Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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90.

Bremen, den 13. Juni 1891.

Wenn das Gebrüll des Viehs auf dem Ausstellungsplatz und das Geschrei der Tausende von Menschen verstummt ist, und das weite Feld dreinsieht wie ein verlassener Saal nach einem Maskenball, läßt sich eher erzählen, wie alles gekommen und gegangen ist, als in dem Getümmel selbst, aus dem Dich ein gelegentlicher Notschrei oder eine Postkarte mit der Bemerkung erreicht, wie wohl es mir ist. Also!

Der Aufbau der Ausstellung nahm seinen Verlauf mit weniger Reibung als gewöhnlich, obgleich der Platz mit seinen Gräben keine leichte Aufgabe stellte, und das Wetter im April zu schwerer Prüfung wurde. Das habe ich den Bremensern zu danken, mit denen es sich prächtig arbeiten läßt. Kein Lärm, keine Überstürzung; wenn sie aber ja sagen, so meinen sie es auch, was in Straßburg und anderwärts nicht immer der Fall war. In diesen alten, freien Städten lebt noch etwas von Selbstvertrauen, von Sinn für Selbsthilfe jeder Lebensaufgabe gegenüber, das den Menschen sofort zum Herrn, anstatt zum Diener der Lage macht. Mit solchen Leuten läßt sich leben, wenn man sie einmal versteht. In persönliche Berührung kam ich allerdings nur mit wenigen, denn ich mußte, wie gewöhnlich, vom 1. April an Einladungen, an denen es mir nicht fehlte, grundsätzlich ablehnen. Die Leute schütteln hierüber die Köpfe und begreifen nicht, wie man ein solcher Bär sein kann; noch weniger, daß ich es sein muß. Aber es ist so und schadet weder mir noch ihnen.

Die Ausstellung verlief prächtig, fast ohne daß es mir zum Bewußtsein kam. Von morgens fünf bis abends zehn Uhr bringt jede Viertelstunde ein halbes Dutzend Anforderungen, von denen eine erledigt wird und die fünf andern vom nächsten Augenblick verschlungen werden und damit ihre Erledigung finden. Das nennt man eine Ausstellung leiten. Ist alles gut vorbereitet, und stützen sich diese Vorbereitungen auf das, was man bei früheren Gelegenheiten gesündigt hat, so reibt und rollt und rasselt das Ganze weiter, ohne allzu große Not. Nach vierundzwanzig Stunden werden die Leute müde, über Kleinigkeiten zu schimpfen, und nach fünf Tagen beglückwünschen sie sich und uns mit vollen Backen zu dem glänzenden Erfolg.

Von dem Ernst der Sache habe ich Dir nachgerade genug erzählt. Eines nicht allzu glänzenden Verlaufs erfreute sich einer der mit der Wanderversammlung verbundenen Ausflüge, in Form einer Seefahrt nach Helgoland. Der Bremer Lloyd, in seiner gewohnten fürstlichen Freigebigkeit, stellte hierfür den Dampfer. Als alter Kapitän bestand mein Freund Schneemann, der Schlachthofdirektor, darauf, die Leitung des Ausflugs zu übernehmen. Wir hatten zu Anfang eine kleine Meinungsverschiedenheit auszufechten. Er wünschte, die Teilnehmer um einen bestimmten festen Preis mitzunehmen, wofür auf dem Dampfer Essen und Trinken frei sein sollten. So sei es viel gemütlicher. Es seien doch alles anständige Herren, die Mitglieder der D. L. G.! Dennoch erhob ich meine warnende Stimme, denn ich hatte Gelegenheit gehabt, die Hofgesellschaft von Kairo auf den vizeköniglichen Dampfern, den vornehmsten Plebs von Neuyork im dortigen Stadthaus und die Kongresse deutscher Ärzte und Naturforscher im Rathaus zu Berlin unter ähnlichen Verhältnissen zu beobachten. Ich kannte deshalb das Tier, das im Menschen steckt, und wußte, wie weise der Schöpfer dafür gesorgt hat, daß es in nicht allzu bestialischem Grade hervortritt, indem er an die Genüsse von Speise und Trank die Pflicht des Zahlens knüpfte. Schneemann aber wollte sich das Vergnügen nicht nehmen lassen, jedermann frei und glücklich zu wissen, und füllte seinen Dampfer mit allem, was vierhundert Menschen in achtzehn Stunden essen und trinken können. Ich sah ihn am Tag nach der Seefahrt: einen gebrochenen Mann. Seine Schilderung und die Schilderungen aller andern, denen die Nachwehen der Seekrankheit und eines beispiellosen Katzenjammers einerseits, anderseits Hunger, Durst und Entrüstung die Sprache noch nicht völlig geraubt hatten, sollen einen Brief an Dich nicht verunstalten. Der ganze Vergnügungsdampfer war achtzehn Stunden lang ein schwimmendes Pandämonium geworden. Und es waren alles anständige, gebildete Leute.

