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Es ist schwül, die Luft riecht fade nach Moschus, Vögeln und Teich. Hinter einer Leinwand knurrt unsichtbar eine Löwin in kurz abgebrochenen leisen Tönen … Ein Gewitterregen läßt die Abenddämmerung um zwei Stunden zu früh einsetzen und vertreibt das Publikum. Wenn der Regenguß einen Augenblick schwiege, könnte man hören, wie die Raupen in ihren Käfigen Blätter zerknabbern und Eidechsenfüßchen auf den Glasscheiben knirschen. Auch das Frrt des Flügelschlages gefangener Vögel wäre zu vernehmen …
Eine oberflächliche Neugier treibt uns von Käfig zu Käfig, von Nest zu Nest. Wir haben gerade Zeit, uns die bräunlichgelbe Farbe eines Wespenbussard-Eies zu merken, das, halb verborgen zwischen ebenso gefärbten welken Blättern, kaum zu sehen ist – uns an der geselligen Laune eines kleinen Tukans zu erfreuen: lebhaft sticht der gelbe Schnabel von dem grünen Flauschröckchen ab. Die Minirspinne hebt einen haarigen Arm, indem wir vorübergehen, und der Axolotl schüttelt seine flossenartigen rosigen Schweinsohren …
Wenn diese Schaustellung von Wundern keine vorübergehende, sondern eine dauernde Einrichtung wäre, könnten wir ein wenig tiefer in das Geheimnis so vieler Lebensformen eindringen, auf die der Mensch in königlicher und dummer Gleichgültigkeit herabsieht. Der Name dieses erstaunlichen Fisches hier, der wie eine Klinge aus hellen Schuppen im Wasser schwebt, der jenes anderen mit den bläulich schimmernden Perlmutterflecken, der ein im Nassen lebender Bruder der Schmetterlinge Guayanas zu sein scheint – die Namen jenes violett glänzenden kleinen Vogels und dieses dämonischen Insekts wären uns ebenso vertraut wie der des Perlhuhns oder des Grashüpfers … Es fehlt uns an Zeit, aber auch an Fleiß. Wir haben nicht genug Geduld, wir sind nur ein bißchen neugierig. Verwunderung setzen wir an Stelle von Ausdauer, und wenn wir Oh! gerufen haben, bilden wir uns ein, wir hätten schon etwas zugelernt … Das Lächeln Fabres, der als Statue am Eingang des Ausstellungsgebäudes sitzt, weiß, daß ein Menschenleben kurz erscheint, wenn man es mit dem Studium eines Ameisenbaues verbringt … Wir sind herbeigestürzt, um zehn Minuten oder eine Stunde lang lebende Insekten zu betrachten und Raupen und kleine Reptile, aber wir haben dabei nicht mit der Furcht, dem Widerwillen und der Verstellungskunst des Tieres gerechnet, das sich nicht ohne weiteres befehlen läßt, vor Menschenaugen zu leben. Die Minirspinne verbirgt sich, der Wurm hört zu fressen auf, die Eidechse bleibt klopfenden Herzens starr liegen. Nur die Ameisen arbeiten weiter, ohne sich stören zu lassen. Ich hoffe, daß es unter den Schaulustigen Weise gibt, die ihre Tage hier verbringen, in Nachdenken versunken vor einem Glaskasten voll dürrer Schmetterlinge und kostbarer Käfer, Tiere, die unter unserem Himmel zu leben sich weigern, die sterben, wenn der Jäger sie berührt, und uns nur ihre farbenfunkelnden Mumien ausliefern.
Einer der guten Geister des Ortes, ein friedfertiges Wesen mit dem Akzent der Bewohner von Berry, führt uns herum und belehrt uns. Er weiß, wie klein die Erde ist, denn er ist weit auf ihr herumgekommen. Er versucht, uns klar zu machen, daß nichts unbegreiflich, nichts unzugänglich ist, daß die Riesenschlange, die Minirspinne, der Leguan oder der Ozelot sich schließlich nicht gar so sehr von der Katze oder vom Laubfrosch unterscheiden … »Das ist ganz einfach«, sagt er immer wieder …
»Gefällt Ihnen dieses Tier, Madame? Ich kann Ihnen so eine grüne Eidechse geben. Und wollen Sie vielleicht auch meine Kröte, Max genannt, haben? Das ist sehr einfach … Oder würde Ihnen vielleicht eine hübsche, vier Monate alte Löwin Spaß machen?«
»Sie würde mir schon Spaß machen, aber …«
»Sie ist so niedlich. Sie schläft in einem richtigen Bett. Es handelt sich dabei nur um die Platzfrage, denn man braucht ein ziemlich großes Bett. Aber eine schön gewürfelte Natter, die ist leicht unterzubringen … Nein? Ach, ich weiß, was Sie brauchen, ein kleines Tier für Damen, das Ihnen Gesellschaft leistet … Warten Sie einmal, ein Koati! Ein ungefähr fünfzehn Monate altes Koati, das ist sehr einfach …«
»Ein Koati? … Gut … wenn es gesund ist und fröhlich und hübsch … Ist es hübsch?«
Der gute Geist des Ortes wendet mir sein listiges Berrychonner Gesicht zu:
»Ob es hübsch ist? Nun, es sieht ungefähr so aus wie ich!«