Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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29.

Bonn, den 22. Dezember 1884.

Nun wäre ja die erste Tat des kleinen Herkules, der nach meinem Plan und Dafürhalten noch gar nicht geboren ist, vollbracht, und seine Paten und Freunde jubilieren. Ein so außerordentliches Ereignis embryonalen Lebens verdient eine eingehende Schilderung, zu der ich mich hinsetze, obgleich wir uns in wenigen Tagen in der Stille eines Weihnachtsabends, über den diesmal der Todesengel seine Fittiche breitet, alles erzählen könnten. Aber es lohnt sich, die Geschichte als ein Bild deutscher Einheitsbestrebungen schwarz auf weiß festzuhalten.

Du weißt bereits, wie der Moorverein und sein Dr. Grahl, das Provisorium der D. L. G., oder eigentlich dessen Kainitkommission unter Schultz-Lupitz, und der »Gemeinsame Bezug künstlicher Düngemittel«, dessen Erfinder und Leiter Hauptmann Beck ist, im September schon nach einem Ziele strebten und sich deshalb deutschbrüderlich in den Haaren lagen. Beck, der der Kainitkommission zugewählt und dann in seiner Abwesenheit unter dem Vorgeben wieder hinausgewählt worden war, daß er nichts weiter sei als ein Händler, war über diese »Verleumdung« bis ins Innerste entrüstet und bezichtigte Grahl verwerflicher Intrigen. Trotzdem fuhr er fort, den Kainitbedarf der Mitglieder des Moorvereins zu vermitteln und auch die Mitglieder des Provisoriums der D. L. G. zu bedienen, die dadurch seinen Umsatz vermehrten und es ihm ermöglichten, den Zentner, zu 81 Pfennig zu liefern, der außerhalb seiner Vereinigung 85 Pfennig kostete.

Nun erklärten anfangs November die Kaliwerke, daß mit Ausnahme des Moorvereins, der durch frühere Abmachungen sichergestellt war, kein Verein mehr den Vorzugspreis von 81 Pfennig erhalten werde, der nicht einen Jahresbedarf von 100 000 Zentnern gewährleiste und dafür eine Sicherheitssumme von 4000 Mark hinterlege. Dies geschah, hieß es, infolge des allzu hastigen Drängens um weitere Preisermäßigung von Schultz-Lupitzens Seite, welches einige Provinzialvereine zu ähnlichen Forderungen veranlaßt hatte. Eine solche Summe zu hinterlegen, konnten die mittellosen kleinen Vereine nicht wagen. Ich selbst hielt unserseits dies für unmöglich, weil ich an dem provisorischen Charakter unsrer Gesellschaft festhalten mußte. Um keinen Dünger in der Welt war ich geneigt, meinen wohlüberlegten Feldzugsplan aufzugeben. Anderseits war klar, daß es sich hier um eine wichtige Sache handelte, so daß ich mir zunächst alle erdenkliche Mühe gab, das nach allen Seiten ausschlagende Dreigespann in geordnetem Trab zu erhalten.

Alles war ein paar Monate lang in der Schwebe. Schultz-Lupitz, der für einen Preis von 75 Pfennig schwärmte, hielt unter dem Eindruck, Verhandlungen zu pflegen, dem Kainitsyndikat patriotische Reden, die er nach Becks Ansicht ebensogut an gewöhnliches Steinsalz hätte verschwenden können. Grahl – ebenfalls nach Beck – versuchte für seine Freunde heimliche Vergünstigungen zu ergattern und wurde hierbei vom Generalsekretär eines großen Provinzialvereins aufs lebhafteste unterstützt, dem das Eingreifen unsers Provisoriums in derartige landwirtschaftliche Interessen ein Greuel war. Beck fuhr, allerdings zitternd und zagend und mich mit Protesten und Warnungen vor den andern überschwemmend, fort, die Kainitbestellungen der Mitglieder des Provisoriums, die an ihn gelangten, zum Preis von 81 Pfennig auszuführen, lief aber dabei Gefahr, daß das Syndikat ihn persönlich für die fehlenden 4 Pfennig verantwortlich machte. Seine Klagen, sein entrüstetes Schimpfen, seine unleugbar ehrliche Angst waren schließlich ergreifend, während die Verhandlungen von Schultz mit den Werken nicht von der Stelle rückten, und dieser sowie Grahl von Beck nur so viel wissen wollten, als nötig war, um den Düngerkarren nicht ganz ins Stocken geraten zu lassen. Dies hätte eine gefährliche Entrüstung gegen die verfahrene Leitung der ganzen Angelegenheit hervorgebracht und sicher auch die entstehende D. L. G. geschädigt. Es hätte dann wenig gefruchtet, wenn ich mich hinter der Wahrheit verschanzt hätte: daß ein Provisorium derartige weitgehende Verantwortlichkeiten nicht übernehmen könne und daß Schultz in seinem blinden Eifer schon viel zu weit gegangen sei. Selbst ihm gegenüber mußte ich in Anbetracht seiner ehrlichen Begeisterung und seines völlig uneigennützigen Draufgehens die mildesten Saiten aufziehen. Seine Nerven waren sowieso ein gefährliches Element in der ganzen Bewegung.