Anderes verlief anders, zur Ehre der D. L. G. und ihrer Freunde. Herr Schütte, der Petroleumkönig von Deutschland, gab der Gesellschaft im »Bürgerpark« ein Feuerwerk, das den wunderhübschen Park in ein feuriges Feenreich verwandelte. Der Großherzog von Oldenburg lud eine kleine, erwählte Gesellschaft zu einem Diner im Parkhaus ein, nach dessen Schluß er mir mit herzgewinnender Liebenswürdigkeit den Hausorden der Oldenburgischen Krone überreichte. Am letzten Tag der Ausstellung gab uns der Senat von Bremen ein Festmahl, bei dem ich an der Seite des Herrn Syndikus der Stadt unserm Präsidenten und den beiden Bürgermeistern gegenübersaß. Der Syndikus erzählte im Lauf des Abends dem Erbgroßherzog ein Geschichtchen, das aufbewahrt zu werden verdient:

Die Pacht eines städtischen Grundstücks hat sich seit dreihundert Jahren in einer Familie sozusagen fortgeerbt. Der gegenwärtige Pächter sollte einen höhern, zeitgemäßeren Pachtschilling zahlen. Dagegen sträubte sich der Mann und erklärte schließlich, als der Streit heftiger wurde, er werde laut seines Vertrags überhaupt nichts mehr bezahlen. Dabei zog er ein vergilbtes Pergament hervor, wonach das Grundstück der Familie auf ewige Zeiten in Pacht gegeben war gegen jährlich fünfzehn Pfund Heller oder »die Gestellung eines Gewappneten gegen die von Oldenburg«. Er habe auch heute noch die Wahl, und ziehe vor, der Stadt einen Gewappneten gegen die von Oldenburg zu stellen. Worauf der Erbgroßherzog begeistert sein Glas auf das Wohl seiner liebenswürdigen Feinde leerte. Tempora mutantur! Man sollte das nie vergessen, wenn man für ewige Zeiten Gewappnete auszurüsten versucht.

Einige Tage später überfiel mich in meiner schlichten Wohnung am Herdentorsteinweg eine feierliche Abordnung und überreichte mir laut Beschlusses des hohen Rats der freien Stadt Bremen eine Anweisung auf Bremer Ratskellerwein im Betrag von 500 Mark. Es ist dies die Art, wie die wackern Bremenser Orden austeilen – trinkbare Orden. Man geht mit dem kostbaren Zettel zu dem hochwürdigen Kellermeister der Stadt und wählt, was das Herz begehrt. Meine fernen Freunde, die mich, wie üblich, das Ausstellungsgerümpel allein abräumen ließen, sollen nicht zu kurz kommen.

Zum Schluß noch ein kleines Erlebnis aus diesen Bremenser Tagen, als Übergang zu den saftigen Triften Berchtesgadens, die ich ohne Verzug mit Dir aufzusuchen gedenke. Ich war gestern bei einem liebenswürdigen Professor, den ich schon in meiner Londoner Zeit kennen gelernt hatte, zum Tee geladen. Meine Nachbarin zur Linken war die Oberin eines Frauenkrankenhauses, eine hochwürdige Dame; rechts von mir saß ein schmächtiges, krankes Männchen, ein vielgepriesener Kanzelredner Bremens. Die edeln Bremer Damen hatten seit Monaten eine Kaffeebude auf dem Ausstellungsplatz unterhalten, um das Branntweintrinken der Arbeiter zu bekämpfen. Eine der Anwesenden erzählte von ihren Erfahrungen. Während der Ausstellung erhielt diese wohltätige Anstalt die Milch der Ausstellungskühe. In den ersten Tagen waren Rieseneimer voll Milch geschenkt zu bekommen. Dann aber nahm der Segen rasch ab. Die ausstellungsmüden Kühe gaben schließlich keine Milch mehr. »Ach,« sagte der berühmte Kanzelredner zu der Oberin, »ich besuchte die Ausstellung auch und wundere mich nicht. Welch ein Getümmel! Wenn wir fünf Tage lang ausgestellt würden, ginge es uns auch nicht besser.« Der gute Herr ahnte in seiner Unschuld nichts von der Verlegenheit, die sich um ihn verbreitete. Ich aber mußte ihm recht geben. Erfuhr ich's doch, geistig gesprochen, am eignen Leibe jetzt zum fünftenmal.


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