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Nonoche

Die Sonne versinkt hinter den Ebereschenbäumen, deren grüne Beerendolden da und dort schon einen rosigen Hauch zeigen. Langsam erholt sich der Garten von der Hitze des Tages. Noch hängen die weichen Blätter des Tabaks schlaff herab. Das Blau des Eisenhuts ist ganz gewiß bleicher geworden seit heute morgen, aber die Reineclauden, die gestern noch grün waren unter ihrem silbrigen Staub, haben heute abend alle eine bernsteinfarbige Backe.

Der Schatten der Tauben kreist riesengroß auf der warmen Mauer des Hauses und erweckt mit einem Fächerschlag Nonoche, die in ihrem Korbe schlief …

Ihr Fell hat gefühlt, wie der Schatten eines Vogels über sie hinstrich. Sie weiß nicht recht, was ihr geschehen ist. Sie hat ihre japanischen Augen, deren Grün einem das Wasser im Munde zusammenlaufen läßt, zu schnell geöffnet. Sie sieht dumm aus, wie ein sehr hübsches junges Mädchen, und die Flecken ihres portugiesischen Katzenfells scheinen noch unregelmäßiger verteilt als sonst. Ein orangefarbener Kreis sitzt auf der Wange, ein schwarzer Streifen auf der Schläfe, drei schwarze Punkte am Mundwinkel neben der rosigen Nase … Sie senkt die Augen. Ein dreieckiges Lächeln gleitet über ihr Gesicht: Sie hat sich in der Wirklichkeit wieder zurechtgefunden. An sie geschmiegt, in sie versenkt, liegt, wie eine Schnecke zusammengerollt, ihr schlafender Sohn.

»Wie schön ist er doch!« sagt sie sich. »Und dick! Keines meiner Kinder war so schön. Übrigens erinnere ich mich gar nicht mehr an die anderen … Er macht mir warm.«

Sie rückt zur Seite und zieht den Bauch ein, bevor sie aufsteht, damit sie ihren Sohn nicht weckt. Dann krümmt sie den Rücken zu einem Dromedarbuckel, setzt sich und gähnt, wobei sie die feinen Rippen eines dreimal schwarzgefleckten Gaumens sehen läßt.

Trotz mehrfacher Mutterschaft hat Nonoche einen kindlichen Ausdruck, der über ihr Alter täuscht. Ihre kräftige Schönheit wird lange jung bleiben. Weder an ihrem Gang noch an ihren schlanken und schmalen Lenden kann man erkennen, daß sie in vier Würfen bereits achtzehn Junge in die Welt gesetzt hat. Die Spitzen ihrer kurzen dichten Haare glänzen und zeigen wie Hermelin im Sonnenlicht alle Farben des Regenbogens. Ihre Ohren sind ein wenig zu lang geraten und verstärken den reizenden Ausdruck des Staunens in ihren schief stehenden Augen. Ihre zarten, mit kurzen, krummen Krallen bewaffneten Pfoten verstehen es, sich zutraulich und weich in eine Freundeshand zu schmiegen.

Leichtfertig, verträumt, leidenschaftlich ist Nonoche, naschhaft, zärtlich und eigensinnig. Sie will nicht mit jedermann umgehen, sondern nur mit Auserwählten, mit Katzenfreunden. Doch selbst diese verstehen sie nicht sofort und sagen: »Welch launenhaftes Tier!« Launenhaft? Nein. Launenhaft ist sie nicht; bloß übermäßig reizbar. In der Freude ist Nonoche immer den Tränen nahe, und selten endet ein Spiel mit Bindfaden oder Wollknäuel ohne hysterische Krise, Gebeiße, Gekralle und rauhes Gefauche. Doch solch eine Krise läßt sich durch verständnisvolles Streicheln überwinden. Gleitet eine sanfte Hand über ihre feinfühligen kleinen Zitzen, so wird die eben noch rasende Nonoche sich weicher als ein Hasenfell auf die Seite strecken und zitternd zu schnurren beginnen. Zuweilen schnurrt sie so stark, daß sie husten muß …

