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Eine kleine Hündin ist zu verkaufen

Bei mir. Der Hundehändler tritt ein. Er hält eine schwarze Kiste mit vergittertem Schiebefensterchen in der Hand. Er ist dick und hat einen großen Schnurrbart. Er riecht nach Wein, nach Hundezwinger und nach Karbolsäure.

Der Hundehändler: »Guten Tag, Madame, wie geht's, wie steht's? Ich bringe Ihnen da das kleine Tier, von dem wir neulich sprachen. Ein richtiges Miniaturhündchen, Sie werden staunen. Fast hätte ich es nicht bekommen. Wir haben uns zu dritt darum gerauft. Aber der Züchter ist ein Vetter meiner Frau, und so mußte er es aus Familienrücksichten mir geben. Wie Sie mich da sehen, komme ich direkt von der Bahn, die ganze Nacht bin ich von Brüssel hierher gefahren, mit dem kleinen Tier. Und dabei noch das schlechte Wetter!«

Die kleine Hündin in ihrer Kiste, während der Händler spricht: »Macht auf, oh, macht auf! … Ich kann nicht mehr … Macht mir auf! … Seit ungezählten Stunden stecke ich in dieser Kiste. Ich glaube, ich bin dem Tode nah … Macht mir auf! Der Lärm der Räder rollt noch in meinem Schädel. Die Stöße während dieser endlosen Reise haben mich gegen die Wände meines Käfigs geworfen. Alles tut mir weh, meine Ohren, meine fiebrige Schnauze, meine zitternden Pfoten … Wenn ihr mir nur aufmachen wolltet! …«

Der Händler: »Es ist eine Hündin, wie ich Ihnen schon gesagt habe. Dreizehn Monate alt, hat die Hundekrankheit überstanden, die Ohren sind gestutzt, und zimmerrein ist sie auch … Hier ist das kleine Ding.« (Er klappt eine Wand der schwarzen Kiste auf und ruft:) »Tttt! Tttt! Komm schnell, der Dame guten Tag sagen! Komm!«

Die kleine Hündin, an die Hinterwand der Kiste gedrückt, entsetzt: »Ich habe Angst, ich habe Angst! Da ist schon wieder der Mann …«

Der Händler: »Sie ist ein bißchen verschreckt, aber das gibt sich … Komm, komm! …«

Die kleine Hündin: »Der Mann von heute nacht! Mein Gott! diese Hände! …«

Der Händler ergreift die kleine Hündin: »Nehmen Sie sie in die Hand. Man möchte glauben, daß sie nicht einmal neunhundert Gramm wiegt, was?«

Die kleine Hündin: »Das Licht blendet mich. Wo bin ich?«

Der Händler: »Und so hübsch! und nett! Und lustig wie ein kleiner Affe! Sie werden gleich sehen. Tttt! Tut!« (Er kitzelt die kleine Hündin, zwickt sie ein wenig, zupft sie an den Ohren.)

Die kleine Hündin, außer sich: »Schon wieder! … Was habe ich verbrochen? Ich habe nicht gebissen, ich habe nicht geschrien. Warum quält er mich? Ich mache mich noch kleiner, als ich schon bin, und versuche mit flehenden Augen, den Mann zu rühren …«

Der Händler: »… Aber nein, sie hat keine Angst vor mir, keine Spur. Sie ist sehr zutraulich. Sie kann aufwarten und das Pfötchen geben. Sie werden schon sehen. Ich will sie auf den Tisch setzen …«

Die kleine Hündin: »Erbarmen, Erbarmen! Was werde ich noch ertragen müssen? Da ist jetzt eine unbekannte Person, deren Stimme sanfter ist als die des Mannes … Bin ich ihretwegen hier? Oder muß ich wieder fort, muß mich wieder in der schwarzen Kiste am Arm des fürchterlichen Mannes schütteln lassen? … Ich werde die Unbekannte anflehen, zitternd anflehen, aber ich habe fast keine Hoffnung …

Du, die hier vor mir steht, Unbekannte, die du mir mit leichter Hand über den heißen Kopf gestrichen hast, du siehst, ich sitze da ganz winzig klein in der Mitte des Tisches. Es gibt nichts Elenderes, nichts Erbarmungswürdigeres als mich. Ich habe keinen Herrn, ich kenne nur Peiniger. Ich habe kein Haus, ich habe nur dieses schwarze Gefängnis. Vorher saß ich in einem stinkenden, aber mit blauen Bändern geschmückten Käfig im Schaufenster, und die Vorübergehenden lachten mich aus … Mein einziger Freund war einige Tage lang ein Angorakätzchen; es war krank, fror immerfort und ist schließlich gestorben. Ich habe Hunger. Ich kann mich gar nicht erinnern, daß ich heute schon etwas zu essen bekommen hätte. Ich habe nur eine Pille bekommen, weil ich Bauchweh hatte und, ohne daß ich es wollte, mein Kissen beschmutzte. Ich habe auch Durst: man hat vergessen, mir zu trinken zu geben. Hauptsächlich aber ist mir kalt, und ich zittere unaufhörlich, denn es scheint mir, als würde ich nie mehr in zwei liebevollen, warmen Armen schlafen … Ich habe nicht einmal einen Namen … Dort, wo ich früher war, rief man mich ›Mirette‹. Der Mann hier aber macht nur Tttt! Tttt! Ich bin das Verlassenste, das Traurigste, was es auf der Welt gibt: ein Tier, das zu verkaufen ist … Der Hals schnürt sich mir zu. Wirst du mein Kleid, das goldgelb ist wie reifer Weizen, und meine Maske aus schwarzem Samt schön genug finden? … Beachte meine Ohren nicht, ein Bösewicht hat sie gestutzt. Vergiß sie. Oder denke dir, es sind kleine Hörner, eine komische Frisur, über die man lachen muß. Der Bösewicht hat mir auch den Schwanz abgeschnitten. Ich kann mich seither nicht mehr niedersetzen wie sonst. Aber diese Torturen sind schon lange vorbei und ausgeheilt. Vergiß sie …

