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Herbst

Auf dem Holzbalkon zwischen der verwelkten Glyzine und flachgedrückten, roten Salbeiblüten, die der nächtliche Sturm verweht hatte, lagen heute morgen zwei Schmetterlinge, grün und rosafarbig. Sie lebten noch ein wenig, als ich sie berührte, krampfhaft falteten sie die Füßchen über dem kostbaren Pelz der Brust zusammen. Der eine starb sogleich, der andere bewegte noch einige Minuten die fedrigen Fühler, zitterte wie eine elektrisierte Blume …

Ich lasse sie auf den Brettern des Balkons liegen. Sowie ich mich abwende, werden die Spatzen kommen, und dann werde ich nichts mehr finden als acht hurtig abgerissene Flügel … Wie mögen sie wohl gegen den plötzlichen Herbst angekämpft haben, die beiden fröstelnden Nachtfalter, die so schön mit blaßrosa Halbmonden bemalt sind? Wie oft mögen sie, an den warmen Kamin gedrückt, der die Wand meines Hauses entlang läuft, Schutz gesucht haben vor der verderblichen Dämmerung dieses Oktobermorgens?

Von dem Balkon aus sehe ich, wie alle Gärten in diesem lange Zeit so friedlichen und nun bedrohten Winkel von Passy mit jedem Tag mehr zusammenschrumpfen. Der meine verliert sein Blätterdach. Und was ist von dem dreifachen Rosenbogen noch übrig? Verrostetes Eisen, dürftig von kahlen Stielen umwunden … Und war der »Park unseres Nachbarn«, in dem man unsichtbare Kinder lachen und umherlaufen hörte, nichts weiter als dieses viereckige Grundstück, diese von traurigen hohen Mauern eingefriedete Baumgruppe?

Das anmutige Landleben, das sich im Sommer hier entfaltete, verläßt die Gärten und zieht sich, gleichsam eingeschüchtert, hinter verschlossene Fenster zurück. Wenn auch die Sonne wieder durchbricht, werden doch drüben auf den Gartenstühlen nicht mehr die jungen Mädchen sitzen, deren helle Blusen und glänzende Haare ich zwischen den Zweigen erriet.

Ich belauschte, wie sie da, ganz nahe hinter einem Blättervorhang, den Tag verbrachten. Ich hörte die Stickschere auf einem Eisentisch klingen, den Fingerhut in den Sand rollen, die Seiten der illustrierten Zeitschrift knistern … Das fröhliche Klappern von Löffeln und Tassen sagte mir, daß es fünf Uhr sei, und ich gähnte vor Hunger … Nun ist rings um mich nur mehr der Abhub eines langen Sommers übrig: eine leere Hängematte schaukelt im Wind, in dem kleinen Faß eines Tonnenspiels sammelt sich das Regenwasser. Unter den entlaubten Bäumen schlängeln sich die Wege, ihres geheimnisvollen Zaubers beraubt, und die kahl gewordenen Mauern lassen erkennen, wie eng begrenzt unsere Paradiese sind.

Ich möchte das junge Mädchen im rosa Kleid, die schlanke Gärtnerin, die jenseits der Hagebuchenhecke Rosen schnitt, nicht sehen, ich fürchte nun, sie könnte häßlich sein … Ich möchte bis zum nächsten Frühlingsgrünen im Zweifel darüber bleiben, ob das Paar, das ich zweimal täglich vereinten Schritts langsam auf und ab gehen hörte, jung ist oder alt …

Die drei Kinder, die drüben bei der Dame in Trauer auf den Stufen der Freitreppe singen, schweigen plötzlich, wenn ich sie ansehe. Ich störe sie. Meine Anwesenheit war ihnen aber den ganzen Sommer nicht unbekannt. Doch wußte ich nicht, welches »danke schön« rief, wenn ich einen verirrten Ball über die gestutzte Akazienhecke zurückwarf … Jetzt störe ich sie, und sie machen mich verlegen – ich werde nicht mehr im Kimono, die Haare noch feucht, durch den Garten gehen …

Das Haus, das Feuer, die Lampe – ein Dahlienstrauß, dunkel wie schwarzes Blut – Bücher – Kissen – kurze Nachmittage, frühe Abendbläue hinter den Fensterscheiben – es läßt sich nicht ändern! wir müssen uns ins Haus zurückziehen. Schon erscheinen oben auf den Gartenmauern, auf den Schieferplatten der Dächer, die noch warm sind, mit aufgestelltem Schwanz, wachsamen Ohren, vorsichtigen Pfoten und hochmütigen Augen die neuen Herren unserer Gärten – die Katzen.

