Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Dritter Abschnitt. 1889 – 1890

Straßburg

83.

Berlin, den 17. November 1889.

Eine meiner Hauptaufgaben sehe ich darin, den Wagen der D. L. G. nicht stillstehen zu lassen. Die Leute müssen sich daran gewöhnen, ihn nie anders als in voller Bewegung zu sehen. Nur so können die gelegentlichen Seufzer, daß es mit den jährlichen Wanderausstellungen nun endlich genug sei – und dies nach drei Ausstellungen gegenüber den 51 der Engländer! – wirksam unterdrückt werden. Das ganze Unternehmen hat keinen Sinn, wenn es nicht wie die Jahreszeiten des Landmanns zur eisernen Grundlage seines Arbeitsplanes gehört. Glücklicherweise sind die Vorbereitungen für Straßburg in vollem Gang, so daß auch ich die Hände nicht in den Schoß legen kann, und selbst für die zwei folgenden Ausstellungen – Bremen und Königsberg – ist bereits alles geschehen, was ihrem Zeitabstand entspricht.

Dies scheint schließlich einförmig werden zu wollen, doch ist für Abwechslung genügend gesorgt. Straßburg wird nach innen und außen ein durchaus andres Gesicht zeigen als Magdeburg, wie dieses grundverschieden von Breslau war. Ich hatte ursprünglich im Sinn, auf Stuttgart als zweiten süddeutschen Ausstellungsort hinzuarbeiten und dann in der alten Heimat die Flinte an den Nagel zu hängen. Aber der Gedanke einer patriotischen Tat, wie man die Ausstellung der D. L. G. in Elsaß-Lothringen wohl nennen darf, hatte auch für mich etwas Verführerisches. Was die Flinte anbelangt, so finden sich wohl auch dort Nägel, wenn sie mir allzu lästig wird.

Schon bei meinem ersten Besuch fand ich bei den Behörden von Stadt und Land das bereitwilligste Entgegenkommen. Der nichtpolitische Charakter der Gesellschaft ebnet uns hier wie anderwärts die Bahn, die sonst mit allen erdenklichen Steinen des Anstoßes besät wäre. Allerdings mache ich kein Hehl daraus, daß ich zwischen Patriotismus und Politik unterscheide. Die Stadt arbeitet mit Eifer an der Herstellung eines für sie kostspieligen Platzes, der uns zur Verfügung stehen soll; die Regierung ist sichtlich bereit, alle Kräfte aufzubieten – und sie sind nicht klein –, uns einen hübschen Erfolg zu sichern. Das französische Element, soweit ich mit ihm in Berührung komme, ist nach französischer Art höflich, wie wenn ich ein Fremder wäre. Mehr verlange ich nicht und zahle willig mit gleicher Münze. In Oberbürgermeister Back hat die kommende Ausstellung einen energischen Freund, dessen Erfahrung und Klugheit die kleinen Hindernisse aus dem Weg räumen wird, die wir auf dem noch immer nur halb deutschen Boden erwarten müssen.

Auch unserseits soll es an Entgegenkommen nicht fehlen, und mit Freuden habe ich die erste Gelegenheit ergriffen, dies zu zeigen. Die Elsässer sind gewaltige Hopfenbauer, und beklagen sich bitter darüber, daß ihr Hopfen, der so gut sei als irgendeiner in der Welt, im Hauptbierland, in Bayern, nicht die Hochachtung genieße und die Preise erziele, die er verdiene; ja, daß er häufig als Elsässer billig gekauft und als bayrischer teuer verkauft werde. Wenn doch um Gottes willen, jammern sie, jemand eine Prüfung veranstalten wollte, bei der den Richtern die Herkunft der Hopfenproben verborgen bliebe. Dies gefiel mir wohl; es mußte einem Mann von gesundem Menschenverstand und ohne Hopfenkenntnisse einleuchten, und unser Direktorium nahm den Vorschlag, eine solche Prüfung im Zusammenhang mit der Straßburger Ausstellung abzuhalten, unbedenklich an.

