: in einem derartigen, Leib und Seele zerreibenden Strudel bin ich noch nie geschwommen. Nicht der Aufbau der Ausstellung, der an sich genug zu tun gäbe und täglich gewaltsame Änderungen und waghalsige Entschlüsse verlangt – all die kleinen und großen Fragen von weiterer Tragweite, die derselbe hervorruft, all das Geschrei nach Beachtung, die Entrüstung über Vernachlässigung, die mich umgeben, sitzen mir nachgerade auf den Nerven. Kappel, der Geschäftsführer des Rennvereins, erzählt mir täglich von dem längst dahingegangenen Geschäftsführer der Süddeutschen Ackerbaugesellschaft, einer glücklichen Natur, die unter ähnlichen, obgleich kleineren Verhältnissen alles vergaß und mit der fröhlichsten Miene der Welt dies zugab, wenn die Folgen seiner Vergeßlichkeit zutage traten. Dir ein Bild meiner gegenwärtigen Lage zu malen, ist schon aus Zeitmangel unmöglich: wie Schafe aus Schlesien nach ihren Hürden fragen, die sie nicht bestellt haben, wie sich Maschinen aus England nach Frankfurt an der Oder zu verirren drohen, wie Ochsen in Bayern angstvoll nach ihrem Futter und nach den Schlafstätten ihrer Knechte brüllen, wie der Vergnügungsausflug nach dem Niederwald sein Husarenmusikkorps nicht bekommen kann und der zweite Hauptredner der Festversammlung für unbestimmte Zeiten auf das Krankenlager geworfen ist. Dazwischen ergibt sich plötzlich die Notwendigkeit, hier ein Eisenbahngeleise zu legen, für das keine Schienen vorhanden sind, und dort einen Krankenstall zu bauen, an den niemand gedacht hatte. Aus Bremen, Mainz und Glogau kommt die Nachricht, daß Plakate fehlen; aus Darmstadt will ein großherzoglicher Hoflieferant den ganzen Platz mit »Triumphstühlen« versehen, während ein andrer aus München Patentfeuerlöschapparate aufstellen möchte, zu neun Mark das Stück. Ein Blumenmädchen will sich schon jetzt den Alleinverkauf von Rosen auf dem Ausstellungsplatz sichern, jeder von drei Photographen das ausschließliche Recht des Photographierens. Ein meist angeheiterter Stadtchronikschreiber hat uns seit vierzehn Tagen mit einem kommenden Schützenfest verwechselt und will dafür bezahlt sein. Daneben muß unser Grundgesetz wieder einmal umgearbeitet und für die Hauptversammlung ein Jahresbericht aufgestellt werden. Niemand hat Zeit, an die längst beschlossene Prüfung von Dörrapparaten zu denken, noch weniger an den Wettkampf von Zugochsen, von dem zwar die Nächstbeteiligten nichts wissen wollen, für den dagegen einige ferner Stehende förmlich schwärmen. Einer unsrer wärmsten Freunde schreibt entrüstet, wie es der D. L. G. möglich sei, ihre erste Ausstellung abzuhalten, ohne beim Richten der Tiere sein Punktiersystem anzuwenden. Dabei steht meine Zimmertüre selten still, und Dutzende von Leuten wünschen Aufschluß über Hunderte von Dingen, von denen ich oft genug selbst nichts weiß. – Es bleibt schließlich nichts andres übrig, als zu tragen, was man tragen kann, und das übrige am Wege liegen zu lassen. Der Jammer ist, daß ich hierfür nicht den nötigen Leichtsinn habe. Und doch kommt es darauf hinaus.

Gestern war Oberregierungsrat Lydtin aus Karlsruhe hier, der die Ausstellung der badischen Rinder leitet, der erste und einzige Herr, welcher es bis jetzt für der Mühe wert hielt, nach der Sache an Ort und Stelle zu sehen. Die Badenser rühren sich sichtlich, und Lydtin scheint einer der wenigen zu sein, die die praktische Bedeutung unsrer Ausstellungen erfaßt haben. Ganz freudlos ist mein Dasein doch nicht.


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