»Wie schön er ist!« sagt sie, indem sie ihren Sohn betrachtet. »Der Korb wird zu klein für uns beide. Es ist ein wenig lächerlich, daß ein so großes Kind noch bei der Mutter trinkt. Er saugt nun schon mit spitzen Zähnen … Er kann längst aus der Untertasse trinken, der Geruch rohen Fleisches läßt ihn aufschreien, er scharrt, meinem Beispiel folgend, in der Kiste voll Sägespänen, und zwar ganz ebenso ängstlich und hastig wie ich selber … Ich habe ihm wirklich nichts mehr beizubringen. Nur entwöhnen muß ich ihn noch. Wie er meine dritte Zitze rechts schon zugerichtet hat! Es ist ein Jammer. Das Fell meines Bauches ringsum sieht aus wie ein Roggenfeld nach einem Regenguß! Aber ach, wenn dieses große Junge sich auf mich stürzt, die Augen geschlossen wie ein Neugeborenes, wenn es seine zu breit gewordene Zunge rings um die Zitze zu einer Rinne zusammenrollt … mag es mich wild anpacken, beißen, aussaugen, ich habe nicht die Kraft, es daran zu hindern!«

Nonoches Sohn schläft in seinem gestreiften Kleid, mit leblosen Pfoten und zurückgeworfenem Kopf. Unter seiner hochgezogenen Lippe kann man die Spitze der Zunge sehen, die rot ist vom Saugen, und vier sehr harte, kleine Zähne, die aus durchsichtigem Kiesel gemacht scheinen.

Nonoche seufzt, gähnt und steigt vorsichtig über ihren Sohn hinweg. Die Wärme der Fliesen tut den Pfoten wohl. Eine Libelle knistert in der Luft, ihre Flügel aus steifer Gaze streifen herausfordernd Nonoches Ohren. Nonoche zuckt zusammen, runzelt die Stirn und bedroht das türkisblau schimmernde, längliche Tier mit ihrem Blick …

Die Berge hüllen sich in blauen Dunst. Die Tiefe des Tales füllt sich mit weißem Nebel, der schwankend wallt und sich wie eine Welle ausbreitet. Schon steigt ein frischer Hauch von diesem See aus Wasserdampf auf, und Nonoches Nase belebt sich schnuppernd und wird feucht. In der Ferne ruft der Hirt unermüdlich seine Kühe. Kuhglocken bimmeln, der Wind weht friedlichen Stallgeruch herbei, und Nonoche denkt an den Milcheimer, den leeren Eimer, aus dem sie den Kranz restlichen Schaumes leckt … Sie miaut vor Begehrlichkeit. Müßiggang lastet auf ihr, sie langweilt sich. Seit einiger Zeit wird sie allabendlich, wenn es zu dämmern beginnt, von melancholischer Gereiztheit ergriffen, von einem Gefühl der Leere, von einem unbestimmten Verlangen …

Die erste Fledermaus schwingt sich in Zickzackflügen durch die Luft. Sie fliegt so niedrig, daß Nonoche zwei Rattenaugen unterscheiden kann und den roten Samt des feigenförmigen Bauches … Auch so ein Tier, das man nicht recht kennt noch begreift. Es dünkt einen verächtlich und hat doch etwas Beunruhigendes. Durch Gedankenverknüpfung kommt Nonoche der Igel in den Sinn und die Schildkröte, ebenfalls rätselhafte Erscheinungen. Nachdenklich fährt sie sich mit einer speichelbenäßten Pfote übers Ohr …

Doch plötzlich hält sie inne, die Ohren legen sich spitz nach vorn, das herbe Grün der Augensterne wird schwarz …

Hat sie nicht eben aus der Tiefe des Waldes, auf den die wuchtige Dunkelheit der Nacht mit einem Male herabgesunken ist, über das unbewegliche Gold der Weingeländer hinweg, durch alle anderen vertrauten Geräusche hindurch, den Ruf des Katers vernommen? – langgezogen, wild, melodisch, einschmeichelnd?

Sie horcht … Nichts mehr. Sie hat sich geirrt … Nein! Der Ruf ertönt von neuem in der Ferne, rauh und zum Weinen traurig, erkennbar unter allen anderen Stimmen. Mit vorgestrecktem Hals sieht Nonoche aus wie die Statue einer Katze. Nur ihr Schnurrbart bewegt sich ein wenig, denn ihre Nasenlöcher zittern. Woher kommt er, der Verführer? Was wagt er zu verlangen, was zu versprechen? Sein Ruf wiederholt sich, ändert den Ton, wird zärtlich, wird drohend. Er nähert sich und bleibt trotzdem unsichtbar. Seine Stimme erklingt aus dem schwarzen Wald, als wäre sie die Stimme des Schattens selbst …

»Komm! … Komm! … Wenn du nicht kommst, ist es um deine Ruhe geschehen. Diese Stunde ist die erste, aber bedenke, daß alle folgenden ebenso wie diese von meiner Stimme erfüllt sein werden, dir ebenso Kunde bringen werden von meinem Begehren … Komm! …

