Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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12.

Bonn, den 8. April 1883.

Noch einige Nachklänge von der großen Rundreise. Sie sind nicht ohne Interesse, wenn sie auch alle die bekannte Tonart beibehalten.

In Berlin führte ein Besuch zum andern. Mein früherer Gönner und Freund aus der Zeit der amerikanisch-belgisch-französischen Seilschiffahrt, der jetzige Geheime Legationsrat von Holstein, der über meine landwirtschaftlichen Zukunftsbilder so heftig den Kopf schüttelt wie andre, die etwas davon verstehen, führte mich bei dem Herzog von Ratibor ein. Ein lieber, wohlwollender Herr; aber das Kopfschütteln konnte auch er nicht lassen. – In Dresden entdeckte ich in der Tat den vergrabenen Schatz der verstorbenen Ackerbaugesellschaft, der von einem Drachen namens Nordeck von Rabenau bewacht wird. Eine Geschichte, wie aus einem Märchenbuch, die aber für meine Sache so lange ohne Bedeutung ist, als die Mitglieder der toten Gesellschaft, unfaßbar und namenlos, wie Gespenster da und dort auftauchen, um sofort wieder zu verschwinden. Doch habe ich auch in Dresden einige Herren gefunden, die mich nicht zur Tür hinauswarfen, nachdem sie mich lächelnd angehört hatten. – In Halle besuchte ich einen alten Schulkameraden, Professor Wüst, der an der dortigen Hochschule landwirtschaftlichen Maschinenbau lehrt. Auch er hält meinen Plan für aussichtslos und kennt seine Leute seit zwanzig Jahren. Den zündenden Professor Maercker traf ich nicht zu Hause, erhielt aber einen liebenswürdigen Brief von ihm, voll Mitleid zwischen den Zeilen. Die Sache werde an der Zerrissenheit der deutschen Stämme und an der Unfähigkeit der einzelnen scheitern, selbst bei der Rindviehzucht und dem Zuckerrübenbau die leidige Politik aus dem Spiel zu lassen.

Der wichtigste Besuch war, wie erwartet, der in Althaldensleben. Ein eigentümlicher, interessanter Kopf, dieser Nathusius. Er widmete mir einen vollen halben Tag, was ich doppelt dankenswert fand, als er vorläufig nichts von mir und meiner Sache hält und als Präsident der Herdbuchgesellschaft nicht in der Lage ist, mir irgendwie die Hand zu bieten. Doch erzählte er mit liebenswürdiger Offenheit, wie die Dinge in jenem Lager stehen. Es lohnt sich, dieses Charakterbild deutscher Vereinstätigkeit festzuhalten.

Einiges davon wißt Ihr schon. Vor vier Jahren gründete man auf Anregung von Ökonomierat Petersen in Oldenburg die Deutsche Vieh- und Herdbuchgesellschaft, nach einem schüchternen Versuch, einen allgemeinen deutschen landwirtschaftlichen Verein zu schaffen, ein Gedanke, der für spätere Zeiten zurückgestellt blieb. Der Verein wollte erstens ein deutsches Herdbuch führen, zweitens, drittens und xtens Sachen ins Werk setzen, die man wegen chronischer Mittellosigkeit nie anrührte; denn mit Mühe und Not hatte Petersen hundertundfünfzig Mitglieder zusammengetrommelt, mit denen im zweiten Jahr das Vereinsleben begann. Nun aber wurde die Frage brennend, wie unter deutschen Verhältnissen ein Herdbuch einzurichten sei, und brannte bald lichterloh. Die einen sagten, man müsse es machen wie in England. Der Führer dieser Partei war Geheimrat Settegast, Professor an der Hochschule zu Berlin, der bereits vier Bände eines deutschen Herdbuchs herausgegeben hatte, und dem die künftigen Leistungen des Vereins als eine Fortsetzung seiner Arbeit vorschwebten. Die andre Partei fragte entrüstet, wo denn das englische Vieh sei, das in derartige deutsche Bücher eingetragen werden könnte. Eine dritte Partei munkelte mehr als halblaut: all dies sei Unsinn. Man müsse die tote Ackerbaugesellschaft wieder beleben, namentlich aber den Schatz in Dresden heben und nutzbringend verbrauchen. Dies wurde auch versucht; doch der alte Herr zu Rabenau erhob sich drohend und schlug die Schatzgräber in die Flucht. Worauf die dritte Partei auf Nimmerwiedersehen verschwand.

