Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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37.

Bonn, den 15. September 1885.

Es ist zweifellos jetzt nur noch eine Frage der Zeit, die »unmöglichen« 2500 zusammenzubringen. Heute fehlen noch genau hundert, wenn mir niemand stirbt oder rückfällig wird. Beides kommt leider gelegentlich vor, und die wunderlichsten Gründe müssen das letztere entschuldigen. Gestern traten drei aus, weil sie von Herrn Dr. Pietrusky, der das Leben in Pommern unmöglich mache, gegen ihren Willen angemeldet worden seien, ein andrer vor einer Woche, weil er geglaubt habe, die D. L. G. sei eine Wohltätigkeitsanstalt. In Wahrheit steckt gewöhnlich das drohende Gespenst der zwanzig Mark des Jahresbeitrags hinter diesen Austritten, und ich gebe zu, es ist eine starke Zumutung, zwanzig Mark jährlich für das bloße Versprechen künftiger Großtaten zu zahlen. Je mehr ich jedoch vom Vereinsleben in Deutschland sehe, um so mehr überzeuge ich mich, daß wir einen hohen Beitrag schon aus psychologischen Gründen festhalten müssen. Wenn die Leute zwei, drei, da und dort fünf Mark jährlich bezahlen, kümmern sie sich um ihre Vereine nicht. Wenn es sich dagegen um eine Summe handelt, die sie ein wenig fühlen, werden sie fragen, was aus ihrem Geld geworden ist, werden darauf sehen, daß gearbeitet wird, und werden mitarbeiten. Gewöhnlich bezahlt man die Leute, damit sie arbeiten. Falsch! Sie müssen bezahlen, dann dürfen und werden sie arbeiten.

Bis jetzt scheint sich dieser etwas ungewöhnliche Grundsatz zu bewähren. Eine Anzahl unsrer Mitglieder ist sichtlich voller Eifer und stampft vor Ungeduld, wie Rennpferde vor dem Start. Die Vorschläge, mit denen ich überschüttet werde, sind beängstigend nach Art und Zahl; und alle wollen wissen, was aus ihren zwanzig Mark werden soll. So wollte ich sie haben!

Dagegen fehlt es auch nicht an ehrlichen und unehrlichen Bedenken, an offenem und geheimem Widerstand. Da ist noch immer meine Person, die Anstoß und Ärgernis erregt. »Wer ist eigentlich dieser Eyth?« fragte ein Göttinger Professor kürzlich wieder unsern Freund Rimpau. »Der Mann muß doch irgendwelche Absichten haben. Ist er nicht doch am Ende ein heimlicher englischer Agent für wer weiß was? Es steckt etwas dahinter, das kann jedes Kind sehen. Aber was?«

Die Düngerabteilung macht auch mir Sorge. Mein guter Freund Schultz ist nicht zu bändigen und verhaut sich da und dort gewaltig. Die Phosphatverträge namentlich erregen den heftigsten Widerspruch. Sie konnten nicht so gestaltet werden, daß, wie beim Kainitvertrag, jedermann seinen Nutzen dabei hat. Daß aber dieser Nutzen den Mitgliedern der D. L. G. zufällt, ist den Millionen, die noch nicht Mitglieder sind, ein Dorn im Auge. Anderseits sind Tausende, auf deren Beteiligung an der Gesellschaft ich, wenn auch in ferner Zukunft, rechne, nicht anders zu bewegen, als wenn sie greifbare, sofort in Mark und Pfennig auszudrückende Vorteile sehen. Und dabei wird mir zugemutet, Ideale hochzuhalten, über die jeder hinter meinem Rücken spottet; ich mit. Nein, den Boden unter den Füßen sollen sie mir nicht wegschwatzen!

Das schlimmste ist, daß nach guter deutscher Art vorläufig das Streiten auch innerhalb der Kainitabteilung kein Ende nehmen will und das dreieckige Duell zwischen Schultz, Grahl und Beck wieder in vollem Gang ist; Schultz mit seinem blinden Eifer, Beck mit einer immer krankhafter werdenden Nervosität, Grahl, nach seiner Gegner Behauptung, mit selbstsüchtigen Hintergedanken, die ganz andre Ziele verfolgen. Dabei müssen alle Kugeln, die sie austauschen, um die Ecke über Bonn laufen. Es ist ein Glück, daß das Geschäft, das unser Kainitvertrag eingeleitet hat, über Erwarten gut geht. Das hält das wunderliche Dreigespann noch immer zusammen.

Kannst du dich wundern, wenn ich wieder einmal das ganze Chaos einer entstehenden kleinen Welt vorige Woche plötzlich in einen Winkel warf und mit einem jungen Studenten, dazu mit einem Engländer, ins Moseltal lief?


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