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Die Zwerghündin, laut schreiend: »Ja, ja, ich habe den Teppich naß gemacht! Und was weiter? …
Ich war es und niemand anderer. Nicht der Bullterrier, nicht die gelbe Colliehündin, auch nicht die Windhündin mit den heimtückischen Augen, ebensowenig der spaßige Fox – sondern ich. Was wollt ihr machen? Da steht ihr alle um mich herum, schreit: ›Oh!‹ und ringt die Hände vor Empörung. Warum eigentlich? …
Ich habe den Teppich naß gemacht! Ich habe es sogar absichtlich getan, aus Langweile, um euch herauszufordern. Erst eine Stunde ist es her, daß ich auf der Straße spazierenging und mit meinen frechen Spielen den ganzen Gehsteig für mich in Anspruch nahm. Drei grauen Doggen mit türkisblauem Halsband, die schlapp an der Leine gingen, habe ich durch meine verblüffende Kleinheit einen tüchtigen Schreck eingejagt.
Ihr habt ja gesehen, was ich alles angestellt habe. Ich habe die Portiersfrau gebissen, trotz eures Geschreis allein die Straße überquert, eine riesige Katze verfolgt, eine wunderbare alte Zeitung, die nach ranzigem Speck und Fisch roch, in tausend Stücke zerfetzt und schließlich einen stinkenden, grünlichen Knochen, einen köstlichen Knochen, behutsam nach Hause getragen … Wo habe ich den bloß hingetan? Ich weiß es nicht mehr. Und eben habe ich den Teppich naß gemacht!
Ihr werdet nicht die geringste Entschuldigung für mich finden können. Nein, ich habe keine Leibschmerzen. Ich habe nicht zu viel Wasser aus der blauen Tasse getrunken. Mir ist weder heiß noch kalt. Fieber habe ich auch nicht. Und meine Nase ist so kühl wie eine Weinbeere im Oktobertau …
Was werdet ihr über mich verhängen? Ich warte!
Steckt mir die Nase hinein, wenn ihr es könnt. Ich habe keine Nase … Oder schlagt mich, wenn ihr das wagt. Auf meinem ganzen Körper ist nicht einmal für den Bruchteil eines Klapses Platz.
Ich bin zu klein, verstanden? Ich bin zu klein. Ich bin kleiner als alle anderen Hunde, kleiner als die Katze, als der Papagei in seinem Käfig, kleiner als die gewölbte Schildkröte, die das Mosaik der Terrasse knirschend zerkratzt. Hofft nicht, daß ich dicker werde! Zwei Sommer sind schon vergangen, ohne daß sich mein lächerliches Gewicht auch nur um ein Gramm erhöht hätte. In der Hand bin ich so leicht wie ein Vogel, dabei aber hart anzufühlen und muskelstraff. In mir ist die vermessene Kühnheit eines Insekts. Ich habe den Mut einer kämpfenden Ameise, an der die Gefahr riesenhaft und unbeachtet vorübergeht. Ich sehe sie nicht, ich bin zu klein. Kurzsichtig, trotze ich einem Bruchteil jeder Gefahr, ich belle die Pfote eines großen Hundes an, ich gehe zornig auf eine Wade los. Ein Wagenrad hat mich gestreift, ich habe den Wagen gar nicht bemerkt – ich bin zu klein.
Wie seid ihr doch alle so groß, die ihr da um mich herumsteht, über mich geneigt wie Bäume, plump und schwerfällig in eurer Entrüstung, die ihr zur Hälfte heuchelt! Schon trocknet die winzige Pfütze auf dem Teppich, und ihr habt euch noch zu nichts entschlossen? Ihr denkt ja gar nicht mehr an mein Vergehen, sondern nur an mich. Eine schwere Verantwortung lastet auf euch – ihr müßt vor allem darauf bedacht sein, mein kostbares kleines Elfenleben zu beschützen, zu verschönern und zu verlängern.
Wie sehr fürchtet ihr doch, mich zu verlieren! Ein verliebter Aberglaube zieht euch zu mir hin. Ach, als ich zu euch kam, da ahntet ihr nicht, wie ich in Wirklichkeit bin? Eine winzig kleine Hündin mit schimmerndem Maulwurfsfell – das war alles, was ihr zunächst sehen konntet.
Meine anfängliche Niedergeschlagenheit ging bald vorbei, die Hülle aus Traurigkeit, Mißtrauen und Angst, die jedes feilgebotene Tier trägt wie ein Sterbehemd, fiel von mir ab, und dann habe ich mich euch zu erkennen gegeben!
