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Der Kater

»Ich hatte einen Namen, einen kurzen, klangvollen Namen, den Namen einer kostbaren Angorakatze. Aber ich habe ihn auf den Dächern gelassen, in den glucksenden Ecken der Dachrinnen, auf dem abbröckelnden Moos alter Mauern. Ich bin ›der Kater‹.

Was sollte ich mit einem anderen Namen? Dieser genügt meinem Stolz. Die Menschen, die mich seinerzeit ›Sidi‹ nannten, rufen mich überhaupt nicht mehr, denn sie wissen, daß ich niemandem gehorche. Wenn sie unter sich vor mir sprechen, sagen sie ›der Kater‹. Ich komme, wann es mir beliebt, und die Herren dieses Hauses sind nicht die meinen.

Ich bin so schön, daß ich fast niemals lächle. In meinem persischen Fell spielen die zartesten Farben: Silber, das Graulila von Glyzinen, die die Sonne gebleicht hat, das wilde Violett neuer Schieferplatten. Ein breiter, niedriger Schädel, die Backen eines Löwen, und oh! diese schweren Brauen über herrlichen Augen, rötlichen, düster ernsten! … Nur eines ist leichtfertig in dieser strengen Schönheit: meine zarte Nase, meine zu kurze Angoranase, feucht und blau wie eine kleine Pflaume …

Ich lächle fast nie, selbst wenn ich spiele. Zuweilen lasse ich mich herab, einen Ziergegenstand mit königlicher Pfote zu zerbrechen. Es sieht aus, als wollte ich ihn züchtigen. Und wenn ich diese schwere Pfote gegen meinen Sohn erhebe, das unehrerbietige Kind, dann ist es, als ob ich ihn zermalmen wollte … Habt ihr vielleicht erwartet, daß ich mich auf dem Teppich ziere wie Schah, meine kleine Sultanin, die ich vernachlässige?

Ich bin der Kater. Ich führe das unruhige Leben derer, die die Liebe für ihren harten Dienst geschaffen hat. Ich bin einsam, bin dazu verdammt, ohne Unterlaß zu erobern. Blutgier ist mir angeboren. Ich kämpfe, wie ich fresse, mit regelmäßigem Appetit, und gleich einem trainierten Athleten besiege ich meinen Gegner ohne Hast und Wut.

Erst am Morgen kehre ich zu euch zurück. Wenn die Dämmerung beginnt, lasse ich mich, bläulich schimmernd wie sie, vom höchsten Gipfel eines kahlen Baumes herabfallen, wo ich eben noch einem Vogelnest im Nebel glich. Oder ich schlüpfe über das schiefe Dach bis zu eurem Holzbalkon und setze mich auf das Brett eures halbgeöffneten Fensters, als wäre ich ein winterlicher Blumenstrauß. Der Duft der Dezembernacht, der Duft eines eiskalten Friedhofs entströmt mir. Nun werde ich sogleich schlafen, werde erhitzt und fiebrig nach bitterem Buchsbaum riechen, nach getrocknetem Blut und wildem Moschus …

Denn ich blute unter der seidigen Scharpie meines Fells. Eine Wunde brennt an meinem Hals, und ich nehme mir nicht einmal die Mühe, die zerrissene Haut meiner Pfote zu lecken. Ich will nur schlafen, schlafen! Will die Lider über meinen schönen Nachtvogelaugen zusammenpressen und, ganz gleich wo, schlafen. Auf die Flanke hingestreckt wie ein Landstreicher, will ich leblos daliegen, von Erdkrumen bedeckt und von dürren, kleinen Zweigen und trockenen Blättern. Schlafen, schlafen wie ein gesättigter Faun …

Ich schlafe, schlafe. Zuweilen durchzuckt mich ein elektrischer Schlag – ich richte mich auf, grolle dumpf wie ferner Donner und falle dann wieder zurück … Selbst gegen das Ende des Tages, zur Stunde, da ich völlig erwache, bin ich abwesend und in Träume versunken. Den Blick auf das Fenster gerichtet, horche ich gegen die Tür hin …

Flüchtig gewaschen, von Gliederschmerzen erstarrt, überschreite ich die Schwelle. Alle Abende zur selben Stunde entferne ich mich mit gesenktem Kopf, weniger ein Auserwählter, denn ein Verdammter … Schwankend wie eine schwere Raupe entferne ich mich zwischen gefrierenden Wasserlachen, die Ohren im Winde zurückgelegt. Den Schnee mißachtend, gehe ich dahin. Ich halte einen Augenblick inne, nicht weil ich zögere, sondern weil ich die geheimen Geräusche meines Reiches behorche. Ich schnuppere in die dunkle Luft hinaus. Feierlich und klagend lasse ich dann immer wieder den Ruf des kampfbereit umherwandernden Katers ertönen. Als ob der Klang meiner Stimme mich rasend gemacht hätte, springe ich plötzlich los … Man erblickt mich eine Sekunde lang auf einer Mauer, mit gesträubtem Fell, undeutlich verschwebend wie eine leichte Wolke. Und dann sieht man mich nicht mehr …

Es ist die wilde Jahreszeit der Liebe, die uns jeglicher anderen Freuden beraubt und die Scharen unserer abgemagerten Weibchen in den Gärten teuflisch vermehrt. Nicht nach der weißen Schlanken gelüstet es mich, auch nicht nach jener anderen dort, noch nach dieser hier, die orange und braun gestreift ist wie eine Tulpe, ebensowenig nach der Schwarzen, die glänzt wie ein feuchter Aal … Ach! diese und jene und noch andere auch … Wenn nicht ich sie niederwerfe, so werden meine Rivalen sie nehmen. Ich will sie alle, ohne eine zu bevorzugen, ohne sie voneinander zu unterscheiden. Das Schluchzen jener, die meiner grausamen Umarmung unterliegt, höre ich schon nicht mehr. Ich horche in den Wind hinaus auf die Stimme der Unbekannten, die mich jenseits der Dächer ruft.

Wie schön ist sie, die unsichtbare Geliebte, die in der Ferne klagt! Umgebt sie mit Mauern, verschließt sie lange vor mir, auf daß nur ihr Duft und ihre Stimme zu mir dringen! … Ach, es gibt für mich keine unerreichbare Geliebte! Auch diese wird über die Mauer springen, um zu mir zu gelangen. Vielleicht werden meine Zähne unter dem dichten Fell ihres Nackens die Narben meiner Bisse vom vorigen Jahre wiederfinden …

Die Nächte der Liebe währen lange … Ich bleibe auf meinem Posten, immer bereit, zuverlässig und verdrossen. Meine verlassene kleine Gattin schläft in ihrem Haus. Sie ist sanft und blau, und gleicht mir zu sehr. Hört sie in ihrem parfümierten Bett die Schreie, die zu mir aufsteigen? Hört sie meinen Namen, den ein verletzter Gegner in wildestem Kampfe hinausbrüllt, meinen Tiernamen, den die Menschen nicht kennen?

Ja, diese Liebesnacht währt lange. Ich bin traurig und fühle mich einsamer denn ein Gott … Ein unschuldiger Wunsch beschleicht mich, indes ich beharrlich wache, der Wunsch nach Licht, Wärme und Ruhe … Wann will die Morgendämmerung endlich grauen, die das Gezwitscher der Vögel erwachen läßt und den Sabbat toller Katzen beendet? Seit vielen Jahren herrsche ich, liebe ich, töte ich. Lange Zeit schon bin ich schön … Zu einer Kugel zusammengerollt, träume ich auf der Mauer, die eisiger Tau bedeckt … Ich fürchte, ich könnte alt aussehen.«


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