Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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44.

Berlin, den 9. Mai 1886.

Du erhältst diese Zeilen eine Woche später als üblich. Daran ist der Fürst von Wied schuld, der mich bitten ließ, ihn gerade in der Stunde zu besuchen, in der ich Deine Briefe zu beantworten pflege. Ist sie verpatzt, so müssen wir damit rechnen, daß ich für acht Tage in Heimatsangelegenheiten nicht mehr zu sprechen bin.

Ich folgte der Einladung um so gerner, als Seine Durchlaucht, ohne es noch zu wissen, der nächste Jahrespräsident der D. L. G. sein wird. Wenigstens intrigiere ich in meiner harmlosen Weise schon seit Monaten darauf hin. In einer zweistündigen Besprechung, hauptsächlich über koloniale Fragen, zeigte sich der Fürst ebenso liebenswürdig als freimütig. Wir entdeckten, daß wir beide Pessimisten sind, und nicht glaubten, mit oder ohne K. V. und D. L. G. viel ausrichten zu können, daß es aber doch wünschenswert sei, sich mit Ergebung in die unvermeidlichen Mißerfolge zu finden. Das Ende vom Lied war, daß ich meinen nächstjährigen Präsidenten festgenagelt hatte, und er das unerbetene Versprechen abgab, fleißiger zu sein als sein Vorgänger, was ihn zu großen Anstrengungen nicht verpflichtet. Dafür hatte sich allerdings Graf Stolberg auf einen, wie man glaubte, verlorenen Posten gestellt, was ihm nicht vergessen sein soll.

Auch heute noch ist es keine Kleinigkeit, den Karren zu schieben, auf den ich meinen Dschagernauth gesetzt habe, um ihn zu verehren und von andern verehren zu lassen. Die andern verehren ihn leider noch immer nicht genügend, so daß ich viel allein zu schwitzen habe, und von den sogenannten Genüssen der Großstadt genau so viel zu schmecken bekomme, als ob ich in Bonn oder Ulm säße. Erst in den letzten Tagen, in denen sich ein Strom von Einladungen über mich ergoß, schien es anders werden zu wollen. Es darf nicht anders werden. Entweder – oder. In zwei Richtungen zu schwimmen, ist mir nie gelungen, auch kenne ich niemand, der es mit leidlichem Erfolg fertiggebracht hätte, und meine Richtung ist gegeben.

Eine Ausnahme werde ich mir übrigens gestatten, um nicht ganz zu verknöchern. Der Besuch bei meinem unbekannten Freund Hensel hat mich einem liebenswürdigen Familienkreis Berlins zugeführt. Er war Landwirt, Hohenheimer, Rittergutsbesitzer, ist heute aber, wie es scheint, nur vorübergehend, Direktor einer »Deutschen Baugesellschaft«, wohnt in Westend, einer Villenkolonie auf dem »Spandauer Berg«, einem wahrhaftigen Sandgebirge von 20 Meter Höhe (schätzungsweise), das auf jeden Berliner, vornehmlich auf die Droschkenpferde, den Eindruck eines schwer zu ersteigenden Gebirgszugs macht. Auch bat mich Hensel, der vor einigen Tagen die Freundlichkeit hatte, mich herauszuführen, den Unterschied des Luftdrucks zu beachten, der von großer hygienischer Bedeutung sei. Dort unten, erzählte er – was ich übrigens schon wußte –, riechen alle Häuser, jedes in seiner Art anders. Dies sei natürlich. Merkwürdig aber sei, daß jeder Berliner von seinem eignen Hausgeruch keine Ahnung habe, dagegen den seines Nachbars unangenehm finde. Wenn er seine Onkel Mendelssohn besuche, beide große Bankiers in entsprechenden Palästen, so sage der eine regelmäßig: »Nein! Gestern war ich wieder einmal bei deinem Onkel Paul. Gott, wie es in diesem Hause riecht.« Komme ich dann zu Onkel Paul, so seufzt dieser: »Ich würde deinen Onkel Wilhelm gern öfter besuchen; aber ich halt's nicht aus. Es wird immer schlimmer.«

Durch das Wesen der ganzen Familie geht vom Vater aus ein Zug weitherzigen Humors, der den Schwaben in mir anheimelt. Auf einem Schrank des Eßzimmers steht der letzte der Porzellanaffen aus der Zeit des Urgroßvaters, des Philosophen Moses Mendelssohn, welcher als Jude durch eine preußische Verordnung gezwungen war, bei der Gründung seines Hausstandes für eine bestimmte Summe Porzellan aus den königlichen Werken zu kaufen, jedoch keineswegs nach eigner Auswahl. So kam die junge Familie in den Besitz von fünfundzwanzig Porzellanaffen, von denen einige bis in die dritte Generation hinein leben. »Von dem stammen wir ab,« sagte Fräulein Hensel, als sie mich das wunderliche Geschöpf betrachten sah. »Wir auch!« meinte ich, in einer Anwandlung von Darwinismus und Mitleid; worauf wir uns rasch verwandt fühlten. – Hier könnte es mir vielleicht einmal wohl werden, wenn ich Zeit dazu hätte. Von andern werdenden Freunden vielleicht ein andermal. Auch endloses Papier ist nicht lang genug für dieses Leben.

Das beste ist, wie in jeder andern Millionenstadt, und der einzige Trost dieser menschlichen Ameisenhaufen, daß man sich's einrichten kann, wie man will. Die Ausrede, irgendwo anders unabkömmlich zu sein, rettet Dich, wo immer Du gerettet zu werden wünschest; und die Demoralisation der Großstadtluft, für die der einzelne nicht verantwortlich ist, macht die konventionelle Lüge zur harmlosen Gewohnheit. Ich will sie nicht entschuldigen, hoffe aber zuversichtlich, daß sie mir in einem besseren Leben, wie schon in diesem, verziehen werden wird.

Manch freudige Überraschung bietet die Umgebung des viel verlästerten Berlins. Zwischen diesen und den vorangehenden Zeilen liegt ein Sonntagsausflug. Es war nicht anders möglich. Der Himmel war allzu blau und selbst die Bäume vor meinem Fenster fingen an auszuschlagen. Ich warf die Feder weg. Eine halbe Stunde später war Berlin und seine asphaltierte Sandebene verschwunden und ich auf einem stillen, tiefblauen Waldsee, zwischen sanften, fichtenbewaldeten Höhen. In Klein-Glienike frühstückte ich in einem fast noch leeren Wirtschaftsgarten unter rot und weiß blühenden Kastanien. Dann ging's die Höhe hinauf, nach dem Kaiserschloß Babelsberg, durch einen herrlichen, schon hellgrünen Park, mit wunderlieblichen Ausblicken auf die Waldseen und Buchten, die die Havel in allen Richtungen aussendet. Man wird dort, wie sich von selbst versteht, herdenweis durch schöne, aber einfache Zimmer getrieben, betrachtet ehrfurchtsvoll das Bett des alten Kaisers, stützt sich mit kaiserlichen Empfindungen auf einen krummen Spazierstock, den sich der hohe Herr vor etlichen Jahren selbst geschnitten habe. Dann lungerte ich eine Stunde lang im Park herum und wunderte mich, wie hübsch Potsdam mit seiner Kuppel und seinem Schloß aussehen kann, so daß man ernstlich an Florenz denkt. Nein; Brandenburg ist nicht so schlimm, als wir eingebildeten Südländer behaupten, ehe wir es gesehen haben, und auf seinen Fichtenhügeln, an seinen einsamen Seen wächst der Balsam für müde Gehirne kaum weniger üppig als an den grünen Berghängen unsrer Alb.


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