Du weißt es, du weißt es nur zu gut, daß ich ganze Nächte hindurch klagen kann, daß ich nicht mehr trinken und nicht mehr essen werde, denn meine Begierde erhält mich am Leben, Liebe ernährt mich … Komm! …

Du kennst mein Gesicht nicht, aber was tut das? Voll Stolz teile ich dir mit, wer ich bin: Ich bin der lange Kater, dessen Fell zehn Sommer zerfetzt, den zehn Winter gestählt haben. Eine meiner Pfoten trägt die Narbe einer alten Wunde und hinkt, meine zerschrammten Nüstern sind verzerrt, ich habe nur noch ein Ohr und das ist von den Zähnen meiner Rivalen zerbissen.

Weil ich immer auf der Erde schlafe, hat die Erde mir ihre Farbe gegeben. So unablässig bin ich umhergestreift, daß meine Pfoten hörnerne Sohlen tragen und hart auf dem Waldpfad klingen wie die Hufe eines Rehs. Ich gehe wie ein Wolf mit zu Boden geducktem Hinterteil, der Stummel meines Schwanzes ist fast kahl … Meine ausgemergelten Flanken stoßen zusammen, die Haut gleitet mir lose über die trockenen Muskeln, die Raub und Gewalttat gestrafft haben … In all dieser Häßlichkeit bin ich dennoch die Liebe! Komm! … Wenn ich dir vor die Augen treten werde, wirst du nichts anderes sehen als die Liebe!

Meine Zähne werden deinen widerspenstigen Nacken beugen, ich werde dein Kleid beschmutzen, ich werde dir ebenso viele Bisse zuteilen wie Liebkosungen. Jede Erinnerung an dein Heim wird ausgelöscht sein in dir, und tage- und nächtelang wirst du meine wilde, heulende Gefährtin sein … Bis die noch dunklere Stunde kommt, da du wieder allein sein wirst. Denn ich werde heimlich entfliehen, deiner überdrüssig, gerufen von einer Unbekannten, die ich noch nicht besessen habe … Dann wirst du zu deiner Heimstätte zurückkehren, ausgehungert, gedemütigt, schmutzbedeckt, blaß die Augen und das Rückgrat eingedrückt, als ob die Jungen schon schwer in deinem Bauch lasteten. Du wirst dich in einen langen Schlaf flüchten, doch in deinen Träumen wird unsere Liebe wieder auferstehen … Komm! …«

Nonoche lauscht. Nichts in ihrer Haltung verrät, daß sie mit sich selbst kämpft, denn die Lüge ist der erste Schmuck einer Verliebten … Sie lauscht, weiter nichts …

Die Dunkelheit erweckt allmählich ihren Sohn im Korb. Wie eine haarige Raupe entrollt er sich, streckt tastend die Pfoten von sich … Ungeschickt richtet er sich auf, breiter als hoch, und setzt sich in kindlicher Würde zurecht. Das schwindende Blau seiner Augen, das sich bald in Grün oder in blaße Gold verwandelt haben wird, verrät ein wenig Beunruhigung. Um besser schreien zu können, dehnt er seine gelbliche Nase, gegen die alle Streifen seines Gesichts zusammenlaufen … Doch er schweigt tückisch: er hat den buntgefleckten Rücken seiner Mutter gesehen, die auf der Terrasse sitzt.

Aufrecht auf seinen vier kurzen Pfoten, der Überlieferung getreu, die ihn diesen barbarischen Tanz gelehrt hat, mit zurückgelegten Ohren, gekrümmtem Rücken, eine Schulter vorgeschoben, nähert er sich in kleinen Sprüngen Nonoche und stürzt sich auf die Ahnungslose … Welch schöner Spaß! Fast hätte sie geschrien. Nun gibt es sicher bis zum Abendessen ein tolles Spiel!

Doch ein kräftiger Pfotenhieb hat den Angreifer von der Terrasse hinuntergeworfen, und nun hageln harte Schläge auf ihn herab, begleitet von wildem Gefauche und wütenden Blicken … Mit brummendem Kopf und staubbedeckt, erhebt sich Nonoches Sohn, so erstaunt, daß er nicht einmal zu fragen wagt, warum ihm dies widerfahren ist, noch jener zu folgen, die fortan nie mehr seine Amme sein wird. Würdig schreitet sie den dunklen Gartenweg entlang, dem Walde zu …


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