Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Psychischer Speichelfluß

»In einem Garten auf einer der Inseln St. Petersburgs läßt sich Professor Pawlow soeben ein neues Laboratorium bauen, mit Isolierräumen, in denen alles automatisch funktionieren wird …«

Wenn man diese Zeilen liest, denkt man an Tuberkulöse, die isoliert werden sollen, oder an eine Pflegestätte für Geisteskranke … Es handelt sich aber einfach nur darum, Hunde zum Speicheln zu bringen. Ein Hund speichelt, sooft man ihm zu fressen gibt oder ihm einen Leckerbissen zeigt. Professor Pawlow und seine – o Jammer! – »zahlreichen« Schüler beschäftigen sich damit, diese Sekretion auf rein psychischem Wege hervorzubringen. Die Herren sind fleißig am Werk. Einer der Schüler, Orbeli mit Namen, hat einen Hund daran gewöhnt, zu speicheln, sooft er ihm den Buchstaben T auf hellem Grund vorhält. Dies ist, wie er sagt, das Ergebnis einer sechsmonatigen Arbeit. Ein anderer Hund ist dazu abgerichtet worden, »auf dreizehn Paare von Reizmitteln zu reagieren: Er speichelt oder speichelt nicht, je nachdem, ob ein Akkord in Dur oder in Moll angeschlagen wird, ob der Klang von links oder von rechts kommt, eine Skala aufwärts oder abwärts gespielt wird; er speichelt beim Klang eines Metronoms, wenn es zur vollen und zur halben Stunde ertönt; wird es aber zu den Viertelstunden in Gang gesetzt, so bleibt er trocken.«

Um das zu erreichen, bedurfte es einer Abrichtung von acht Monaten, zehn Monaten, einem Jahr. Doch verspricht uns Professor Pawlow für die Zukunft »noch bessere Resultate« …

So ein auf die Welt losgelassener Gelehrter ist etwas Fürchterliches. Wir wissen, daß Kraft, Zeit, technische Erfindungen, Elektrizität und besondere Gebäude an eine Idee verschwendet werden müssen. Die des Professors Pawlow aber läßt abgeschmackte oder peinliche Bilder vor uns erstehen und erweckt in uns gewöhnlichen Sterblichen nichts von dem Enthusiasmus für große Entdeckungen, aus dem heraus man beinahe frohgemut Menschen und lebende Tiere opfert. Wir wollen nicht allzulange über die »Abrichtungsarbeit« des Herrn Doktor Pawlow und seiner zahlreichen Schüler nachdenken. Wir könnten sonst am Ende finden, daß, verglichen mit ihnen, die Vivisektoren gar keine so schlimmen Leute sind …

Welch schöner Albtraum für einen Schüler des russischen Gelehrten: Herr Doktor Pawlow wird von Hunden eingefangen, gefesselt und in einem seiner neuen Pavillons isoliert. Dort beginnen Metronome zu ticken, Speisen werden ihm gezeigt, aber wieder weggenommen, es erfolgen elektrische Entladungen, rote Lampen leuchten auf und verlöschen wieder. Dur- und Mollakkorde werden abwechselnd angeschlagen, und auf solche Art wird er solange geneckt, bis er – o Sieg der Wissenschaft! – beim Anblick des Buchstaben T zu speicheln beginnt!


 << zurück weiter >>