Betrachte meine Augen. Betrachte nur meine Augen! Sie sind so groß, manchmal braun und goldig wie Haselnüsse, manchmal schwarz wie Wasser im Schatten. Betrachte sie! Könntest du doch verstehen, was sie dir versprechen! Wenn du mich eines Tages liebtest, würde dir aus ihnen die ganze Wärme eines treuen Herzen entgegenstrahlen … Wenn du es wolltest, würde ich hier bleiben, bei dem schönen Feuer in diesem Zimmer. Ich würde mich unter ein Möbel verkriechen, da könnte ich in aller Ruhe sterben, ich arme, kleine Hündin, die zu verkaufen ist … Wie soll ich dein Herz nur rühren? Findest du mich nicht schön genug? … Ein letztes Mal erhebe ich meine feuchten Augen zu dir und reiche dir, wie man es mich gelehrt hat, eine bettelnde kleine Pfote …«

Der Händler, eine lange Anpreisung abschließend: »… Wie gesagt, um diesen Preis ist sie durchaus nicht teuer. Es ist derselbe Preis, den Madame Verdal für ihre kleine Hündin bezahlt hat, und die wiegt gut ein halbes Pfund mehr. Wissen Sie, was ich für das Tier bezahlt habe? Sie ahnen es nicht, und ich werde es Ihnen auch niemals sagen, denn Sie würden mich dann mit Recht einen dummen Kerl heißen. Aber man ist eben entweder ein Hundeliebhaber oder man ist keiner. Und bei mir ist es eine wahre Leidenschaft. Am liebsten würde ich alle selber behalten, aber dazu langt es nicht. Sie sind doch Hundekennerin und wissen so gut wie ich, was solche kleine Brabanter Hündchen kosten. Sie wissen es sogar noch besser als ich … Was wollten Sie mir eben bieten? … Oh, sehr gut, sehr gut! Die gnädige Frau ist heute zum Spaßen aufgelegt, aber ich habe etwas anderes zu tun, als hier meine Zeit zu verlieren! Oh, wenn ich das gewußt hätte! … Das hätte ich nicht nötig gehabt, daß ich vom anderen Ende der Stadt bis hierher gelaufen bin, um mich hier wie einen kleinen Kommis behandeln zu lassen. Fünfzig Franken wollte ich Ihnen ja wohl nachlassen, als ich kam, aber alles hat seine Grenzen … Vorwärts, Tttt, komm schnell in dein Häuschen zurück, zu deinem Herrchen!« (Er packt die kleine Hündin.)

Die kleine Hündin, vor Schreck erstarrt, mit geschlossenen Augen: »Oh! ich bin verloren! …«

   

Die kleine Hündin, wieder zu sich kommend: »Wo ist er? Wo ist er? Wohin wird er mich tragen? Rührt mich nicht an! Rührt mich nicht an! Ich kann noch beißen, ehe ich zugrunde gehe … Wo ist er? Ich höre seine fürchterliche Stimme nicht mehr. Das ist das Zimmer, in dem ich eben noch mit ihm zusammen war. Wer hält mich? Zwei fürsorgliche Arme wiegen mich, eine sanfte Hand betastet meinen fiebernden Körper. Ich wage nicht, aufzublicken … Ein Löffel klappert in einer Tasse … Zu trinken! zu trinken! … Oh, diese lauwarme Milch! … Noch, noch! … Wer füllt mir ein zweites Mal die Untertasse? Du, die ich vorhin angefleht habe? Du hast also erraten, was die Augen eines feilgebotenen Tieres sagen? Die deinen sind traurig, und wie schüttelst du den Kopf! Erlaube mir, daß ich die Hand lecke, die mich pflegt … O Gott, mir scheint, er kommt wieder! Wenn er wieder käme und mich mitnähme? … Nein, das ist ja nicht möglich … Ich muß deine Augen befragen … Du lachst nicht, du kreischst nicht vor Bewunderung, du küßt mich nicht ungeschickt wie all die Damen, die einen Augenblick mit mir spielten, um mich dann wieder dem Mann zurückzugeben … Du bist traurig, und du drückst mich an dich. Willst du mich beschützen? … Behalte mich! Ich schenke mich dir. Wir sind allein. Du hast mein Vertrauen, du darfst über meinen Schlaf wachen. Verlaß mich nicht! Denn ich bin schwach und krank, und ich könnte heute nirgends anders schlafen als an deiner Brust, wo ich ein wenig mütterliche Wärme wiedergefunden habe …«


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