Gesteht: In den ersten Wochen habt ihr geglaubt, daß ihr einen Dämon bei euch beherbergt. Kein Augenblick der Ruhe mehr, für niemanden im Haus! Wie ein übellauniges, junges Wildschwein wühlte ich in allen Zimmern, das geringste Geräusch hinter einer Tür ließ mich heisere Fledermausschreie ausstoßen … Wenn ihr versuchtet, mich allein zu lassen, fandet ihr mich vor Wut halb erstickt. Und zwei unter euch tragen die Narben von Bissen, mit denen ich euch belohnte, wenn ihr euch liebevoll um mich kümmern wolltet …
Keinen Augenblick der Ruhe! Ich verschwand damals wie durch Zauber, so oft sich die Haustür öffnete. Wie eine Ratte entkam ich durch den Türspalt, grau im Schatten eines Beines, eines Rocksaumes.
Wie habt ihr mich gesucht! Keuchend seid ihr umhergelaufen, habt das Mittagbrot vergessen und mit tränenden Augen ›Mirette‹ gerufen. Ihr habt mich aus dem Bach gefischt, habt mich unter der Hobelbank des Zimmermannes gegenüber hervorgeholt, bei dem Tapezierer aufgestöbert, in der Hütte des Neufundländers, im Schoß der Milchfrau, die mir warme Milch zu trinken gab.
Nicht einen Augenblick der Ruhe! … Fast wäre ich in der Gummiwanne ertrunken, und am Teekessel habe ich mir die Nase verbrannt. Ein Stück Schwamm, das ich insgeheim verzehrte, brachte mich an den Rand des Grabes … Erinnert euch nur mit Seufzen an jene vergifteten Tage!
Aber das war noch nicht genug: Ich wollte euch auch um eure Nachtruhe bringen. Gegen zwei Uhr morgens wachte ich auf – erinnert ihr euch noch? – und verlangte meinen Gummiball, meine Hasenpfote, meinen zerrissenen alten Lederhandschuh … Niemals war ich sanft, niemals zärtlich, meine Spiele glichen Kämpfen auf Tod und Leben. Selbst wenn ich ermattet schlief, kamt ihr nicht zur Ruhe, denn aus Albträumen verfiel ich in nervöse Krämpfe.
Ihr habt jene schweren Zeiten gewiß noch nicht vergessen, da ihr mir über der Nachtlampe Milch, mit Orangenblättertee vermischt, wärmen mußtet, mir Brompulver eingabt, die ich röchelnd wieder ausspuckte, und mir den Sirup mit einem Löffel einflößtet, da ich ihn von der Untertasse nicht nehmen wollte.
Bei jedem anderen hättet ihr die Geduld verloren. Mich aber nahmt ihr angstvoll in die Arme und sagtet: ›Mein Gott, sie ist so klein!‹
So klein? … Ich füllte aber euer ganzes Dasein aus …
O ihr meine ergebenen und gut dressierten Herren, ich lasse euch Gerechtigkeit widerfahren hier vor dieser halbgetrockneten Pfütze auf dem Teppich: Ihr habt eine Belohnung verdient. Ich gab sie euch, und sie fiel so aus, daß sie euch im Verlauf einer Stunde für Wochen der Geduld entschädigte. Wenn ich einmal nicht mehr bei euch sein werde, erinnert euch des Tages, da mein Blick, auf einen unter euch gerichtet, nicht mehr der einer allzu kleinen Hündin war, eines überheblichen Zwerges, eines rastlosen Kobolds, sondern der einer Freundin! Ich selbst erinnere mich genau des Ernstes, der mich plötzlich überkam, des überwältigend süßen Empfindens, das mich dazu trieb, mich in eure ausgestreckten Hände zu schmiegen! … Es war geschehen: ich liebte euch. Ich kostete die tiefe Melancholie aus, die einen befällt, wenn man liebt und wiedergeliebt wird, das bittere Vorgefühl unvermeidlicher Trennungen, die fürchterliche Angst zu verlieren, was zu besitzen man niemals gehofft hat …
Macht nun mit mir, was ihr wollt – ich mache ja auch mit euch, was ich will. Ihr könnt nicht zu viel von mir verlangen. Mein Herz, das so groß ist wie das einer Nachtigall, schlägt für euch und verzehrt sich in Liebe. Um euch zu gefallen, habe ich meine insektenhafte Fröhlichkeit beibehalten und eine Vorliebe für wohlwollende Tyrannei. Manchmal mache ich den Teppich naß, aus Langerweile. Auch laufe ich gelegentlich immer noch am Rand eines Tisches entlang, denn ich habe es gern, wenn ihr erschreckt aufschreit und die Hände nach mir ausstreckt. Mitunter tue ich so, als wollte ich mich in einen Teich stürzen, damit ich euch ein bißchen blaß werden sehe. Nachher aber erobere ich euch wieder, mit einem Blick, in dem sich die Seele eines zärtlichen Wichtes spiegelt, leicht wie eine Flamme, zu klein, um zu fallen, zu klein, um zu sterben …«