Max Eyth
Im Strom unsrer Zeit. Dritter Teil. Meisterjahre
Max Eyth

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Zweiter Abschnitt. 1883 – 1884

Bonn a. Rh. Der erste Vorstoß

15.

Bonn, den 15. Juli 1883.

Mein Freund und Gönner, der Geheime Regierungsrat Professor Dr. Dünkelberg, wundert sich billig, daß ich nicht in einem blauen Rock mit vergoldeten Knöpfen und gebrochenen Herzens, eine Werthergestalt aus vergessenen Zeiten, einherwandle, seitdem ich von Hamburg zurück bin. Er selbst hatte alles von der zu erwartenden Zusammenkunft deutscher Landwirte für meine Pläne erhofft. Und nun! – Aber von einem gebrochenen Herzen ist mir so wenig anzumerken als von einem blauen Frack. Dafür bin ich doch zu sehr ein Kind unsrer Zeit und überdies Mechanikus: Die Gleichheit von Druck und Gegendruck sind ein uraltes, heiliges Gesetz der Körperwelt. Im Geistesleben, wenn es ist, wie es sein soll, ist das Gesetz sogar noch etwas verbessert. Hier wächst der Druck infolge des Gegendrucks, und unter diesem Zeichen trat ich meinen Rückzug aus Hamburg an.

In bester Stimmung, mit drei wertvollen Briefen in der Brusttasche, die merkwürdigerweise im Augenblick meiner Abreise eingetroffen waren, verließ ich Bonn. Der Fürst von Hohenzollern erklärte seinen Beitritt, der Herzog von Koburg und der Fürst von Hohenlohe-Langenburg beide ihre Bereitwilligkeit, beizutreten, sobald mein Reichsverein für Landwirtschaft Form und Gestalt gewonnen habe. Nun waren ja nur noch die zwanzig Millionen einzusaugen, aus denen die eigentliche landwirtschaftliche Bevölkerung Deutschlands besteht, und die Sache war gemacht!

Nach Hamburg kam ich zwei Tage zu früh; absichtlich, um zu rekognoszieren und zu sehen, was die Herdbuchgesellschaft mache. Ich dachte daran, nach ihrer Auflösung eine eigne Versammlung einzuberufen, wozu Zeit und Ortskenntnis nötig gewesen wäre. So fiel ich mit meinen friedlichen Plänen mitten in den Strudel eines allgemein deutschen Kriegerfestes, dessen Sinn und Bedeutung ich nicht zu ergründen vermochte. Ein endloser Festzug, nicht sehr geschmackvoll aufgeputzt, und schließlich einförmig in seiner Wiederholung von Fahnen, Festschleifen und Denkmünzen, belebt von einer fühlbar erzwungenen Begeisterung, hinter der, wie ganz Hamburg sagte, etliche Bierbrauereien standen, welche große Massen altes Bier loswerden mußten. Der Krieg ist eine zu ernste Sache für die Schützenfeststimmung vergangener Jahre.

Die Ausstellung ist auf einem großen Platz fast in der Mitte der Stadt, wenn man Altona mitrechnet, sehr hübsch aufgebaut, und hat eine Menge teilweise prächtiger Tiere aus allen Teilen Deutschlands, jedoch wenige aus fremden Ländern zusammengeführt. Die Geräteausstellung ist sehr bescheiden. An Maschinen hatte die Ausstellungsleitung zu spät gedacht. Man fühlt es durch: es fehlte das Verständnis für das Ganze der Aufgabe. –

So fremd ich auch auf einer deutschen Ausstellung war, fand ich doch sofort eine Menge Bekannte und hörte von ihnen, daß der Ausschuß der Herdbuchgesellschaft seine Sitzung erst in etlichen Tagen halten werde und daß der Generalsekretär des Rheinischen Zentralvereins, Dr. Havenstein, in derselben die Auflösung der Gesellschaft und den Anschluß ihrer Mitglieder an den künftigen Reichsverein beantragen werde.

Zwei Tage später feierten die »Alten Herren« der landwirtschaftlichen Hochschulen einen Kommers, bei dem günstigenfalls Dünkelberg und ich auf die ersten Tage der folgenden Woche zu einer Versammlung einladen wollten, in der mein Plan besprochen werden sollte. Es stellte sich aber sofort heraus, daß dies ein undurchführbares Vorgehen gewesen wäre. Niemand schien zu wissen, ob er über den Sonntag bleiben oder gehen werde. Eine Versammlung, wie ich sie brauchte, hätte Wochen zuvor eingeleitet werden sollen. Dies aber war aus Rücksicht auf die Herdbuchgesellschaft nicht möglich gewesen, ohne deren Mitglieder vor den Kopf zu stoßen. So gab ich schon an diesem Abend den Plan eines Vorgehens zu Hamburg in größerem Stil nahezu auf.

