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Der Friede der Tiere

An der Front der Heere teilen die wilden Tiere das Los des Menschen: Der Bau in der Erde zittert, stürzt ein, wird in die Luft gesprengt, der zerschossene Ast fällt mit dem Vogel, den er trug, zu Boden. In unseren Jagdrevieren aber beginnt sich das vergessene Wild sicher zu fühlen. Die Tiere dürfen glauben, der Zustand der Unschuld sei wiedergekehrt auf Erden, endlich sei es Friede geworden.

Noch schmücken keine Blüten, keine Blätter ihr Gebiet. Kahl sind die ernsten Wälder rings um Paris, die Forste von Marly und Saint-Germain, kahl auch die geackerten Felder, auf die das Rebhuhn sich hinauswagt, wissend, daß es von derselben Farbe ist wie die Erdscholle. Die Knospe der Eiche schlummert noch, die Strahlen der Sonne gleiten über das seidige Silber unbelaubter Kastanienbäume. Oberhalb des Parks entblättert die Kälte rosige Pfirsich- und weiße Mandelblüten. Wir suchen Veilchen unter den dürren Blättern und dem toten Gras des vorigen Jahres, doch finden wir nur keimende Eicheln, rot wie Kirschen. Sie haben eine ganz dünne, eine zähe, lebendige Faser durch ihre geplatzte Kapsel hindurchgetrieben, und blind, klug taucht der junge Keim in die feuchte Erde … Weder Kinder, die Anemonen pflücken, noch Reisigsucher sind in der Nähe. Trotzdem knistert der Wald lebendig. Es ertönen leichte Schritte, Frühlingsrufe, Schnabelklopfen, Fächerschläge: Über unseren Häuptern, zu unseren Füßen, überall, sind Wesen, die uns zum Trotz nicht aufhören wollen, auf unsere Freundschaft zu hoffen.

Welch eine Zuversicht nach einem Waffenstillstand von wenigen Monaten! Eine Meise folgt uns, fliegt uns voraus, kehrt um, schwätzt mit uns. So oft sie eine Pause in ihrer Rede macht, öffnet und schließt sie uns vor der Nase kokett die Flügel. Ihre Augen glänzen unter der kleinen Samthaube auf ihrem Köpfchen. Eine Schar Finken entflieht nicht, da wir uns nähern, stößt vielmehr fragende Rufe aus, plaudert zwitschernd mit uns, und zwei Rotkehlchen hüpfen gemächlich von den niedrigen Zweigen eines Baums herab, laufen am Boden vor uns her wie zwei Mäuschen …

Ein Hase, zwei, zehn! … Aber nicht angstvoll fliehend, wie in vergangenen Jahren, da das weiße Hinterteilchen sichtbar wurde, um im selben Augenblick zu entschwinden. Wohl sind sie ein wenig erschreckt, hauptsächlich aber unentschlossen: »Müssen wir fliehen? Können wir bleiben? …« Im Lauf innehalten und sich umsehen, ist das nicht schon überaus kühn für einen törichten kleinen Hasen aus einem Wildgehege? Der abenteuerlustigste sitzt aufrecht wie ein Känguruh. Er ist gelb wie reifer Weizen und schließt die Ohren zusammen. Wie ein Mensch drückt er die Vorderpfoten gegen die Brust. Vielleicht wird er gleich rufen: »Ah! wie habt ihr mich erschreckt!« Vielleicht wird er lachen …

Als wir uns wieder auf den Heimweg machen, muß der Wagen an der ersten Biegung der Waldstraße mit plötzlichem Ruck stehenbleiben. Fast hätten seine Räder fünf Fasane zermalmt, die, rotgolden wie die untergehende Sonne, majestätisch in ihrem Mantel mit spitziger Schleppe, rund und prächtig wie ländliche Blumensträuße, gelassen die Straße überqueren. Zutraulich und hochnäsig zugleich, scheinen sie im Rhythmus ihres Wackelganges zu sagen: »Ihr habt es wohl sehr eilig? … Erst kommen wir. Wartet … war–tet … wartet …«

 


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