Anfangs Dezember war die Sache einer Krisis nahe. Schultz verzweifelte nun selbst an dem Erfolg weiterer Verhandlungen mit den Kaliwerken. Diese erklärten, den Mitgliedern unsers Provisoriums keinen Zentner mehr um 81 Pfennig liefern zu wollen, solange die Sicherheit von 4000 Mark nicht gestellt werde. Sombart, unser Schatzmeister, behauptete, dies unter keinen Umständen tun zu können, und Beck schrieb, daß er jede Bestellung der Mitglieder des Provisoriums an mich nach Bonn schicken werde. Die D. L. G. möge dann sehen, was sie damit anfange. Gleichzeitig erhielt ich einen Brief von Schultz, der endlich einsah, daß nur ein Weg aus der Sackgasse möglich war, in die uns seine Verhandlungen geführt hatten. Er schlug vor, daß er und ich je zur Hälfte die verlangte Sicherheitssumme hinterlegen sollten, die ja möglicherweise, wenn unsre Mitglieder 100 000 Zentner Kainit verzehrten, nicht verloren wäre.

Trotz allem Vorangegangenen wußte ich von dem Kainitbedürfnis der Welt blutwenig. Selbst die Gelehrten stritten sich darüber, wo, wann und wieviel des herrlichen Stoffs zu verwenden sei. Ich glaube, nicht zehn vom Hundert unsrer landwirtschaftlichen Bevölkerung weiß überhaupt etwas von Kainit. Wir allerdings hatten zwölfhundert Mitglieder beisammen, die zur Aristokratie des Wissens und Könnens der deutschen Landwirtschaft gehörten. Nach einer Stunde war mein Plan gefaßt. Ich bat Schultz um acht Tage Zeit. Am folgenden Abend gingen zwölfhundert Briefe ab mit der dringenden Bitte, mir umgehend zu sagen, wieviel Kainit voraussichtlich der Empfänger im kommenden Jahr gebrauchen werde.

»Endlich einmal eine Tat!« schrieb mir Beck umgehend, »aber Sie werden eine bittere Enttäuschung erleben. Vor einem halben Jahr versuchte ich eine ähnliche Anfrage, die ich mit einer fünfmaligen Veröffentlichung in der ›Moorzeitung‹ einleitete. Darauf versandte ich zweimal gedruckte Briefe an die dreihundert Mitglieder des Vereins und schließlich vierunddreißig Schreiben an mir persönlich bekannte Herren. Auf diese Briefe habe ich fünf Antworten erhalten und später nach wiederholtem Bitten noch drei. In den acht Briefen stürmte eine wahre Flut von Anfragen über mich herein: über Entwässerung, Düngungsverhältnisse, ob ich Geld beschaffen, ob ich Kalk- oder Torflager verwerten könnte; von Kainit jedoch – keine Silbe!«