Aber die Rechnung war ohne die Bayern gemacht worden. Mit bajuvarischer Wärme wurde in den dortigen Zeitungen erklärt, daß eine Hopfenprüfung ohne Kenntnis des Hopfenursprungs ein Unsinn erster Güte sei und nur irrenhausreife Esel eine solche beschicken würden. Ich ließ mich um so weniger irre machen, als mir eine kräftige Sprache stets wohlgetan hat, ich selbst weder Hopfenbauer noch leidenschaftlicher Hopfenkonsument war und mit Ruhe über der Sache schweben konnte. Auch meldeten sich, trotz des Tobens der Bayern, 164 Hopfenproben, darunter nicht wenige aus Bayern selbst, so daß ich die mir wohlbekannte landwirtschaftliche Halle in Frankfurt a. M. borgen mußte, um dieselben würdig unterzubringen. Dort ließ ich vor vierzehn Tagen die Probesäcke in geeigneter Weise mit der größten Vorsicht und Heimlichkeit aufstellen, und zwar so, daß die Landstriche Posen, Brandenburg, Bayern, Württemberg, Baden, Elsaß und Lothringen in wilder Verwirrung und Auflösung durcheinander gerieten, und niemand, außer mir, der ich den Geheimschlüssel der Aufstellung besaß, wußte, welchen Landes Kind die einzelne Hopfenprobe war. Die Richter waren mit peinlicher Gewissenhaftigkeit ausgewählt worden: zwei Hopfenbauer, zwei Hopfenhändler, zwei Brauer und ein Gelehrter.

Nachdem derart alles wohlgeordnet und numeriert war, wurden die sieben Herren zugelassen und begannen ihr Werk, bei dem alle fünf Sinne in Tätigkeit sind, namentlich aber die Nase von Bedeutung zu sein scheint. Nach zwei Tagen hatten sie die 164 Proben genügend befühlt, besehen und berochen und die sechsunddreißig Preise den einzelnen Nummern zugesprochen. In der darauffolgenden Nacht ließ ich die Namen und Ortsbezeichnungen an die Probekästen anschlagen und lud nach dem Frühstück die Herren Richter ein, ihr Werk zu betrachten. Es war ein Genuß, der mich für vierzehn Tage mühseliger Arbeit entschädigte, die Gesichter der Herren zu studieren, während sie die Namen der prämiierten Hopfenbauer und Hopfendistrikte ablasen. Die berühmten Saazer Hopfen hatten nicht einen ersten Preis bekommen. Der Bürgermeister von Saaz, der nach Frankfurt gekommen war, um den Triumph der Seinen nach Hause telegraphieren zu können, lief fluchend vor dem Ausstellungsgebäude auf und ab. Einer der Richter klagte laut, daß er Gefahr laufe, bei der Rückkehr in seine Heimat totgeschlagen zu werden. Die Elsaß-Lothringer, die über die Hälfte aller Preise bekommen hatten, jubilierten, und ich freue mich im stillen auf die nächsten Artikel in den bayrischen Hopfenzeitungen, die eine schätzenswerte Bereicherung der deutschen Sprache voraussehen lassen.

Trotz des herannahenden winterlichen Friedens gehen wir auch hier einem frischen, fröhlichen Krieg entgegen, in dem es, fürchte ich, bei einer bloßen Wortkanonade nicht bleiben wird.

Ich habe Dir schon von der Thomasschlacke erzählt, aus der man, ihres Phosphorgehalts wegen, seit etlichen Jahren ein wertvolles künstliches Düngemehl herstellt. Anfänglich waren diese Schlacken, die sich als nutzlose Abfälle der Gußstahlfabrikation bergehoch um die Stahlwerke aufgehäuft hatten, fast umsonst zu haben, weil niemand etwas aus ihnen zu machen wußte. Dann, als man ihren Wert für die Landwirtschaft entdeckt hatte und überall Mühlen entstanden waren, die den harten Stein in feines Mehl verwandelten, stieg der Preis dieses Mehls von Jahr zu Jahr. In jüngster Zeit haben nun die Thomasmehlmüller und -händler nach berühmten Mustern einen Ring gebildet und erhöhen ihre Preise nach Gutdünken. Die ganze Landwirtschaft beginnt zu grollen, und Schultz-Lupitz, der Rufer im Streit, sobald er das begeisternde Wort Dünger vernimmt, ist bereits Feuer und Flamme. Es scheint in der Tat nötig zu sein. Erst vorige Woche wurde der Preis des Zentners Schlackenmehl um weitere drei Pfennig erhöht, ohne einen andern ersichtlichen Grund als den Wunsch der Händler, so schnell als möglich Millionäre zu werden. Was Schultz außer sich bringt, ist die Nachricht, daß die Herren das Thomasschlackenmehl nach Amerika billiger verkaufen als in Deutschland. »Und solch vaterlandslose Gesellen soll der deutsche Bauer mit dem Schweiß seines Angesichts füttern!« rief er gestern, zitternd in heiligem Zorn.

»Warum schmiedet ihr deutschen Bauern nicht auch einen Ring?« fragte ich ihn; worauf er nachdenklich nach seinem Abgeordnetenhaus ging, wo er gegenwärtig den größeren Teil seiner Zeit vergeudet.


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