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Ein Märchen für die Kinder der Soldaten

An der Schwelle einer Hütte aus Erde und Latten hielt der Soldat Wache. Er war in zerfetzte Wolle gehüllt, die Füße hatte er sich mit Lappen umwickelt, auf dem Kopf saß ihm eine dicke gestrickte Mütze. Schwer und massig sah er aus, wie ein rohes Götzenbild, in groben Umrissen aus dem Felsen gehauen. Doch wenn er den Kopf zu dem unerbittlichen Mond emporhob, konnte man den langen blonden Bart eines jungen Mannes unterscheiden und zwei Augen, so blau wie die Nacht.

»Es ist kalt,« flüsterte er, »es ist kalt.«

Nicht daß er vor Kälte gezittert hätte, er murmelte diese Worte beinahe unbewußt vor sich hin und betrachtete den weißen Hauch seines Atems. Er horchte in die Stille hinaus, so wie man auf einen ungewohnten Lärm horcht, in die seit kurzem herrschende unerklärliche Stille, in der Donner und Wetterleuchten des Kartätschenfeuers fehlten. Rings um ihn gab es nur Trümmer, Schutt, zermalmte Steine und Asche, die Schlacken der Schlacht, die nichts Großes zurückläßt als die Toten.

Der Soldat auf Wache schlug sich einen Augenblick lang mit beiden Fäusten gegen die Rippen, dann stand er wieder unbeweglich. Lange Tage des Frostes und der Ostwind der Nächte hatten der Erde ihre braune, lebendige Feuchtigkeit genommen. Nur der Staub einer Kälte ohne Schnee bedeckte die Hütte, den Haufen gehackten Holzes, die Fußlappen und die rissigen Wangen des jungen Soldaten.

Plötzlich kam etwas herbeigesprungen und stand still: Ein kleiner Marder, gelb in seinem neuen Winterkleid, war auf der Jagd. Er setzte sich wie ein Eichhörnchen hin, kämmte seinen Schwanz, kratzte sich und betrachtete den Mond.

»Pss, pss«, machte der Soldat.

Der Marder sprang auf, lustig, als ob er mit dem ganzen Körper in Lachen ausbräche, und verschwand.

Der Soldat rüttelte sich aus seiner gelassenen Ruhe, trat in das Innere der Hütte und betrachtete bei der niedrigen Flamme einer Lampe seine dürftigen Besitztümer: eine Decke, Waffen, einige aufgeschlagene Zeitungen.

» Für unsere Soldaten«, las er. » Weihnachtsgaben für unsere Soldaten. Weihnachten im Felde. Ach richtig, morgen ist ja Weihnachten … Weihnachtsgaben für unsere Soldaten. Soldat sein, ach! Ich bin kein tüchtiger Soldat. Der Anblick von Blut entsetzt mich, die Kälte läßt mich erstarren. Ich wollte, ich hätte ein Fell wie der Marder … Diese Kälte ist fürchterlich, ich habe Angst, einzuschlafen … Wenn ich ein Fell hätte wie der Marder, richtig behaart wäre wie ein Tier …«

Er träumte, halb auf sein Lager gestreckt, erstarrt, verlockt von der ewigen Unbeweglichkeit.

»Aber könnte mich ein Fell jetzt noch wieder wärmen? Ist es nicht zu spät?«

Er versuchte, sich wieder zu erheben, doch seine Beine gehorchten ihm nicht.

»Der Tod kommt. Der Schlaf des Todes. Ein wenig Wärme hätte mich retten können … Hätte ich ein …«

»Was denn?« kläffte ein scharfes Stimmchen, ein Marderstimmchen. »Einen Pelz?

Du brauchst nur zu wählen und einen Wunsch auszusprechen.«

Der Marder, der auf der Decke saß, bewegte die Spitze seiner Schnauze mit lehrhaftem Nachdruck und spielte, während er sprach, mit dem blonden Bart des Soldaten.

»Er spricht«, sagte dieser bei sich. »Liegt die Welt schon hinter mir, auf der Menschen und Tiere, Feinde und Brüder einander nicht mehr verstehen?«

»Weißt du denn nicht,« fuhr der Marder fort, »daß die heutige Nacht eine besondere ist? Das könnte man noch hingehen lassen. Wieso aber hast du nicht bei meinem bloßen Anblick vorhin erraten, daß ich ein ganz besonderer Marder bin? … Du willst also einen Pelz, ein Fell, das dir richtig aus der Haut wächst, einen Pelz, in dem du umherlaufen, kämpfen und wohlig warm schlafen kannst?«

»Wohlig warm …« wiederholte der Soldat. »Wohlig warm … ach, wie herrlich muß es sein, wenn einem warm ist …«

»Dreh dich um!« befahl der Marder. »Und wähle.«

Ein langhaariges Füllen kam auf stummen unbeschlagenen Hufen angetrabt, man wußte nicht, woher. Wie ein Engländer lächelnd, zeigte es seine großen Zähne und wieherte dem Soldaten zu:

»Du willst ein Fell? Nimm meines. Es ist gut. Ein wenig steif zwar, aber unverwüstlich. Ein Fell, das …«

»… sich mit meinem nicht vergleichen läßt«, meckerte eine graue Ziege. »Armer Mann, der du ganz nackt geboren bist, nimm mein Ziegenfell. Hör nicht auf das zerzauste Füllen. Was meinst du zu meinem Vorschlag?«

Sie schielte recht dämonisch und begann zerstreut an der Katholischen Woche zu knabbern, in die ein Restchen Tabak eingewickelt war.

