Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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21.

Bonn, den 10. Februar 1884.

Bekanntlich – ob es wahr ist, ist eine andre Frage – bekanntlich stand Moltke am Tag nach der Kriegserklärung von 1870 vor einem Bilderladen Unter den Linden und betrachtete in aller Ruhe Tiroler Landschaften. »Um Gottes willen, Exzellenz,« rief ihm ein aufgeregt vorbeieilender General der Infanterie zu, »ist es denn nichts mit der Kriegserklärung?« – »Warum?« fragte Moltke behaglich. »Gestern abend ist die Mobilmachung befohlen worden. Die Telegramme sind abgegangen. Jetzt habe ich ein paar Tage lang rein nichts zu tun.«

Schon zum zweitenmal schreibe ich Euch ein paar Stunden vor meinem Aufbruch nach Berlin; nach einem Sturm von Vorbereitungen, von einem Sturm von – ich weiß nicht was. Ich wollte, ich wäre dabei so ruhig als der große Schweiger. Aber ein paar Stunden Zeit habe ich dennoch, seit vier Wochen zum erstenmal. Ich muß sie benutzen. Wer weiß, was nachkommt!

Bezüglich des Werbens ließ ich in jüngster Zeit die Zügel hängen; aber der Karren ist in sichtlicher Bewegung. Anmeldungen fahren fort, einzulaufen. In einigen Vereinen wird die Sache ernsthaft besprochen, nicht immer zuwartend oder ablehnend, und bei der Opposition gegen den Widerstand, den sie findet, fallen regelmäßig einige Fische in unser Netz. Selbst fünf Bayern haben sich eingestellt, allerdings mit lautem Klagen, daß bei ihnen für mich nichts zu holen sei. Einer erklärt ausführlich, das preußische Ministerium sollte veranlaßt werden, den Gedanken dem bayrischen Ministerium nahezulegen! Selbst unter den gefürchteten Generalsekretären der preußischen Zentralvereine ist ein weißer Rabe aufgetaucht, Dr. Bürstenbinder zu Braunschweig, der eifrig und nicht ganz ohne Erfolg seine Kollegen zu beruhigen sucht. Thiel hat einen prächtigen Aufsatz zugunsten der Sache in der »Deutschen Landwirtschaftlichen Presse« veröffentlicht, woraus ersichtlich, daß wir selbst bei der hohen Regierung einen Stein im Brett haben. Dabei bin ich noch im Zweifel, ob dies der Sache mehr nutzen oder schaden wird, denn ein allzu mächtiger Gönner ist gefährlich, und auch ich bin nicht ohne Vorurteile geboren. Das Ende von all dem ist, daß ich zu unsrer ersten Vorversammlung mit 390 statt mit 250 Mitgliedern in Berlin anrücken werde.

Das alles nur nebenbei! Die Hauptsache war, für die Versammlung die nötigen Vorbereitungen zu treffen. Man darf einer solchen nie zumuten, ins Blaue hinein Vorschläge bezüglich der Organisation, selbst der Personenfrage, zu machen, wenn nicht alles in einem Chaos untergehen soll. Jeder, auch der kleinste Schritt muß mit Bestimmtheit festgelegt sein. Die Kunst ist, ihn dann so darzustellen, daß die hochgeehrten Anwesenden glauben, sie haben ihn selbst erdacht. So denke ich mir die Sache wenigstens, soweit ich Menschen kenne.

Ich ernannte deshalb in einer schlaflosen Nacht eigenmächtig zwölf Beiräte, ließ einen vollständigen Statutenentwurf drucken und schickte ihn jedem mit der Bitte um seinen Rat. Ein paar kleine Änderungen waren die Folge dieses Schritts, und nun sollte das Schriftstück der Beratung der bevorstehenden »Vorversammlung«, beziehungsweise einem durch dieselbe zu wählenden Ausschuß vorgelegt werden – das heißt denselben zwölf Beiräten, die aus meiner nächtlichen Privatwahl hervorgegangen waren.

Dann brauchte das Provisorium einen Präsidenten. Das war eine schwierigere Sache. Es mußte ein hoher Herr sein, um der Gründung das nötige Ansehen zu geben. Zu tun brauchte er nichts; im Provisorium, soviel war mir völlig klar geworden, mußte und wollte ich selbst tun, was zu tun war. Aber eine repräsentative Persönlichkeit ersten Rangs mußte an der Spitze stehen, um die schwächeren Brüder zu stützen.

