Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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112.

Berlin, den 5. September 1896.

Nun aber wird's ernst. – Vor einer halben Stunde schloß meine letzte Direktoriumssitzung, die sechsundneunzigste, wie man mir vorrechnete. Alles ist voll Abschiednehmens schon heute, obgleich kaum zu übersehen ist, was alles in den nächsten drei Wochen noch abgebrochen und aufgebaut werden soll.

Gestern abend gaben sie mir ein feierliches Abschiedsessen im Savoyhotel: der Kern und die Blüte unsrer Gesellschaft, etliche fünfzig Herren aus allen Himmelsrichtungen; Ostpreußen und Rheinländer, Holsteiner und Bayern, In einer Nische, unter Palmen und Lorbeeren, stand meine Büste, für die man mir mit Not und Mühe die nötigen Sitzungen abgerungen hatte und die mit Ach und Krach ein paar Tage zuvor fertig geworden war. Herr von Arnim hielt eine Art Trauer- und Festrede. Was er sagte, kann ich Dir nicht erzählen; es klänge zu wunderlich aus einem meiner Briefe. Hättest Du es gehört, so wärest Du schwerlich sehr trocken geblieben. Einleitend meinte er mit Recht, man habe über mein Werk wohl genug gesprochen und gehört, er wolle in dieser Stunde des Scheidens von mir, dem Menschen, sprechen. Und dann ging's los. Ich blieb ihm hoffentlich nichts schuldig. Ein Redlein, das ich mit vieler Sorgfalt präpariert hatte, warf ich in alle Winde, sprach von der Leber weg und soll ebenso rührend als gerührt gewesen sein. Ein Wunder ist es ja nicht. Man kennt Fälle, daß Leute, die zwölf Jahre im Zuchthaus gesessen, dasselbe mit nassen Augen verlassen haben. Meine D. L. G., mit allem, was drum und dran hängt, erforderte zwar oft genug harte Zwangsarbeit, ist aber immerhin etwas wesentlich andres. Kurz nach Mitternacht suchten wir unsre tiefbewegten Herzen zu Bett zu bringen, was, wie ich höre, den meisten auch gelang.

Heute folgte die Fortsetzung der Direktoriumssitzung, die schon gestern acht Stunden gedauert hatte. Es gab infolge meines Verschwindens gar zu viel zu ordnen und anders einzurichten. Eine abermalige Abschiedsrede und Gegenrede war unvermeidlich. Man erinnerte sich, daß ich in diesen Sitzungen nun zwölf Jahre lang das ausschlaggebende Wort gesprochen habe (Anmerkung des Scheidenden: ohne viel zu sagen) und daß in dieser ganzen Zeit nicht einmal ein Mißton in unsre Beratungen gekommen sei. Schließlich übergab mir von Arnim die große Denkmünze der Gesellschaft in schwerem Gold, das einzige Exemplar dieser Art, das je angefertigt wurde, und eine prachtvolle altdeutsche Truhe aus gepreßtem Leder, in dem sich etliche hundert Photographien unsrer hervorragenderen Mitglieder befinden; ich darf sagen: alle meine persönlichen Freunde. Es ist erstaunlich, mit wie vielen Leuten ich bekannt geworden bin, die mir, vom preußischen Landwirtschaftsminister herab bis zu manchem kleinen Gutsbesitzer und Pächter in Baden und Bayern ihre Freundschaft in dieser Form kundgegeben haben. Wieder hatte ich natürlich zu danken. Diesmal aber ging's schlecht. Wir waren im engsten Kreise; nur noch sechs, die die zweitägige Sitzung bis zum Schluß ausgehalten hatten: von Arnim, Thiel, Poggendorff, von Thüngen, Wölbling und ich. Man brauchte sich keinen Zwang anzutun, und Tränen flossen. Dabei ist es schwer, eine Ansprache zu beenden, und auch nicht nötig. Man kann mit Anstand mitten in jedem beliebigen Satz aufhören.

Du brauchst nicht zu fürchten, daß mich all dies in dieser Zeit unsrer Trauer aus der richtigen Stimmung gerissen hat. Ist doch dieses Scheiden ein stündliches Sterben, ein Abschiednehmen von vierzehn reichen Jahren meines Lebens, eine Trennung vielleicht vielfach auf Nimmerwiedersehen von treuen Genossen mühevoller, aber auch gesegneter Arbeit. Es mag hinter einem Wirtshaustisch oder auf einem kahlen Stoppelfeld oder am Rand eines Grabes sein; überall klingt uns dasselbe Lied entgegen: »Es ist bestimmt in Gottes Rat–«.


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