»Es gibt noch bessere Felle«, rief aus der Ferne die Fistelstimme eines wolligen Bären, der, bequem auf einem kleinen Eisberg zusammengehuschelt, von einer plätschernden Woge vorbeigetragen wurde. »Ich sage nichts weiter als: es gibt noch bessere Felle.«

Die Woge entfernte sich, der Bär schwebte davon wie eine riesige Wolke. Ehe der Soldat noch antworten konnte, strich ein weiches dunkles Tier gegen sein Bein, und er beugte sich zu einer Fischotter herab, die nach Wasserminzen, blühenden Binsen und

Schilfgräsern roch. Sie richtete sich auf, damit er den weichen Samt ihres Kleides und die Eisperlen, die an ihren starren Schnurrbarthaaren hingen, besser sehen konnte, und sprach, ein wenig heiser vom Nebel der Teiche:

»Siehst du, wie naß ich bin, und ganz mit Eiskörnern bedeckt? Berühre mich, und du wirst fühlen, wie meine Wärme allmählich bis zu deiner Hand dringt, die stets gleichmäßige Wärme meines Fischotternblutes, das so wunderbar geschützt ist gegen Wasser, Wind und Eisschollen auf den Bächen … Sag, willst du nicht mein schönes Fell haben?«

Sie sprach noch, als ein Scharren, Schnauben und unterdrücktes Schwätzen anhob. Es kam von einer Schar vierfüßiger Tiere, deren gefleckte Rücken im Mondenschein bis zu den silbrigen Hügeln hin schimmerten, bis zu der fedrigen Wolke, die unter den tiefsten Sternen lag:

»Und wir, wir, die tausend und abertausend Hasen, die bläulichen, schwarzen, weißen und braunen, wir brave Tiere mit langen Ohren und warmen Röckchen? Möchtest du, Soldat, nicht das Fell eines Hasen haben?«

Sie hatten alle auf einmal gesprochen und schwiegen dann alle, voll Ehrfurcht vor der, die nun nahte. Geblendet meinte der Soldat, der Mond selber komme zu ihm, als die weiße Katze sich weich wie eine Schneeflocke auf seine Bettdecke herabließ. Ein kristallhelles Schnurren ließ ihren ganzen Körper erzittern, und in ihrem Fell spielten, blaß schimmernd, alle Farben des Regenbogens. Sie sang wie eine Geige, wenige Worte nur, von klugen Pausen unterbrochen:

»Der Schnee … der Schwan … die Wolke mit silbrigem Saum … der Flaum der Distel, den ein Hauch davonträgt … die Taube und das Hermelin und der Hals deines Mädchens, den ein schwarzes Samtband schmückt … nichts ist so weiß wie ich. Bin ich schön, sag?«

»Oh, schön«, murmelte der Soldat. Er sprach leise und schüchtern, als spräche er zu einer Frau.

Sie blickte ihn mit grünen Augen an, ohne zu blinzeln, und er verspürte Lust, die rosigen kleinen Nasenlöcher mit dem Finger zu berühren.

»Streich mit der Hand über meinen Rücken«, fuhr die Katze fort. »Ein knisterndes Feuer folgt deiner Handfläche – so wie das Wasser nachts hinter dem Schritt eines Spaziergängers auf feuchtem Strand phosphoresziert. Soll ich ein Rad schlagen wie der Pfau, aber ein Rad aus Funken, nicht aus Federn? Nimm, damit du froh wirst und friedlich schlafen kannst, nimm, damit du am Leben bleibst, nimm – denn bald wird die Nacht entschwinden und der Zauber mit ihr – nimm das Kleid der weißen Katze …«

Da wünschte er sich das Kleid und die Katze selbst dazu. Sie sollte die Herrin in seiner Hütte sein. Doch die Arme, die er ausstreckte, umfaßten nur ein weißes Fell, leer, aber warm noch von einer wunderbaren Erscheinung …

Ein Schuß, hart und klar, erweckte den schlafenden Soldaten. Der erste schräge Strahl der winterlichen Morgenröte traf seine erstaunten Augenlider. Auf seiner Brust, auf seinen Wangen, auf seinem blonden Bart lag schimmernd und fleckenlos ein wunderbares Fell, das Fell …

»Mein Pelz«, sagte er sich. »Das Fell, das die weiße Katze mir geschenkt hat.«

Eine Salve, die näher krachte, ließ ihn aufspringen und nach dem Gewehr greifen. Noch glaubte er an seinen Traum, war stolz auf sein wunderbares Fell. Doch beim ersten Schritt, den er tat, flog gleich wirbelndem Flaum der Schnee davon, der während der Nacht in seine schlecht verschlossene Hütte geweht war und seinen Bart bedeckt hatte.

»Schnee,« murmelte er, »nichts weiter als Schnee …«

Und doch klopfte ihm das Blut, wunderbar erwärmt, durch die Adern, klopfte wie das munterer Tiere, die ein warmes Fell tragen. Nach dem Gewehrfeuer begannen Geschütze die Sekunden eines neuen Schlachttages zu zählen. Da weitete der Soldat, ohne es zu wissen, die Brust und ballte schnaufend wie der Bär die Fäuste. Einer seiner Kameraden, die allenthalben aus den Erdlöchern der Ebene auftauchten, fiel, und der Soldat biß die Zähne zusammen, wild lächelnd wie der Marder. Er packte seine Waffe, sprang katzenhaft geschickt los und begann zu laufen. Es war ihm so warm, daß er im Laufen am liebsten all seine erbärmlichen Wollhüllen abgeworfen hätte. Er lief, aller Furcht ledig, denn er trug das Geschenk der wunderbaren Nacht in sich, die neue wilde Tapferkeit, die die Tiere ihm als Weihnachtsgabe beschert hatten.


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