Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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84.

Berlin, den 16. Februar 1890.

Der faule Strohhaufen hat endlich Feuer gefangen. Gut ist es übrigens, daß meine landwirtschaftlichen Freunde unsre Privatkorrespondenz nicht zu Gesicht bekommen. Sie könnten doch den poetischen Wert meiner Auslassungen gelegentlich unterschätzen.

Wir stehen mitten im Kampf. Die Thomasschlackenbarone haben sich bei der letzten gemeinsamen Beratung in so rücksichtsloser Weise über ihre Pläne ausgesprochen, daß sich die D. L. G. unter Schultz-Lupitz' Banner entschlossen hat, den Streik einzuleiten und darauf hinzuwirken, daß der Kauf von Thomasschlackenmehl im Deutschen Reich bis auf weiteres eingestellt wird. Es regnet begeisterte Zuschriften aus allen Himmelsgegenden: jetzt sei doch endlich eine Vereinigung da, die kraftvoll für die Landwirtschaft eintrete, und Ähnliches mehr. Wären wir nur sicher, daß diese Stimmung ein paar Monate lang anhielte. Wenn den Thomasleuten das Mehl an den Hals geht – sie sollen nach wenigen Wochen schon bis an die Knie drin waten –, wird man wieder mit ihnen sprechen können. Aber ich fürchte, ich fürchte!– Wenn das Frühjahr kommt und die Herren Landwirte ihr schon gewohntes Mehl brauchen, ist kein Halten mehr. Dazu muß ein unglückseliger chemischer Landwirtschaftsprofessor in diesem Augenblick auch noch eine Broschüre veröffentlichen, in der er nachweist, daß der Landwirt nichts Klügeres tun könne, als Thomasmehl kaufen, so viel zu bekommen sei. Es mag ja wahr sein. Aber, o sancta simplicitas! warum denn gerade jetzt, wo am Nichtkaufen Millionen hängen! Daß der Herr Professor selbst gekauft ist, was einige sagen, will ich nicht glauben.

Das Feldgeschrei ist aufregend, das Hurra- und Marsch-marsch-Rufen ansteckend. Daher mag's kommen, daß ich während der zwei Nachtfahrten nach und von Straßburg, wo sich die Ausstellungssorgen zu regen beginnen, zu dichten anhub und etliche Schlachtgesänge zur Hebung der Begeisterung meiner Freunde anfertigte, die soeben in der »Deutschen Landwirtschaftlichen Presse« erschienen. Natürlich anonym; denn wenn es bekannt würde, daß wir unter der Decke auch noch dichten, würde man uns schwerlich mehr für ernsthaft zu nehmende Leute ansehen. Dir kann ich sie ohne Gefahr mitteilen.

Phosphorsaure Kampflieder

1. Der Ring

1.

Es ward ein Ring geschmiedet
Zu Bieberich am Rhein:
»Ihr Herren, nur nicht schüchtern!Der Ausdruck fiel in einer der gemeinsamen Beratungen des Rings.
»Und laßt uns lustig sein.

2.

»Wozu sind wir die Schlauen,
»Wozu die Bauern dumm?
»Heda, mein Freund am Pfluge,
»Kehr deine Taschen um!

3.

»Hörst du, was vom Katheder
»Der Herr Professor spricht?
»»Ohn' Phosphor und Salpeter
»»Bist du ein armer Wicht.««

4.

»Siehst du, wie unser Ringlein
»Sich schließt um Ost und West?
»Du magst dich drehn und winden,
»Es packt und hält dich fest.

5.

»Den Feingehalt herunter!Bezieht sich auf die Herabsetzung der erforderlichen Feinheit des Schlackenmehls.
»Was soll der eitle Wahn?
»Der Bauer muß uns glauben!
»Jetzt zieht die Schraube an.

6.

»Erst sechzehn und dann achtzehnDie rasch aufeinanderfolgenden Preissteigerungen.
»Dann zwanzig Pfennig her!
»Nun zweiundzwanzig, Bauer,
»Du bist noch lang nicht leer.

7.

»Und fünfundzwanzig später,
»Dann dreißig, Schuß auf Schuß!
»Ihr Herren, nur nicht schüchtern,
»Er zahlt schon, wenn er muß.«

2. Zweiundzwanzig

1.