Doch bemerkte ich in den nächsten Tagen manches Hoffnungsvolle und schürte im stillen. Was mich als positive Errungenschaft anmutete, war, daß der Plan anfängt, bekannter zu werden. Ein ganzes Land nach und nach in Vibration zu versetzen, ist allein schon keine kleine Arbeit. Wenn die Leute anfangen, unter sich von der Sache zu sprechen, ohne daß man sie unmittelbar anstößt, ist der erste Schritt mit Erfolg gemacht. Mehr konnte ich in neun Monaten vorsichtigen Rüttelns nicht erzielen und nicht verlangen.

Havenstein erzählte mir nach der Ausschußsitzung der Herdbuchgesellschaft, wie dieselbe verlaufen sei. Niemand wollte mit der Sprache heraus, bis er seinen Antrag auf Auflösung eingebracht hatte. Nathusius glaubte dem Zusatz bezüglich des Beitritts der Mitglieder zum Reichsverein nicht zustimmen zu sollen, um, wie er sagte, einem neuen Unternehmen durch die alten, unhaltbar gewordenen Verhältnisse das Werden nicht zu erschweren. So wurde beschlossen, der Generalversammlung am folgenden Tag die Auflösung ohne jeden Beisatz vorzuschlagen. Ich schien freie Bahn zu erhalten.

Nun kam aber etwas Überraschendes. Als ich am Morgen Nathusius zu dem selbstmörderischen Entschluß seines Ausschusses Glück wünschen wollte, erzählte er mir, Graf Hatzfeld habe ihm soeben mitgeteilt, daß die Herdbuchgesellschaft den erbetenen Jahreszuschuß von hunderttausend Mark seitens des Reichs erhalten dürfte. Nun sei es natürlich ganz unmöglich, sich aufzulösen. Die Bittschrift liege vor dem Reichstag. Wenn ihnen die hunderttausend Mark zugesprochen würden, und sie sich zuvor aufgelöst hätten, wären sie unsterblich blamiert. Das mußte ich zugeben, und so kam es, wie vorauszusehen. In Erwartung des Backschischs, das ihr Leben retten konnte, beschloß die Generalversammlung, von der Auflösung abzusehen. Aber jeder der einzelnen ihrer leitenden Geister: Nathusius, Petersen, Settegast, Martiny rieten mir flüsternd, mich um sie als Körperschaft nicht mehr zu kümmern. Das will ich denn auch tun und hätte es von Anfang an tun können, ohne jemand zu schaden. Doch ist es vielleicht ebensogut, nicht allzu rasch mit dem Kopf durch jede Mauer zu rennen.

Am Abend dieses denkwürdigen Tags fuhr ich mit einigen Freunden der Sache, Thiel, Rimpau und andern die Alster hinauf nach einem abgelegenen, aber reizenden Vergnügungsgarten. Es war ein herrliches Plätzchen, um Ärger und Enttäuschung, Staub und Hitze des Tags zu vergessen und im Mondschein dem Plätschern des Wassers am Fuß unsers Gartenhäuschens zu lauschen. Dazu eine Rheinweinbowle, die der Geheime Oberregierungsrat nach den Regeln echter Heimatskunst zu brauen wußte! Das Leben schien sich etwas weniger hoffnungslos zu gestalten.

Natürlich kam das Gespräch nach kurzem Vorspiel auf meine trostbedürftige Miene und den ungeborenen deutschen Reichsverein. Thiel meinte: soweit die hunderttausend Mark in Betracht kämen, könne sich die Herdbuchgesellschaft auch ohne Auflösung begraben lassen. Da sah ich nach deutscher Art eine Zeitlang schweigend in den vollen Mond, zog dann mein Taschenbuch heraus und notierte als erste Mitglieder der werdenden Gesellschaft in säuberlich alphabetischer Ordnung sieben Mann:

  1. Anton, Fürst von Hohenzollern-Sigmaringen.
  2. Carl, Fürst zu Hohenlohe-Langenburg.
  3. Ernst, Herzog von Sachsen-Koburg-Gotha.
  4. Eyth, Max.
  5. Noodt, Ökonomierat. Berlin.
  6. Rimpau, Oberamtmann. Schlanstedt.
  7. Thiel, Dr., Geheimer Oberregierungsrat.

Es wären fast zehn geworden; aber die andern drei Anwesenden wollten's noch abwarten. Doch stießen sie mit an, als das erste Hoch auf das kommende Werk über die schlummernde Wasserfläche klang und in der dämmernden Mondnacht verhallte.

Das war der erste Geburtstag des deutschen Reichsvereins für Landwirtschaft, und da lag nun der Knirps, ein halb bewußtloses, namenloses, hilfloses kleines Wichtchen, keineswegs ein »prächtiger Junge«.

Ob er durchkommen wird?


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