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Die Nattern

Zwei arme, scheue Wildlinge, die vor vier Tagen von ihrem Teichufer weggeholt wurden, ihren frischen Binsen, dem warmen, durch die Sonnenhitze rissig gewordenen Abhang, dessen bräunlichgraue Farbe auch die ihre ist … Sie mußten eine abscheuliche Reise machen mit zweihundert ihresgleichen in einer erstickenden Kiste, in der sie raschelnd durcheinanderwirbelten. Der Händler, der mir die beiden aussuchte, packte den lebendigen Knäuel aus glänzenden Seilen, entwirrte mit emsigen Fingern dünne Schnüre und starke Stricke, helle Bäuche und gesprenkelte Rücken …

»Das ist ein Männchen … Und dies da ein großes Weibchen … Sie werden sich nicht so langweilen, wenn Sie alle beide nehmen …«

Ich wüßte nicht zu sagen, ob sie sich aus Langerweile immer wieder an die Scheiben ihres Käfigs drücken. In den ersten Stunden hätte ich sie fast im Garten wieder freigelassen, so furchterfüllt schlugen sie gegen die Wände ihres Gefängnisses. Die eine klopfte unaufhörlich immer wieder mit ihrer harten kleinen Nase gegen dieselbe Fuge zwischen zwei Glasplatten. Die andere schnellte zum Gitterdach hinauf, fiel weich wie eine schmelzende Zinnstange wieder herab und schnellte aufs neue empor … Beiden die Freiheit wiedergeben, den Garten, den Rasen, Mauerlöcher … Aber die Katzen waren auf der Lauer, wild und fröhlich, bereit, die leicht verletzlichen Schuppen zu zerkratzen, die lebhaften Goldaugen zu zerbeißen …

Ich habe die Nattern behalten, und ich beklage in ihnen wieder einmal die elende Gefügigkeit wilder Tiere, die sich in die Gefangenschaft ergeben, dabei aber unermüdlich auf Befreiung hoffen. Der geheime Abscheu, der Abscheu des westlichen Menschen vor dem Reptil, wird in mir lebendig, wenn ich sie lange betrachte. Ich weiß, daß ihr Anblick etwas Lähmendes hat, und starr beobachte ich ihren unaufhörlichen Tanz, die nicht enden wollenden Windungen, die sie auf die Glasscheibe zeichnen, die geheimnisvolle Bewegung eines Körpers ohne Gliedmaßen, der in sich zusammenschlüpft, um sich wieder auseinanderzuziehen …

Doch verschwindet der böse Zauber, sowie ich die Nattern berühre und ergreife. Trocken, kühl, weich, wehren sie sich gegen meine Hand, und es macht Freude, mit ihrer Kraft zu spielen. Das dünnere Männchen schnellt den beweglichen Kopf mit der gelb-schwarz gefärbten kleinen Haube und das feine Flämmchen seiner Zunge nach allen Seiten hin. Es windet sich, schlingt den langen Körper mit dem blau, silbrig und grünlich-weiß schimmernden Bauch um meinen Arm, löst sich wieder, betastet mit Kinn und Kehle vorsichtig meine warme Hand, hält unentschlossen inne, und ich fühle sein kaltes, kleines Herz gegen meine Handfläche schlagen …

Mit der anderen Hand halte ich das kräftige Weibchen fest, was mir durchaus nicht leicht fällt. Es ist gereizt, schlägt mit Schwanz und Kopf umher, pfeift wie ein Gänserich, und ich weiß nicht, wie ich den harmlosen Zorn eines Tieres beschwichtigen soll, das keine Waffe besitzt. Gerade zu rechter Zeit fällt ein Sonnenstrahl auf meine Knie, und ich bette die widerstrebenden Nattern auf meinen Schoß. Ein langer Augenblick des Kampfes, der Stille, der Wärme – Unbeweglichkeit, dann Entspannung – die lebendige Feder, die so widerspenstig war, gibt plötzlich nach – Freude überkommt mich, Hoffnung, daß ich mehr als gesiegt, daß ich verführt habe …

Da liegen sie, unbeweglich und wachsam, auf meinen Knien. Die eine hält sich mit dem Schwanz an der Armlehne des Fauteuils fest, läßt den Kopf an meinem Rock hinunterhängen und betastet Luft und Stoff mit der Spitze ihrer vibrierenden Zunge. Die andere, zu einem weichen Seil zusammengerollt, läßt es nun zu, daß meine Hand sie emporhebt und mit ihr spielt. Doch bei der geringsten Bewegung der Hündin, die einige Schritte entfernt auf dem Boden liegt, zittert sie und strafft sich. Und doch. Es ist ein erster Waffenstillstand zwischen uns, die ruhige ungewisse Stunde, da die Nattern und ich Künftiges ins Auge fassen: mir ist bereits, als ob sie sich zu vermenschlichen begännen, sie hingegen meinen, ich würde zahm.


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