Bei zweiundzwanzig Pfennig
– Es kam wie über Nacht –,
Da wird der Bauer stutzig.
Wer hätte das gedacht?

2.

Wohl klirrt und blitzt und funkelt
Der Ring aus Thomasstahl;
Des Herrn Professors Stimme
Dringt laut aus seinem Saal.

3.

Doch plötzlich hält der Bauer
Aufatmend hinterm Pflug,
Und brummt: Was, zweiundzwanzig?
Nein, zwanzig ist genug.

4.

Dann tritt er auf die Seite
In aller Seelenruh',
Und knöpft sich still und sinnend
Die Hosentaschen zu.

5.

Sie tun's in weiter Runde,
So vornehm, wie gering.
Draus ward zur selben Stunde
Der erste Bauernring.

3. Abschiedslied

Auf, auf, ihr Brüder, auf Befehl!
Der Abschiedstag ist da,
Wir gehn mit unserm Thomasmehl
Jetzt nach AmerikaDer Thomasring hatte auf den Beschluß, den Bezug von Schlackenmehl einzustellen, mit der Drohung geantwortet, sämtliche Vorräte nach Amerika zu verkaufen.

Es türmt sich um uns, Sack auf Sack,
Daß man darin erstickt;
Sie kaufen nichts, aus Schabernack,
Die Bauern sind verrückt.

Zwar ist nicht alles Gold, was glänzt,
Auch überm Ozean.
Der Yankeeteufel, vielgeschwänzt,
Hat's manchem angetan.

Man weiß nicht, was er glaubt und tut,
Doch ist es meistens Wind.
Er ist nicht halb so fromm und gut,
Wie deutsche Bauern sind.

Wenn man ihm von Chemie erzählt,
Fragt er, was man bezweckt,
Vor Maercker und vor Wagner fehlt
Ihm jeglicher Respekt.

»Frachtbasis Wonne!«Eine Bestimmung, die der Ring neben der Preiserhöhung und der Herabsetzung des Feingehalts des Mehls festsetzen wollte. Welch' ein Krach!
Er lacht dir ins Gesicht.
Und zweiundzwanzig Pfennig, ach,
Die erst begreift er nicht.

Mit Müh' und Not kauft er das Ding
Zuletzt und dann, o Graus,
Dann macht er seinen eignen Ring
Und wirft uns noch hinaus.

Was hilft's? Solange wir am Werk
Mit unserm Abschiedslied,
Wächst unter uns ein Schlackenberg,
Den niemand übersieht.

Auf, auf, ihr Brüder, ohne Fehl',
Der Abschiedstag ist da.
Wir gehn mit unserm Thomasmehl
Jetzt nach Amerika.

4. Nun zeigt's einmal

1.

Noch sind sie nicht gegangen.
Noch hat es keine Not;
Sie hangen und sie bangen
Auch um ihr deutsches Brot.

2.

Um deutsche Millionen,
Behaglich sichres Geld;
's ist besser, hier zu wohnen,
Als wandern durch die Welt.

3.

»Geduld, noch ein paar Wochen!«
So flüstern sie sich zu.
»Dann ist der Trotz gebrochen
»Und alle gehn zur Ruh.

4.

»Wir greifen schon mit Händen
»Den Millionensieg
»Geduld! der Lärm wird enden
»Wie jeder Bauernkrieg.«

5.

Ich seh' sie höhnisch lauern
Auf eure Mattigkeit.
Nun zeigt einmal, ihr Bauern,
Daß ihr auch Männer seid!

Ich fürchte, sie werden nicht viel dergleichen zeigen. Von allen Seiten hört man von Abtrünnigen. Selbst dem kampflustigen Schultz wird es bange, denn wenn der Frühling herankommt, braucht er sein Thomasmehl so gut als ein andrer, und schon jetzt schmiedet er Kompromißpläne. Darauf wird es wohl hinauskommen. Doch haben wir den Schlackenbaronen wenigstens einen heilsamen Schrecken eingeflößt, so daß sie sich in Zukunft zweimal besinnen werden, ehe wieder gesteigert wird. Wenn damit das Erreichbare erreicht ist, kann auch ich, der ich kein Schlackenmehl verzehre, zufrieden sein und meine Schlachtgesänge wieder einstecken.


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