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Die Schmetterlinge

(Im Wald von Crécy.)

Am Ende des Waldweges, der, zwischen hohen alten Bäumen hinlaufend, einem grünen Tunnel gleicht, schimmert der funkelnde Ausgang aus dem Hochwald. Erst ist es nur ein blauer Stern, dann, indem wir weitergehen, ein Spitzbogen von der Farbe des Meeres, schließlich ein sonniges Tor, das auf eine Lichtung hinausführt. Hier ist erst im vorigen Jahre abgeholzt worden, Wurzelschößlinge schlagen aus, einige Eichen geben Schatten. Warmer Sonnenschein liegt über dem Platz, das Summen von Bremsen und Wespen erfüllt die Luft, die Libelle zerreißt knisternd das Strahlennetz, das der Flug der Mücken und winzigen Waldfliegen webt.

Schwarzblaue Mistkäfer irren unter dem gelbgebrannten Gras umher. Eine erschreckte Viper flüchtet – man kann diesen rohen Peitschenhieb, diesen kurzen, kräftigen Schlag des Schwanzes gegen die Blätter nicht verkennen, kann ihn nicht mit der seidenweichen Flucht einer Natter verwechseln, die leise wie ein verstecktes Bächlein davonhuscht … Dieser warme abgeholzte Boden riecht nach Schlange.

Rings um die Baumstümpfe sind blaue Glockenblumen und gelbe Leberkletten in Büscheln aufgeblüht, und der rosafarbene Hanf duftet nach bitteren Mandeln. Ein Zitronenfalter schwingt sich von Blüte zu Blüte, grün wie ein krankes Blatt, wie eine saure Zitrone. Er entflieht, wenn ich ihm folge, beobachtet die geringste Bewegung meiner Hände. Rötliche Eisfalter, dunkel gefärbt wie Ackerfurchen, erheben sich in einer Wolke vor meinen Schritten, ihre bläulichen kleinen Monde scheinen mich zu belauern. Ein scheuer Rotschiller steigt empor und läßt, unerreichbar hoch, im Sonnenschein das silbrige Azurblau einer schönen Mondnacht schimmern …

Ein glänzendes Tagpfauenauge aber, in rotem Samt, mit bläulichen Augen gezeichnet und mit Türkisen besetzt, frischer als die frischeste Blume, erwartet zutraulich die Hand, die es fängt. Ich fasse den Schmetterling, indes er wie ein Blatt Papier zusammengefaltet ist, schwarz an der Außenseite, flammend rot an der inneren. Ich öffne gewaltsam seine prächtigen Teufelsflügel, bewundere den Perlmutterglanz des Flaumes neben seinem Brustschild, des goldigen Flaumes, den der Hauch meines Atems emporhebt, die zerbrechlichen dunklen Beinchen, die zittern, die Augen, die feucht glänzen wie die einer Biene … Dann lasse ich ihn frei, und er kehrt in lässigem Fluge zu der Blume zurück, auf der er gesessen hat. Ich könnte ihn noch einmal fassen, denn er saugt gierig, zufrieden und wieder beruhigt. Der Rüssel ist ausgestreckt, die geöffneten Flügel bewegen sich wollüstig in leisen Fächerschlägen.


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