Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Bel-Gazou und Buck

Ein gleichmäßiger feiner Regen besprengt das aufgestellte Dach des Kinderwagens. Darunter verbirgt sie sich wie ein kleiner Zollwächter in seinem Schilderhäuschen und ist munterer denn ein Haufen Mäuse. Auf ihren braunen Wangen liegt ein durchsichtiger Hauch, jener samtige Schimmer unfühlbarer Feuchtigkeit, den eine kalte Nacht den Früchten gibt. Das Wachstuch und das weiße Lammfell bewegen sich über dem unablässigen Tanz der kleinen Füße in Wollschuhchen, die mit der Wärmflasche spielen.

So erlebt Bel-Gazou oben auf der Terrasse den Beginn einer dritten Jahreszeit in ihrem kleinen Dasein. Das Neugeborene hatte mit verschwommenem Blick unter dem grellen Blau eines Spätsommers geblinzelt, dann waren die ersten gelben Blätter auf seinen Tüllschleier herabgefallen. Nun hat der Kinderwagen das Moseskörbchen ersetzt, und zwischen zehn und vier Uhr führt Bel-Gazou darin ungefähr dasselbe Leben wie ihr Nachbar Buck, der Wachhund.

Er zählt fünfzehn, sie fünf Monate. Gleich ihm kennt sie die beiden Glockenschläge, die zum Frühstück rufen, und begrüßt sie durch mannigfache Laute. Sie weiß, wie er, daß das Hin- und Hergehen des Gärtners keine Beachtung verdient: ein halbes Lächeln, ein freundliches Schwanzwedeln, das genügt. Auch die vorbeiziehenden Rinderherden erregen weder das Kind noch den Hund – das »Tapp-Tapp« der schweren Hufe auf dem ausgetretenen Wege, das langsame Vorüberziehen der rotbraunen Rinder, die sich wie ein Fries vom Horizont abheben – das gehört für Bel-Gazou noch in eine Gruppe weitläufiger Geschehnisse, sichtbar, aber unbegreiflich wie der Flug der Wolken und das Wandern des Sonnenlichts an der Mauer. Wenn sich der Himmel verfinstert, wenn plötzlich ein Regenguß niederstürzt wie ein herabgelassener Vorhang, so ändert das die Laune der beiden Gefährten nicht im geringsten: Buck liebt das Wasser, und Bel-Gazou lacht, während man sie unter dem Regenschauer wegträgt, der ihr gleich Tränen über die runden Bäckchen rollt …

Nach dem Essen können Bel-Gazou und Buck drei friedliche Stunden lang ruhen und träumen. Die gleiche Weisheit befiehlt beiden vollkommene Muße: Der Wachhund, nun gesättigt, hat seine korrekte Haltung aufgegeben, die Pfoten sind nicht mehr gefaltet, die Schnauze ist nicht mehr nach der Straße hin gewendet. Die ebenfalls gesättigte Bel-Gazou blinzelt nur und läßt davon ab, die junge Kraft ihrer zerstörungslustigen Händchen an den Spitzen ihres Kissens auszuprobieren. Sie ist sanfter und hübscher als sonst, gleichsam geschminkt von Wärme und Wohlbehagen. Zu dieser Tageszeit nimmt sie Huldigungen mit einem Blick auf, der keinem Alter anzugehören scheint, mit dem zerstreuten und herablassenden Blick einer Frau. Sie verlangt weiter nichts als die vorgeschriebene und geheiligte Ruhe. Bekannte Schatten, vertraute Gesichter erscheinen auf der Terrasse, ohne daß Bel-Gazou ihren Pfauenschrei ausstößt, ohne daß Buck geruht, die Ohren aufzustellen.

Doch plötzlich knirscht der Sand, eine unbekannte Silhouette taucht am Ende der Allee auf, wird größer, indem sie sich nähert. Ein fremder Geruch beleidigt die feine Nase des aufmerksam gewordenen Buck.

Der Eindringling neigt sich über den Wagen, in dem Bel-Gazou schlummerte. Nun erwacht, betrachtet sie den über sie gebeugten Feind … Sie fürchtet sich. Wird sie das Gesicht zum Weinen verziehen, mit den kurzen Ärmchen das Kissen bearbeiten und in heftiges Geschrei ausbrechen? … Nein. Sie hat zwischen den beiden Abwehrmöglichkeiten, die einem bedrohten Wesen gegeben sind, bereits gewählt. Sie sammelt alle Waffen ihrer zähen Schwäche, zieht die Augenbrauen herab, hält dem Blick des Fremden stand und beginnt dumpf und aus tiefster Kehle zu knurren.


 << zurück weiter >>