Ein langer, schwarzer Kater liegt zu jeder Stunde auf dem Dach der leeren Hundehütte, und die milde Nacht, blau erfüllt von einem unbeweglichen Nebel, der nach dem Rauch grünen Holzes und nach Gemüsegarten riecht, bevölkert sich mit samtweichen kleinen Phantomen. Krallen scharren an der Rinde eines Baumes, eine tiefe, rauhe Katzenstimme beginnt einen ergreifenden Klagegesang, um sogleich wieder abzubrechen …

Der persische Kater auf meiner Fensterbank gleicht einer Marabu-Boa. Er dehnt sich und singt zu Ehren seiner Frau, die unten vor der Küche schlummert. Er singt hinter der Szene, halblaut, und es ist, als ob er aus einem sechs Monate langen Schlaf erwachte. Den Kopf zurückgeworfen, schlürft er in kleinen Zügen den Wind ein. Der Tag ist nicht fern, da mein Haus seinen Schmuck verlieren wird, seine beiden treuen Gäste, mein prächtiges Angorakatzenpaar, silberfarbig wie die Blätter der haarigen Salbei und der grauen Zitterpappel, wie ein Spinngewebe im Tau, wie die knospende Blüte der Weide …

Schon wollen sie nicht mehr aus demselben Teller fressen. Während sie die unvermeidlich wiederkehrende Zeit der Liebeswut erwarten, brüsten sie sich einer vor dem andern, einzig und allein um des Vergnügens willen, einander unerkennbar zu werden.

Das Männchen verbirgt seine Kraft, hält die Lenden tief im Gehen, die flockige Franse seiner Flanken fegt den Erdboden. Das Weibchen tut so, als hätte sie das Männchen ganz vergessen. Im Garten würdigt sie es keines einzigen Blickes. Im Hause wird sie anspruchsvoll und unduldsam. Sie schneidet eine haßerfüllte Grimasse, so oft er zögert, ihr auf der Treppe den Vortritt zu lassen. Legt er sich auf das Kissen, nach dem es sie gelüstet, so springt sie wuterfüllt auf ihn los und zerkratzt ihm das Gesicht. Als richtiges feiges Weibstier zielt sie nach den Augen und dem zarten Samt der Nase.

Der Kater nimmt die harten Regeln des Spieles hin, läßt die Zeit der Leiden über sich ergehen, deren Dauer insgeheim festgesetzt ist. Zerkratzt und gedemütigt, wartet er. Es bedarf noch einiger Tage, die Sonne muß ein wenig weiter gegen den Horizont hinabsinken, die Akazie sich entschließen, das zitternde Gold ihrer ovalen Münzen Stück für Stück fallen zu lassen – es bedarf noch einiger trockener Nächte, eines Ostwindes, der die letzten gefingerten Blätter der Kastanienbäume erschreckt …

Unter einer kalten Mondessichel werden beide fortgehen, kein geschwisterliches Paar mehr, keine Schlaf- und Spielgefährten, sondern leidenschaftliche Gegner, die die Liebe verwandelt hat … Er, von neuer List erfüllt, von blutgieriger Gefallsucht; sie, verlogen, immer wieder tragische Schreie ausstoßend, ebenso sehr zur Flucht bereit wie zu tückischer Wiedervergeltung … Sowie eine geheimnisvoll festgesetzte Stunde schlägt, werden sie, ehemalige Liebende, ihrer Freundschaft überdrüssig geworden, die trunkene Wonne auskosten, einander Unbekannte zu sein …


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