Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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99.

Berlin, den 26. Mai 1894.

Die Ausstellungsvorbereitungen gehen ihren gewohnten Gang, wenn es auch an Variationen nicht fehlt, die sich meist in Moll und in einigen noch ungelösten Dissonanzen bewegen. Anfänglich war kein rechter Zug in der Sache. Brandenburger und Pommern sind keine Ausstellungsmenschen. Ihr Sandboden zwang sie Jahrhunderte lang, damit zufrieden zu sein, ihr kärgliches Brot herauszuwirtschaften. Nun haben sie zwar, wenn man dies berücksichtigt, Erstaunliches geleistet und eine Sandwüste und arme Nadelholzwälder in große, schöne Güter umgewandelt, aber Schauen zu veranstalten, steckt ihnen nicht im Blut. Dazu kommt die augenblickliche Zeitstimmung. »Was!« heißt es, »wir sollen auch noch zeigen, was wir haben und können, daß die Leute am Ende sagen: ›Ei, seht einmal; die Notleidenden pfeifen noch lange nicht aus dem letzten Loch!‹« Überdies ist Verneinen das Geburtsrecht vielleicht noch mehr des Preußen als des Schwaben, und so hatte ich anfänglich manchen Ärger. Aber sie kamen schließlich doch, wenn auch nicht mit der Promptheit und Pünktlichkeit, die man ihnen nachrühmt. In dieser Beziehung sind sich Süd und Nord ähnlicher, als man gewöhnlich annimmt. Sie bummeln hier auch, solang sie können.

Der Ausstellungsplatz im Treptower Park bedeckt eine Riesenfläche, die zu zwei Drittel mit Bäumen und Buschwerk bedeckt ist, welche nicht anzutasten wir an Eidesstatt versprechen mußten. Dies ergab eine sehr schwierige Aufgabe bezüglich der Aufstellung eines vernünftigen Ausstellungsplans; doch ist, hoffe ich, die Lösung leidlich gelungen. Für das allgemeine Publikum wird das Bild einen eigentümlichen Reiz haben. Auch bin ich bis heute mit den städtischen Behörden erträglich ausgekommen, obgleich sie mir bezüglich ihrer Bäume mit boshafter Pedanterie auf die Finger sehen. Manchmal denke ich sehnsüchtig an München zurück. Du kennst das Geschichtchen von dem Fremden, der in dem Garten hinter dem dortigen Glaspalast ein seltenes Blümchen brach und von dem erzürnten Wärter zu verdienter Bestrafung auf die Polizei geschleppt werden sollte. Nach langem Streiten und Bitten sagte endlich der nach und nach besänftigte Vertreter des Gesetzes: »Wissen S' was, zahlen S' a Moaß, nacher können S' des ganz G'lump samt der Wurzel mitnehm'n!«

Die Verhandlungen mit der hiesigen Stadt sind nicht immer von dieser wohltuenden Einfachheit. Im Magistrat und namentlich unter den Stadtverordneten sitzen Männer, die ein grimmiger Haß gegen alles zu erfüllen scheint, was mit landwirtschaftlichem Grundbesitz zusammenhängt, und jedes Entgegenkommen, zu dem die einen bereit wären, muß den andern abgerungen werden. So hat beispielsweise gestern der Magistrat beschlossen, den Rathaussaal für unsern Empfangsabend nur gegen das feierliche Versprechen zur Verfügung zu stellen, in demselben weder zu essen noch zu trinken. Dieses drakonische Verbot wurde damit begründet, daß die Stadt in jüngster Zeit den deutschen Ärzten ein Fest gegeben habe, bei dem sich diese Herren so bestialisch »amüsiert« hätten, daß eine Wiederherstellung der kostbaren Räumlichkeiten mit großen Kosten verbunden gewesen sei.

Das Bauen auf dem Platz nimmt seinen Fortgang, obgleich einer der vier Bauunternehmer mitten in der Arbeit plötzlich gestorben ist, was, bis alles neu geordnet war, keine kleine Störung verursachte. Diese Dinge laufen aber nachgerade in einem Gleise, das ohne Schwierigkeit verlegbar ist und sich auch unerwarteten Zwischenfällen leidlich anpaßt. Ein andrer Punkt macht mir mehr zu schaffen: mein Ingenieur und Hauptassistent zieht nicht mehr. Der Kuckuck weiß, was dem Manne fehlt: ist er magen- oder nervenkrank, oder ist eine Schraube in seinem Kopf los geworden. Mit der diesmaligen Schau ist eine wichtige Prüfung von Petroleummotoren verbunden, eine Aufgabe, die einem Ingenieur das größte Vergnügen machen sollte. Ich versuchte, ihm die ganze Sache zu übergeben, um für die widerwärtigen Arbeiten im Treptower Park freie Hand zu bekommen. Aber alles Schieben half nichts. Es kam kein Plan zustande, nach dem die achtundzwanzig angemeldeten Maschinen aufgestellt werden müssen. Ich mußte mich schließlich selbst zwei Nächte lang hinsetzen. Dahinter steckt etwas, das ich noch nicht sehe. Vorläufig macht es mir neben allem andern ein Drittel mehr Arbeit, als ich bewältigen kann.

Das mag mit daran schuld sein, daß ein Gedanke zur Reife kam, aber diesmal auch zur völligen »Edelfäule«, der schon mehr als ein dutzendmal seine Frucht ansetzen wollte: »Es ist genug!« Zehn Jahre sind nun seit der Gründung des Provisoriums verflossen. Die Gesellschaft mit ihren 9000 Mitgliedern und einem Barvermögen von rund 800 000 Mark steht auf festen Füßen, so daß sie auch in fünfzig Jahren kaum tragfähiger sein wird. Sie hat eine Schar von tätigen Freunden um sich gesammelt, die mit dem fertigen Bau zufrieden zu sein scheinen und weiterzubauen bereit sind, sie hat einen Stab von tüchtigen Beamten, die in die laufenden Geschäfte eingearbeitet und an das Ganze mit genügender Festigkeit gebunden sind. Was ich zu schaffen vermochte, ist geschaffen, und es ist Zeit für mich, die Zügel niederzulegen oder vielmehr mit Anstand aus dem Geschirr zu schlüpfen. Das soll in aller Ruhe und Stille in drei Jahren, nach der Stuttgarter Schau, geschehen.

Seitdem ich hierüber im klaren bin, ist mir's zweimal so leicht zumut, und selbst die Berliner Ausstellung, die schwerste und größte, die wir bis jetzt auf dem Rücken hatten, kann mir dieses Gefühl wiederkehrender Leichtigkeit nicht nehmen.

Ich glaube wahrhaftig, ich habe es verdient.


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