Um endlich doch etwas zu tun, beschloß der Verein, einen fünften Band des Herdbuchs nach Settegastschem Muster herauszugeben. Gleichzeitig hatte man infolge des Rücktritts von Petersen, der wegen sonstiger Berufsarbeiten die Geschäfte des Vereins nicht mehr führen konnte, einen Dr. Martiny als amtlichen Geschäftsführer angestellt, der sofort energisch erklärte, daß er ein Anti-Settegastianer sei und daß sich der Verein durch seine Ernennung zweifellos für die gegen Settegast gerichtete Auffassung erklärt habe. Mit Mühe wurde dann Nathusius zum Präsidenten gewonnen, der ebenfalls erklärte, mit der Settegastschen Richtung nicht einverstanden zu sein, aber auch mit Martiny und dessen Anhängern keineswegs zu harmonieren. Zu Ehren dieses dreieckigen Duells wurde beschlossen, im Jahre 1882 keine Generalversammlung abzuhalten, einer der wenigen Beschlüsse des regierenden Ausschusses, der mit vollständigem Erfolg ausgeführt wurde. Gegen Ende des Jahres erschien dann der fünfte Band des Settegastschen oder der erste Band des Vereinsherdbuchs; aber, o Schrecken, mit einer flammenden Vorrede des Geschäftsführers, daß dies alles Unsinn und Papierverschwendung sei. Hierauf verlangte ein Teil des Vereins wütend die Vertilgung seines Erstlingswerks; da aber niemand als Vertilger aufzutreten berechtigt war, traten Settegast und seine Anhänger, der eigentliche Urstamm des Vereins, aus diesem aus. Unter solchen Verhältnissen wurde der zweite erfolgreiche Beschluß des Vereins gefaßt: keine Ausschußsitzungen mehr abzuhalten und sich erst auf der kommenden Hamburger Ausstellung, die von den dortigen Kaufleuten in Szene gesetzt wird, wieder zu versammeln. Dort, sagte jedes der Mitglieder, die ich kennen gelernt habe, unter dem Siegel tiefster Verschwiegenheit, hoffen sie, sich aufzulösen. Ob dies gelingen wird, ist jedoch fraglich, da die Unglücklichen ihrem sprengpulverartigen Geschäftsführer eine dreijährige Anstellung gewährleistet haben.

Wenn ich noch hinzufüge, daß all diese Herren liebenswürdige, wackere deutsche Männer sind, die mir die größte Hochachtung einflößen, sobald sie nicht in Vereinsangelegenheiten tätig sind, so habt Ihr einen Begriff von dem Material, mit dem ich zu arbeiten gedenke, wenn sich in Hamburg die Sache so gestaltet, daß ich freie Bahn vor mir sehe.

»Aber selbst, wenn Sie über einen glücklichen Anfang hinauskommen,« schloß Nathusius seine wohlwollenden Betrachtungen, »wird die Sache dem Los aller derartigen Bestrebungen bei uns nicht entgehen. Nach ein paar Jahren wird sie verberlinisiert sein, und wir hier außen sitzen auf dem Trockenen. Die Berliner natürlich vertrocknen auch; denn wo sollten sie den Saft hernehmen, ohne den kein Leben denkbar ist?«

Das sagte mir ein guter, königstreuer Preuße beim Abschied.

Die Frucht meiner Rundreise ist, kurz gesagt: Petersens Gedanke, die Herdbuchgesellschaft mit all ihren Streitereien in ein neues Unternehmen überzuführen, um hundert Mitglieder auf bequeme Weise zu gewinnen, wäre Wahnsinn. Wir brauchen diese Leute zweifellos; aber wir brauchen dringender als alles andre einen neuen Geist in der neuen Form.

Eine zweite Möglichkeit ist zu Wasser geworden, mit der ich mich lange getragen habe: aus dem vorhandenen, großartig entwickelten Vereinswesen heraus eine große Gesellschaft aufzubauen. Es geht nicht. All diese Vereine sind einesteils so durchdrungen vom Gefühl der Abhängigkeit und Unselbständigkeit, daß ihnen die Kraft fehlt, eine umfassende, selbsttätige Organisation zu erhalten, und dabei ist instinktiv jedem einzelnen das Zusammenwirken mit seinem Nachbar unerträglich. Ihr Zusammenschweißen könnte nur durch den Druck geschehen, der sie erhält, durch die Staatsregierung. Das klingt bitterböse und ist vielleicht nur halb wahr, wie alles in diesen verworrenen Verhältnissen. Allein es bleibt nichts übrig, wenn ich je handeln will, als der Wahrheit ins Gesicht zu sehen, so gut und so weit ich kann. –

Bonn ist sehr still gegenwärtig, der Ferien wegen, und läßt mir Zeit, über all das nachzudenken.


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