Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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25.

Bonn, den 20. Juli 1884.

Nach einem heftigen Frühlingssturm pflegt sonst in der Welt für kurze Zeit wenigstens Windstille einzutreten. Ein freundliches Geschick sorgte dafür, daß die Luft nach dem Hurrikan von Berlin wenigstens erträglich bewegt blieb. Nun gilt es, die 2500 Mann zusammenzusuchen, an deren Dasein noch immer die wenigsten glauben.

Zunächst dichtete ich einen Aufruf von idealem Schwung, mit möglichst vielen praktischen Andeutungen von den Dingen, welche die D. L. G. zu tun gedenke, wenn sie einmal am Leben sei. Dieses Schriftstück sollte unser Präsident unterzeichnen und war dazu bereit. Da entdeckt einer der besten Freunde der Sache, unser wackerer Sombart, daß es formell nicht ganz richtig sei, wenn der Ehrenpräsident einen Aufruf dieser Art unterschreibe und benachrichtigte Graf Stolberg von seiner Entdeckung. Seine Erlaucht wurde bedenklich, und ich brauchte vier Wochen, den verfahrenen Karren wieder ins Gleis zu bringen und die Unterschrift zu erhalten. Das war der Vorgeschmack, den ich vom Formalismus meiner nordischen Landsleute erhielt, die eigentlich wissen könnten, daß sie nur dann einen Schritt vorwärts gekommen sind, wenn sie unter dem Großen Kurfürsten, unter ihrem großen Fritz, in den Befreiungskriegen und in den Jahren 66 und 70 allen Formalismus über den Haufen geworfen haben. Daß sie das heute noch nicht merken!

Nun geht es wieder ans Werben. Da und dort, in abgelegenen Winkeln des Landes, wo noch wie versteckte Veilchen etwas Idealismus blüht, stellen sich Werber ein, die mit Feuereifer an die Arbeit gehen. Da ist noch immer der wackere Rimpau und seine Freunde in der Provinz Sachsen, Kiepert und manche andre in Brandenburg, Bürstenbinder und Hoppenstedt in Braunschweig und Hannover, von Oehlschägel im Königreich Sachsen, ein Dr. Pietrusky in Greifswald, ein erstaunlicher Mann in dieser Richtung, der den Abend über seine ganze zahlreiche Familie damit beschäftigt, meinen Aufruf in alle Welt zu schicken. Der Minister von Lucius ist auf eignen Wunsch in unsern Ausschuß eingetreten. Allerdings flüstern mir ängstliche Freunde zu: »Timeo Danaos!«, aber ein wackerer Deutscher »sorcht sich nit«.

Weniger ermutigend, ehrlicher gesagt herzbrechend, gestaltete sich der fliegende Besuch, den ich von Ulm aus in München machte. Der Präsident des großen bayrischen Vereins, mit dem ich eine einstündige Besprechung hatte, war so höflich, als es ein Gentleman zu sein braucht, dem sein Besuch in tiefster Seele unangenehm ist, ließ sich aber nicht verführen, mehr zu tun, als mich und meine Sache mit verbindlichem Lächeln zur Tür hinauszukomplimentieren. Alle andern Herren seines Kreises waren selbstverständlich zurückhaltend, wenn auch zu sehr Süddeutsche, um einem höflichen Gast gegenüber rund heraus nein zu sagen. Menschenfreundlich, wie sie sind, glaubten sie genug getan zu haben, wenn sie mich ins Hofbräu führten. Ich machte gute Miene zum bösen Spiel und trank mein Bier auf ihr Wohl nicht ohne Genuß. Im stillen aber dachte ich: es ist noch nicht aller Tage Abend; hier gilt es, mit dem Kopf durch eine Mauer zu stoßen oder den Schädel einzurennen. Ich war zu beidem bereit, als ich München verließ; denn die braven Bayern muß ich haben.

Im übrigen ist nicht zu leugnen, daß mein regelmäßiges Tagewerk einen etwas langweiligen Charakter annimmt. Briefe! Briefe! Briefe! Fast alle über dasselbe Thema, meist in derselben Tonart: noch immer Cis-Moll mit einem gelegentlichen Dur-Akkord, unvernünftig kräftig angeschlagen von Händen, die an die Pflugsterze gewöhnt sind. Wüßte ich nicht, daß vor dem Schraubstock wie hinter dem Pflug, beim Kommentieren des Plato wie bei der Berechnung einer Kometenbahn neunzig Prozent aller Menschenkraft der Langeweile gewidmet werden muß, wenn etwas Großes dabei herauskommen soll – wer weiß, was geschähe. An der Riviera spazierengehen scheint unterhaltender; doch auch nur auf kurze Zeit. Die Langeweile des Müßiggangs hole der Kuckuck. Die Langeweile der Arbeit ist eine heilige Pflicht, der sich der Mensch nicht entziehen kann, ohne ärmer, unbrauchbarer und selbstsüchtiger zu werden.

Mit Mühe und Not verhinderte ich meinen übereifrigen Freund Schultz-Lupitz, der Gründung des Provisoriums der D. L. G. eine Resolution zugunsten des Kainits anzuhängen. Ich hatte nichts gegen den Kainit einzuwenden, von dem ich nichts verstehe, sondern gegen die »Resolution«. Das scheint eine Art Krankheit zu sein, die in deutschen Versammlungen grassiert. Kurze Zeit zuvor hatte ich die Ehre, vom »Kongreß der deutschen Landwirte«, der damals noch nicht entschlossen war, ob er mich zertreten oder leben lassen wollte, zu seiner Hauptversammlung eingeladen zu werden, und hörte einen Vortrag, der in der »Resolution« gipfelte: »Der Kongreß beschließt, daß der Ginster (Genista germanica) unter Umständen eine wertvolle Pflanze für Landwirte auf steinigem Boden ist.« Drei kostbare Viertelstunden wurde hierüber mit einer mir ungewohnten Schärfe des Tons gestritten, dann hieß es: »Abstimmen, abstimmen!« und der Ginster wurde mit großer Majorität in die Klasse der »unter Umständen« wertvollen Pflanzen versetzt. Ob der Ginster sich geschmeichelt gefühlt oder gar sein künftiges Betragen danach eingerichtet hat, weiß ich nicht. Eins aber weiß ich, daß keiner der Freunde und Gegner des stachligen Krauts sich eine Stunde später um den Ginster gekümmert hat und er ruhig fortwuchern konnte, wie es seit Jahrtausenden seine Art ist.

Die Ginstergeschichte verlief harmlos, aber sie schleppen zur Zeit und Unzeit auch Resolutionen heran, bei denen »die Geister aufeinander platzen«, bittere Feindschaften entstehen und das Endergebnis genau dasselbe ist. Wozu? Um Reden zu halten, um Zeit zu vergeuden, um mit dem Gefühl großer Wichtigkeit nichts zu tun?


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