Der Fürst von Hohenlohe-Langenburg lehnte in der liebenswürdigsten Form, aber mit aller Bestimmtheit ab. Er habe mit seinem Kolonialverein mehr als genug zu tun. Nathusius und namentlich ein treuer Freund der Sache, der Reichstagsabgeordnete Sombart-Ermsleben machten sich an den Grafen zu Stolberg-Wernigerode. Dieser ließ sich nach einigem Zögern überreden. Hofjagden sind eine herrliche Einrichtung, um auf edles Wild zu pirschen. Aber Bedingung, ausdrücklich formulierte Bedingung seiner Zusage war, daß der hohe Herr nie mit irgend welcher Arbeit belästigt werden dürfe, was ich äußerlich mit Bedauern, innerlich mit Genugtuung hinnahm. – Wie ganz anders machen sich diese Dinge in England! Aber ich will für alle Zukunft unterlassen, Vergleiche zu ziehen. Es ist müßig, auf des Nachbars Feld zu blicken, wenn der eigne Pflug im Gestein steckt.

Dann galt es, in Übereinstimmung mit den Meistbeteiligten für die Versammlungen in Berlin ein Programm festzustellen. Was ich dabei an Tinte verkleckste! Wie das alles bei aller äußerlichen Freundlichkeit und bei wirklichem Wohlwollen so zäh und dickflüssig herauskam! Doch werde ich ja Gelegenheit haben, das Ergebnis dieser Verhandlungen zu schildern. Das ist unterhaltender als die Beschreibung der langsamen, mühevollen Arbeit hinter den Kulissen. Manchmal war ich überdies nicht weit davon, Hammer und Zange samt dem Kleistertopf zum Fenster hinauszuwerfen.

Nun kann's losgehen. Mein Koffer ist auf dem Weg zur Bahn. Es ist Zeit, ihm zu folgen, und da mein Brief doch etwas kürzer geworden ist als gewöhnlich, lege ich ein Blättchen bei, das Ihr nicht zu lesen braucht. Die Grundzüge des ganzen Gedankens, die ich mit einem heimlichen »sine qua non« mit nach Berlin nehme. Sie werden Euch langweilig vorkommen, aber es ist zu befürchten, daß ich manchmal auf sie zurückkommen muß. Deshalb und um in Erklärungen nicht immer wieder von vorn anfangen zu müssen, ist es rätlich, das Wesentliche beisammen zu haben.


Der Deutsche Reichsverein für Landwirtschaft umfaßt das ganze Deutsche Reich. Landes- und Provinzialgrenzen haben für ihn keine Bedeutung.

Der Verein treibt grundsätzlich keine Politik, sondern dient ausschließlich der technischen Entwicklung der Landwirtschaft.

Er beschäftigt sich nur mit solchen Aufgaben, die von bestehenden Vereinen nicht oder unvollkommen behandelt werden.

Er arbeitet ausschließlich mit eignen Mitteln und Kräften. Er rührt deshalb keine Aufgabe an, deren Behandlung seine Mittel und Kräfte übersteigt.

Er verlangt von seinen Mitgliedern 20 Mark Jahresbeitrag und hofft, denselben mit der Zeit das Zehnfache in greifbarem Nutzen einzubringen.

Er verlangt ferner ihre freiwillige Mitarbeit, wo immer dieselbe erforderlich erscheint.

Als nächstliegende Aufgabe gedenkt er jährlich eine allgemeine deutsche Wanderausstellung zu veranstalten.

Es ist aber ausdrücklich zu verstehen, daß diese Aufgabe nur einen Teil seiner Tätigkeit begreift. Andre Aufgaben werden ihn zweifellos bald in nicht geringerem Grad beschäftigen.

Die Organisation des Vereins ist die folgende:

Der Verein hat einen Präsidenten, der jährlich wechselt;

einen Vorstand, bestehend aus zwölf Vizepräsidenten, die die zwölf Gaue vertreten, in welche der Verein Deutschland einteilt;

das Direktorium, das den Vorstand vertritt, die laufenden Geschäfte besorgt und überwacht und monatlich eine Sitzung abhalten muß;

den Gesamtausschuß, in dem jeder Gau durch vier bis fünf Mitglieder vertreten ist;

die Hauptversammlung, welche jährlich wenigstens dreimal, zweimal in Berlin und einmal am Ausstellungsort tagt.

Durch Wahl geht das Direktorium aus dem Vorstand, der Vorstand aus dem Gesamtausschuß, dieser aus der Hauptversammlung hervor, welche auch den Präsidenten wählt. –

Nun wißt Ihr, wie ich mir das alles denke. Das übrige ist Beiwerk und Kleinkram – zu viel, allzuviel –, der sich gestalten mag, wie es sich aus dem Charakter der Mitglieder und der Verhältnisse ergeben wird. Gott aber gebe, daß sie mir nicht nach landesüblicher Weise um des Kleinkrams willen die Hauptsache zugrunde richten!


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