Diesem Brief folgte ein zweiter auf dem Fuß, fast rührend in seiner hilflosen Erregung. Das Verhältnis zwischen Beck und dem Moorverein scheint sich bis aufs äußerste zugespitzt zu haben, so daß es in einer Ausschußsitzung zu einem regelrechten Krach gekommen war, in dem sich der Moorverein im Streit zwischen Beck und Grahl passiv verhalten zu haben scheint. »Ich habe nicht die dicke Haut,« klagte Beck trotz eines halben Sieges, »mit der jeder, der in das öffentliche Getriebe hineingerät, ausgestattet sein muß. Warum haben Sie und Schultz mich aus meinem stillen Wirkungskreis herausgerissen? Ich bin schwer gestraft, daß ich diesen Sirenenklängen gefolgt bin. Können Sie mir für mein uneigennütziges Bemühen Achtung verschaffen – Anerkennung wird ja kein Mensch haben, der sich um Landwirtschaft bemüht –, so würden Sie kaum einen fleißigeren Mitarbeiter finden können, als ich es bin. Aber wirkliche Arbeit und ehrliche dazu, erstrebe ich; von vielen Phrasen bin ich kein Freund. – Der Dank für Ihre Bemühungen geht auch schon los. In der Ausschußsitzung des Moorvereins haben wir ein Vorspiel davon gehabt. Wir wissen jetzt, wer die Schuld an der Kainitkalamität der D. L. G. hat. Sie sind es. Ihr Schatzmeister Sombart gibt keinen Pfennig aus Ihrer Gesellschaftskasse. Grahl und seine Freunde treten aus, wenn die Kaution von Ihnen persönlich bezahlt wird.«

Der Mann ist erregt, doch einiges Recht hat er dazu, und ein gut Teil kalter, bitterer Wahrheit steckt hinter seiner hitzigen Entrüstung.

Mittlerweile gingen die Antworten auf meine Anfragen ein. Hierbei zeigte sich doch, daß mein Provisorium einen festeren Boden unter den Füßen hat als mancher Bau mit prächtiger Straßenfront. Am Schluß der Woche hatte ich 192 Antworten; nachträglich kamen noch etwa 90 dazu, so daß es etwa 25 vom Hundert der Mühe wert gefunden hatten, über ihren Kainitbedarf nachzudenken und die Feder in die Tinte zu stecken. Ich konnte mit völliger Beruhigung an Schultz telegraphieren, daß meine Hälfte der Kaution bereit liege. Darauf erhielt ich einen heißen Dankesbrief von Beck, einen jubelnden Gruß von Schultz vor seiner Abreise nach Magdeburg, wo er mit den Hauptleuten des Syndikats zusammentreffen wollte, um die Sache endgültig zu regeln.

Nun aber kam eine große Überraschung. Das Syndikat hatte sich überzeugt, daß mit uns etwas zu machen sei und schlug vor, nicht nur den Preis von 81 Pfennig für die Landwirtschaft im allgemeinen festzuhalten, sondern auch uns, dem Jahresbezug unsrer Mitglieder entsprechend, eine steigende Rückvergütung bis zu 10 Prozent bei einer Menge von über 600 000 Zentnern auszubezahlen, so daß in diesem Fall Schultz´ Ideal von 75 Pfennigen für den Zentner erreicht wird. »Damit,« schließt Schultz seinen gestrigen stürmischen Brief, »ist die Angelegenheit zu einem unerwarteten guten Ende durchgeführt, so daß die seitherige, nur bevorzugten Vereinen zustehende Preisermäßigung allen deutschen Landwirten zugut kommt. Dies ist ein erster großer Erfolg des Daseins der D. L. G. Die anwesenden Herren, besonders Herr Bergrat Schreiber, haben mir dies rund heraus erklärt. Ihnen aber besten herzlichen Dank für Ihre treue und tüchtige Hilfe in diesem Feldzug.«

Und damit will auch ich meinen letzten Brief des Jahres 84 schließen, unter dem Eindruck, daß mein armer, nervöser Freund Beck vielleicht doch nicht recht hat, wenn er der Undankbarkeit der Landwirtschaft so ganz sicher zu sein glaubt. Wahr ist's: die Scholle ist nicht überschwenglich in Gefühlsausbrüchen. Vielleicht aber ist sie dankbarer, als er sich einbildet, wenn man sie tief genug aufreißt. Das allerdings geschieht nicht ohne Schwielen, Schweiß und Blut.


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